Nach dem Abend des Super Bowls ging es Mikey sichtlich immer schlechter. Sechs Tage später schlief er ein und wachte nicht wieder auf.
Für Kate war es einer der schlimmsten Tage ihres Lebens. Es war, als wäre ihr eigenes Kind gestorben.
Es riss sie förmlich auseinander, zu wissen, dass sie nie wieder Mikeys Stimme, sein Lachen hören würde.
Henry war der einzige Mensch, den sie in den nächsten Tagen in ihre Nähe ließ. Er durfte sie so sehen, völlig am Boden. Er war ihr Halt, ihr sicherer Hafen. Was würde sie bloß ohne ihn machen?
Die Beerdigung fiel auf einen Dienstag, den vierzehnten Februar. Es war Valentinstag.
Kate stand vor ihrem Spiegel und strich ihr schwarzes Kleid glatt, dass sie hatte umnähen lassen müssen, da sie sonst mit ihrem Bauch nicht reingepasst hätte.
Henry trat hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Bist du bereit?"
„Nein." Sie schüttelte den Kopf. „Das werde ich nie sein."
Er küsste sie auf die Schulter. „Ich weiß, es ist schwer. Aber du bist stark. Wir können das zusammen schaffen."
Kate wandte sich zu ihm um. „Mikey wollte, dass wir trotzdem unser Date haben. Aber ich kann das nicht."
Ihr kamen die Tränen. Zum Glück hatte sie daran gedacht, wasserfeste Wimperntusche aufzutragen.
Warum dachte sie jetzt an sowas? Das war doch so eine Nebensächlichkeit, verglichen mit dem, was vor drei Tagen passiert war!„Das müssen wir auch nicht."
„Aber ich will. Ich habe es ihm versprochen!" Sie wusste selbst nicht wirklich, was sie wollte. Aber Mikeys Versprechen zu brechen gehörte ganz sicher nicht dazu.
Henry nickte. „Ich überlege mir etwas." Er legte ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie sanft in Richtung Tür. „Wir müssen jetzt los, Katy."
Sie nickte und tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab.
Der Friedhof, auf dem Mikey beerdigt werden sollte, lag ein kleines Stück außerhalb der Stadt auf einem kleinen Hügel.
Unpassenderweise schien die Sonne, die Temperaturen waren bis auf 20°C gestiegen und am Himmel zeigte sich keine Wolke.
„Kann es nicht wenigstens regnen?", fragte Kate unwillig, als Henry und sie ihr Auto am Fuß des Hügels abstellten, um die restlichen Meter zu Fuß zu gehen.
Er bot ihr schweigend seinen Arm, damit sie sich auf ihn stützen konnte. Sie wusste, dass es für ihn ebenfalls schlimm gewesen war, Mikey zu verlieren, aber er hatte nie vor ihr so sehr getrauert, wie sie es tat.
Nur manchmal, wenn er meinte, sie würde es nicht mitbekommen, hörte sie ihn nachts leise weinen oder bemerkte, wie er das gerahmte Foto des Jungen anstarrte, das Kate auf der Kommode im Flur neben die Blumen gestellt hatte.
Kate und Henry gehörten zu den letzten, die eintrafen. Auf der kleinen Wiese neben dem Friedhof hatte jemand in zwei Blöcken einige Stühle aufgebaut, auf denen die Trauergäste saßen. Vorne war der Sarg aufgebahrt worden, neben dem der Pastor aus Kates Gemeinde stand und mit Mikeys Vater redete.
Kate und Henry hatten Brian Williams in der letzten Woche zweimal zum Mittagessen eingeladen und gemeinsam mit ihm zu trauern, tat Kate in gewisser Hinsicht gut, da Mikeys Vater jedes Mal neue Geschichten seines Sohnes erzählte, die ihr Mikeys Bild lebendig vor Augen holte.
Sie hatte Angst, ihn zu vergessen und wusste, dass das mit Sicherheit passieren würde, aber sie würde alles dafür geben, dass das nicht zu früh geschah.
Henry führte sie in die zweite Reihe, wo Lynn, Daniel und Ryder Plätze für sie frei gehalten hatten. Vor ihnen saßen Mikeys Mutter mit ihrem neuen Freund und dessen Familie und auf der anderen Seite sein Vater mit der kleinen Jenny Davis und deren Eltern.
Von dem, was der Pastor sagte, bekam Kate nicht viel mit.
„Du bist dran." Henry stieß sie leicht in die Seite und weckte sie aus ihrer Starre. Kate stand auf und ging steif nach vorne, wo ihr Pastor ihr mit einem beileidigen, dennoch ermutigenden Lächeln zunickte.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, zuzusagen, als sie von Brian gefragt worden war, ob sie ein paar Worte zu Mikey würde sagen können?
Sie räusperte sich und sah nervös auf die ganzen trauernden Menschen, die sie erwartungsvoll anschauten. Sie hatte so etwas noch nie gemacht und wusste nicht, was von ihr erwartet wurde. Dann blieb ihr Blick an Henry hängen und das gab ihr die Kraft, anzufangen, anstatt sich weinend zurückzuziehen.
„Mikey Williams war ein Sonnenschein", begann sie mit zitternder Stimme. „Ich wünschte, ich hätte ihm öfter gesagt, wie sehr er mir geholfen hat, in den verschiedensten Situationen. Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung. Er war entrüstet, dass eine meiner Kolleginnen kein Football mochte."
Sie musste leise lachen, bei der Erinnerung an Mikeys empörten Blick.
„Ich habe als seine Ärztin viel Zeit mit ihm verbracht und es war nie meine Intention, mich mit ihm anzufreunden, aber er hat es mir leicht gemacht, ihn zu lieben, wie einen kleinen Bruder." Sie stockte. „Ich glaube, er hat es jedem von uns leicht gemacht, ihn zu lieben. Er war selbst voller Liebe, Unerschütterlichkeit und überschäumender Freude. In den vier Monaten, in denen ich ihn behandelt habe, habe ich viel von ihm gelernt. Allem voran zu kämpfen. Denn irgendwann, früher oder später, kommt immer die Zeit, in der man um das kämpfen muss, was man liebt. Mikey musste das viel zu früh erfahren, aber er hat heftiger gekämpft als viele andere es getan hätten. Und er hat diesen Kampf nicht verloren, sondern er hat gewonnen. Er hat den Siegeskranz errungen und ist ins Ziel eingelaufen."
Sie musste an den Vers aus dem ersten Korintherbrief denken, den Mikey so faszinierend gefunden hatte.
„Deswegen denke ich, können wir heute sagen, er hat nicht gegen den Krebs verloren, sondern er hat das ewige Leben gewonnen. Den größten Preis überhaupt." Sie warf einen Blick auf den Sarg. „Und ich danke Gott jeden Tag für die Zeit, die ich ihn kennen durfte. Es war ein wahres Geschenk." Sie sah Mikeys Eltern an. „Danke."
Als sie nach vorne aufgerufen worden war, um etwas zu sagen, hatte sie Angst gehabt, es nicht zu schaffen, ohne von einem erneuten Weinkrampf unterbrochen zu werden, aber tatsächlich hatte sie es geschafft.
Mit zitternden Beinen setzte sie sich wieder neben Henry, der sofort seinen Arm um sie legte und sie fest an sich drückte.
Erst als sie vor dem offenen Grab standen, der Pastor noch einige Segensworte sprach und anschließend Staub auf den Sarg streute, kamen ihr wieder die Tränen.
Nacheinander gingen die Trauernden zum Sarg, um sich zu verabschieden und schließlich spürte Kate Henrys sanften Händedruck.
„Lass uns auch hingehen", sagte er leise und obwohl sie alles in Kate dagegen sträubte, Mikeys Tod zu besiegeln, folgte sie ihm.
Zögerlich hielt sie die Rose in der Hand, bevor sie sie ins Grab hinunterwarf. Diese Endgültigkeit schmerzte sie zutiefst.
Sie schluchzte laut auf, und als ihre Beine unter ihr nachgaben, hielt Henry sie fest und führte sie sanft vom Grab weg, wo sie sich auf einen der Stühle sinken ließ.
„Katy, sieh mich an."
Sie blickte auf und sah ihn vor sich hocken. Der Schmerz in seinen Augen zog ihr den Boden unter den Füßen weg.
„Ich vermisse ihn auch", flüsterte er. „Und es ist hart zu sagen, dass das Leben weitergeht, aber es bleibt nicht stehen, auch wenn die Dinge kompliziert und einfach nur doof werden." Er sah sie ernst an. „Aber der Punkt, an dem wir am tiefsten sind, ist der, wo wir zum Himmel aufschauen."
Kate hob den Kopf. Der Himmel war noch immer blau und die Sonne strahlte warm auf sie nieder. So gutes Wetter war die letzten Wochen nicht gewesen.
„Wir dürfen wissen, dass er jetzt bei Jesus ist und es ihm dort gut geht, Katy. Bei allem Trauern, vergiss das nicht." Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest. „Ich glaube fest, dass dort eine riesige Party gestartet hat, als er endlich nach Hause gekommen ist. Und diese Feier wird nie aufhören."

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Whatever It Takes
Teen FictionEs ist ein Jahr her, dass Henry O'Ryan Kate McKinnley heiratete und noch immer ist sie die Frau seines Lebens - bis ein Unfall das Leben des jungen Ehepaars komplett auf den Kopf stellt. Henry sitzt im Rollstuhl - doch als wäre das nicht genug, wird...