Kendra O'Ryan griff nach ihrem Rucksack, hängte ihn sich über eine Schulter und schlug die Tür ihres Schließfaches zu. Erleichtert, nach einer langen Schicht endlich Schluss zu haben, zog sie den Reisverschluss ihrer Jacke zu und verließ das Ärztezimmer durch die Seitentür.
„Kenny!"
Bei dem Klang der Stimme ihrer besten Freundin, blieb Kendra stehen und verdrehte die Augen. War man einmal im Krankenhaus, kam man nur schlecht wieder weg. Besonders, da Kendras Ausbilder, Nico Stoner, ungemein anspruchsvoll war und seinen Studenten alles abverlangte. Seufzend drehte Kendra sich zu ihrer Freundin um, die über den Gang auf sie zugelaufen kam und sie beinahe eingeholt hatte.
„Maya Tucker! Ich werde keinen deiner Patienten übernehmen und auch keine Krankenblätter für dich ausfüllen. Ich gehe jetzt nach Hause, werde endlich duschen und so lange schlafen, wie ich will, bis ich morgen früh wieder herkommen muss! Und wehe, du weckst mich, wenn du kommst!" Kendra verschränkte die Arme vor der Brust.
Seit Beginn ihres Studiums teilte sie sich mit ihrer chaotischen Freundin und Studienkollegin eine Wohnung, nur wenige Blocks vom Whitingham Medical Center entfernt.
„Hey, was denkst du denn von mir? Als ob ich dir meine Patienten andrehen würde!", beschwerte Maya sich, als sie vor Kendra zum Stehen kam.
„Natürlich, das würdest du niemals tun", erwiderte Kendra sarkastisch und schob sich den Träger ihres Rucksacks weiter über ihre Schulter. „Also, Maya, was soll ich für dich tun?"
„Ryan ist da!" Mayas Gesicht leuchtete vor freudiger Aufregung.
„Das hat Josh mir vorhin auch gesagt", murmelte Kendra wenig begeistert.
Seitdem Mayas älterer Bruder und sie vor zwei Jahren nur knapp dem Tod entronnen waren, hatte sich eine zarte Freundschaft zwischen ihnen aufgebaut. Mittlerweile hatte sie mit ihm sogar häufiger Kontakt, als mit ihrem eigenen Bruder Mark und bezeichnete ihn als ihren besten Freund, auch wenn manche ihren Altersunterschied von sechs Jahren belächeln mochten.
Als Mark und Josh vorhin, warum auch immer – Kendra hatte nicht gefragt und hätte vermutlich auch keine Antwort oder nur ein geheimnisvolles Lächeln bekommen – im Krankenhaus gewesen waren, hatten sie ihr in ihrer Pause einen kurzen Besuch abgestattet.
„Jedenfalls, ich hätte jetzt eigentlich auch Schluss", fuhr Maya fort und Kendra begann die Bitte ihrer Freundin zu ahnen. „Aber Dr. Parker muss gleich eine Not-OP machen und hat mich gefragt, ob ich dabei sein will. Das ist wirklich eine einmalige Gelegenheit, so eine Operation bekomme ich nicht so schnell noch einmal!"
„Und dann soll ich so lange auf deinen großen Bruder aufpassen?" Kendra wünschte, sie könnte ihrer Freundin einmal eine Bitte abschlagen. Ryan war genau der Typ Mann, mit dem sie gar nicht umgehen konnte. Er war der arroganteste, aufgeblasenste und selbstbezogenste Mensch, den sie kannte!
„Nur für die Dauer der Operation, das sind höchstens drei Stunden. Ryan wartet schon seit heute Morgen darauf, dass ich endlich Schluss habe."
„Warum kann er dann nicht noch drei Stunden warten?"
„Kendra! Komm schon, bitte. Ich will nicht, dass Ryan schon wieder abhaut, weil er meint, ich würde mir Ausreden ausdenken, um ihn nicht zu sehen."
„Ich würde das definitiv machen!", höhnte Kendra. Als sie jedoch Mayas vorwurfsvollen Blick sah, schob sie schnell hinterher: „Kann Josh das nicht übernehmen?"
„Wenn du mir sagst, wo er ist", konterte Maya. „Außerdem muss er arbeiten, das weißt du genau."
Kendra kämpfte mit sich. Sie konnte Ryan überhaupt nicht ausstehen, aber das konnte sie ihrer besten Freundin ja wohl kaum ins Gesicht sagen. Wobei, indirekt hatte sie das bereits.
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Whatever It Takes
Ficção AdolescenteEs ist ein Jahr her, dass Henry O'Ryan Kate McKinnley heiratete und noch immer ist sie die Frau seines Lebens - bis ein Unfall das Leben des jungen Ehepaars komplett auf den Kopf stellt. Henry sitzt im Rollstuhl - doch als wäre das nicht genug, wird...