66. Kapitel

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„Mom!"

Erst als seine Mutter im Rollstuhl ins Wohnzimmer geschoben wurde, begriff Henry, wie sehr er sie doch vermisst hatte. Als er sie als letzter der Familie umarmte, sah er Tränen der Freude in ihre Augen schimmern.

„Es ist so gut, dich wieder bei uns zu haben", murmelte Henry und atmete ihren leicht zimtigen Duft tief ein.

„Es ist auch schön, wieder bei euch zu sein, mein Sohn. Wirklich." Jetzt wandte Lucy sich an alle. Die ganze Familie war da, einschließlich Neela – nur Landon fehlte. Aber das war ja zu erwarten gewesen. „Ihr habt mir bestimmt unglaublich viel zu erzählen und ich will jedes Detail wissen!", strahlte sie.

Samuel lachte und legte den Arm um seine Frau. „Erzählen können wir beim Essen. Setzt euch doch."

Er machte eine einladende Handbewegung in Richtung des Tisches und schob dann einen Stuhl zur Seite, damit Lucy mit ihrem Rollstuhl in die Lücke passte.

Henry setzte sich aus Gewohnheit neben Kate, mit der er, seit sie gekommen war, noch kein einziges Wort gewechselt hatte.

Er spürte, wie sie sich anspannte und ein kleines Stück von ihm wegrutschte. Stieß er sie so sehr ab? Oder hatte sie etwa Angst vor ihm?

Kendra, die ihre Schweigsamkeit der letzten Wochen abgelegt zu haben schien, fing an, mit übersprudelnder Energie von den letzten beiden Monaten zu erzählen, kaum dass Samuel ein Gebet gesprochen hatte.

Ihren Besuch bei Landon ließ sie jedoch komplett aus, wie Henry auffiel. Wollte sie ihn nur nicht erwähnen, weil er nicht da war? Damit Lucy nicht daran erinnert wurde, dass einer ihrer Söhne sich von ihrer Familie abgekoppelt hatte oder um ihr das Gefühl zu geben, sie wären als Familie auch so komplett?

Dass alle so viel redeten und im Allgemeinen eine recht ausgelassene Stimmung herrschte, war der Grund, warum sie erst nach einer Stunde beim Nachtisch ankamen.

Das Hauptgericht – ein vegetarischer Kartoffel-Gemüse-Auflauf – war zwar recht provisorisch und noch dazu etwas versalzen gewesen, aber es hatte sich niemand ernsthaft beschwert und darauf war Henry schon ein bisschen stolz.

Gerade, als Rebekka und Kendra mit den Puddingschüsseln ins Esszimmer kamen, wandte sich seine Mutter auf einmal an ihn und Kate, die sich beide bisher kaum am Gespräch beteiligt hatten.

„Und, wie geht es euch beiden?", fragte sie fröhlich. Es tat gut zu sehen, dass ihre Wangen wieder ein wenig Farbe bekamen, war ihr Körper doch ansonsten nur ein Schatten ihrer selbst.

Henry zögerte. Was sollte er darauf schon antworten? Er würde garantiert nicht erzählen, dass Kate...

„Henry ist codeinsüchtig." Kate blickte auf, aber sie sah ihn nicht an, sondern hielt ihren Blick fest auf seine Mutter ihr gegenüber gerichtet.

Mit lautem Klirren zerbrach eine der Schüsseln, als Rebekka sie fallen ließ. Dann war es still. Alle Anwesenden richteten ihren Blick auf Henry.

Sein Vater räusperte sich schließlich. „Stimmt das, Henry?"

Henry blickte Kate kalt an. „Natürlich nicht, Dad", antwortete er, ohne den Blick von seiner Frau zu nehmen. „Ich weiß nicht, warum Katherine diesen Abend mit so einer Lüge zerstört."

„Henry!" Kate schob ihren Stuhl zurück und sprang auf. „Fang du nicht wieder mit diesen Verleumdungen an", flüsterte sie.

„Dann hör du mit den Lügen auf!", zischte Henry und erhob sich ebenfalls.

Er war sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass seine ganze Familie ihre Szene beobachtete und das bestärkte ihn in seinem Vorhaben, vor Kate nicht klein beizugeben. „Erzähl ihnen doch von deinem Liebhaber", provozierte er.

Whatever It TakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt