38. Kapitel

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Die nächsten Tage schwebte Kate wie auf Wolken. Henry konnte seine Beine wieder bewegen! So knapp vor Ende der Frist...

Kate wusste wohl, wem sie dafür zu danken hatte. Gott kommt nie zu spät und nie zu früh, fielen ihr Worte ihrer Mutter ein. Und wie das stimmte!

Kates Herz jubelte bei jedem Schritt, den Henry mit den Krücken ging.

Dennoch war die Stimmung zwischen ihnen noch immer ein wenig angespannt.

Kate wusste nicht woran es lag, schien doch das größte Problem, die Lähmung von Henrys Beinen, auf dem besten Weg sich zu verflüchtigen. Irgendwas war zwischen ihnen, das vorher nicht da gewesen war.

Hatte sie mit ihrer Reaktion auf seine Bewegungsunfähigkeit sein Vertrauen verspielt? Zu Amber hingegen schien er sich völlig normal zu verhalten.

Sie wusste einfach nicht, was los war und das störte sie. Konnte nicht alles wieder so sein wie früher?

Schwungvoll stieß Kate die Tür zu Mikeys Zimmer auf und wischte die bedrückenden Gedanken zur Seite. Dafür hatte sie später noch genügend Zeit.

„Na, wie geht es meinem Lieblings-Giants-Fan?" Kate lächelte Mikey fröhlich an und griff nach dem Krankenblatt am Ende des Bettes.

Der Junge verzog das Gesicht. „Ich fühle mich hässlich, Doc. Ich sehe aus wie ein Spargel mit Augenringen, nur ohne Haare."

Kate blickte ihn an. Auch wenn sie das ihm gegenüber nicht zugegeben hätte, musste sie sich eingestehen, dass er recht hatte.

Die bis jetzt vier Wochen dauernde Induktionstherapie hatte sichtbare Spuren an dem Zehnjährigen hinterlassen.

Er war dünn geworden, weil er sich durch die Chemotherapeutika häufig übergeben musste.

Sein blasses Gesicht wurde nicht mehr so häufig von seinem fröhlichen Lachen erhellt – insbesondere, seit seine Mutter mit ihrem neuen Freund zusammen gezogen war und auch sein Vater ihn kaum noch besuchen kam, da er sich mit zwei schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten musste, um so Mikeys Behandlungskosten abzudecken, die von ihrer Krankenversicherung nur zu Teilen übernommen wurden.

Die Haare des Jungen waren mittlerweile komplett ausgefallen und mit der Glatze wirkte der Zehnjährige um Jahre gealtert.

„Ich hab dir was mitgebracht, Jersey." Kate zauberte mit einem Lächeln eine Baseballcap mit dem Giants-Logo hinter ihrem Rücken hervor und setzte sie Mikey schräg auf den Kopf.

„Dankeschön", murmelte er leise.

„Hey, weißt du was, Jersey?" Kate strahlte ihn bewusst fröhlich an, aber auch dieses Mal blieb die erhoffte Reaktion aus.

„Nein?"

„Was willst du als erstes hören?" Kate setzte sich auf die Kante seines Bettes. „Die gute Nachricht oder die fantastische?"

Mikey blickte sie zögernd an. „Die gute", antwortete er leicht zögernd.

„Die Medikamente schlagen sehr gut an und da wir schon im zweiten Zyklus sind, dauert die ganze Induktionstherapie vermutlich noch höchstens zwei Wochen. Dein Blutbild sieht ziemlich gut aus."

Mikey war perfekt im Rahmen. Die Leukämiezellen waren bereits zu einem Großteil abgetötet, sodass der Zustand der Regression – der Rückgang der Krebszellen auf unter fünf Prozent – vielleicht schon nächste Woche eintreten könnte.

„Noch zwei Wochen", stöhnte Mikey und verzog das Gesicht. „Und dann kommt die nächste Phase?"

„Die Intensivtherapie", bestätigte Kate. „Aber das klingt schlimmer, als es ist. Die schlimmste Phase ist die, in der du gerade bist."

„Na dann." Mikey schien ihr nicht so recht zu glauben, schloss Kate aus seinem skeptischen Tonfall. „Und die fantastische Nachricht?"

Kate legte das Krankenblatt und die anderen Patientenakten, die sie auf dem Arm getragen hatte, auf Mikeys Bett ab und griff dann in die Tasche ihres Arztkittels.

„Tatarata!", machte sie und zog zwei Papierscheine hervor. „Wir beide gehen in zwei Wochen zu dem Spiel der Cowboys gegen..." Sie ließ Mikey den Satz beenden.

„... die Giants?!" Er riss die Augen weit auf und nahm beinahe ehrfürchtig eine der Eintrittskarten in die Hand. „Wo haben Sie die her? Ich dachte, die wären schon längst ausverkauft!"

Kate lächelte verschmitzt. „Ryder kennt den Bruder des Assistenzcoachs der Cowboys und der hat uns drei Karten besorgt. Ryder – Dr. Blake – kommt auch mit."

„Sie sind die Beste, Doc!" Mikey strahlte und schlang seine dünnen Arme um sie. „Danke!"

* * * * *

Wütend schlug Henry so laut auf den Tisch, dass Kate zusammenzuckte. „Du wirst doch wohl wissen, ob dieses verdammte Hemd in der Wäsche ist oder nicht!"

„Ich kann nachschauen", bot Kate leise an. Sie hasste es, sich zu streiten, aber Henry ließ ihr nicht malt die Chance, es zu umgehen. Es war, als würde er sich streiten wollen.

„Ich brauche es aber jetzt und nicht in fünf Stunden!" Wütend raufte er sich die Haare. „Was kann ich sonst anziehen?", wollte er wissen. In seiner Stimme lag etwas ungewohnt Forderndes.

Sonst war er vor seinen Terminen bei der Physiotherapie nie so gewesen. War heute irgendwas besonderes, an das sie sich nicht erinnerte?

„Wie wäre es mit dem Blauen?" Kate reichte ihm ein Hemd aus dem Schrank.

Seit ihrer Hochzeit und auch davor schon, hatte sie ihm öfters bei der Wahl seiner Anziehsachen geholfen. Aber so wie heute war es noch nie gewesen.

„Das hatte ich die letzten zwei Tage schon an." Er verdrehte ungeduldig die Augen.

Er saß noch immer im Rollstuhl, aber hauptsächlich, um sich auszuruhen, nachdem er auf Krücken mit Amber einkaufen gewesen und zu spät wiedergekommen war.

„Henry, hättest du nicht eher zurückkommen können? Das hätte uns den Ärger erspart!" Kate seufzte frustriert auf. In letzter Zeit ging er ihr immer häufiger auf die Nerven. War das noch Liebe?

Energisch schob sie diesen Gedanken zur Seite. Sie würde doch nicht wegen ein paar kleinen Streits anfangen, an ihrer Ehe zu zweifeln! Gut, vielleicht hatten Henry und sie gerade eine Krise, aber auch das ginge vorbei und dann könnten sie endlich neu starten.

„Ach, jetzt ist es also mal wieder meine Schuld?" Provokant verschränkte Henry die Arme. „Immer alles auf den behinderten Mann schieben, so ist es richtig!", höhnte er.

„Henry, so hab ich das weder gesagt noch gemeint und das weißt du!"

„Ach, tue ich das? Ich glaube nicht."

„Henry, es geht um ein Hemd! Ein einfaches Hemd!" Frustriert ließ sich Kate auf ihr Bett sinken, in dem Henry und sie seit vergangener Nach wieder schliefen. Er schaffte es mit größerer Anstrengung nun endlich wieder in den ersten Stock hinauf zu gehen.

„Meinetwegen kann ich auch ohne Hemd zur Physio gehen, ich glaube nur, das hättest du nicht so gerne!"

Kate legte die Handflächen aneinander, hielt sie vor ihren Mund und stöhnte genervt auf. „Wie wäre es mit weiß?"

„Da kann ich auch gleich nichts anziehen."

„Dr. O'Ryan?" Im denkbar ungünstigsten Moment erschien Amber im Türrahmen. „Wir müssen los."

„Nicht jetzt, Amber!", forderte Kate.

„Jetzt hör doch auf, alles an ihr auszulassen!" Henry winkte Amber heran. „Vielleicht kannst du mir ja besser helfen als meine Frau."

Kate schnaubte. „Ja, gut, meinetwegen! Wenn dir das besser gefällt, dann viel Spaß!"

Als sie das Zimmer verließ wusste sie nicht, welches ihrer Gefühle überwog: Verletztheit, Wut, Verzweiflung oder Eifersucht. Es war ein Cocktail aus allem.

Whatever It TakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt