15: Eine neue Chance

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Lijana:
„Hey! Na endlich! Ich dachte du wärst auf dem Weg nach Hause von einem Hai verspeist worden und hab mir bereits überlegt was ich jetzt machen soll. Ich hatte wirklich Angst wieder alleine mit den Idioten zu sein", sprudelte aus Marvin am anderen Ende der Leitung heraus. Auch wenn ich total nervös war konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Ich wusste nicht wie er das immer anstellte mich zum Lachen zu bringen. Er redete einfach so viel Schwachsinn auf einmal, sodass man fast keine andere Möglichkeit hatte, als laut loszulachen. „Sorry ich hatte Zuhause etwas Stress und bin dann zum Wasser runtergeflüchtet, weil ich einfach Zeit gebraucht habe, um nachzudenken", entschuldigte ich mich. „Ok, ich verstehe zwar nicht wieso man sich bei der Kälte freiwillig nach draußen setzt, aber egal. Du willst sicherlich wissen, was meine Mutter gesagt hat", kam Marvin nun endlich auf den Punkt. Ich war erleichtert, dass er nicht sauer auf mich ist und das alles wie immer mit Humor nimmt. „Ja", krächzte ich hervor. Ich wusste nicht wieso meine Stimme auf einmal versagte. Könnte wahrscheinlich daran liegen, dass mir das Herz bis zum Hals klopfte. Ich bekam kaum mehr Luft. „Lijana? Lebst du noch?", fragte er beunruhigt. „So fast, aber wenn du mir nicht sofort sagst, was deine Mutter gesagt hat, dann werde ich wohl oder übel nicht mehr lange leben und dann wirst du wieder alleine mit den Idioten in der Klasse sitzen", sprudelte es aus mir heraus. Ich hatte so ziemlich alles was mir noch auf der Zunge gelegen ist aus mir herausgepresst. „Ok, jetzt machst du mir Angst", kam es von Marvin. „Jetzt beeil dich", flehte ich ihn an. „Ok, ok ich fang ja schon an", sprach er endlich die Worte aus, die ich mir so herbeigesehnt hatte. „Jetzt mach schon", drängelte ich. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er wieder stundenlang um den heißen Brei herumreden wird. „Ok, willst du die Kurz oder Langfassung?", wollte er wissen. „Kurz", antwortete ich blitzschnell. Jetzt beeil dich! Mein Herz raste! Ich hielt die Luft an und hörte gebannt zu, wie er endlich anfing zu erzählen. „Also meine Mutter hat sich deine Geschichte sehr ausführlich angehört und findet es eine gute Idee, dass du es mal ausprobieren willst. Sie hat aber gleich gesagt, dass es kein Selbstläufer wird. Also sie meint damit, dass es nicht so ist, wenn du die Prothese hast, dass du gleich wieder Handball spielen kannst. Es wird sich einige Wochen ziehen, bist du anfangen kannst wieder Handball zu trainieren. Du musst halt erst wieder Muskeln aufbauen, dich an die Prothese gewöhnen, aber das Gelaber kennst du ja sicherlich schon", begann er zu erzählen. Ich spürte wie sich mein Herz langsam wieder entspannte und ein breites Lächeln sich auf meinen Lippen bildete. Ich werde wieder spielen können! Ich konnte es wirklich noch nicht fassen. Ich hatte diesen Traum aufgegeben, aber mit etwas Glück werde ich vielleicht in ein paar Monaten wieder Sprungwürfe von meiner geliebten Außenposition machen können. Es fühlte sich alles so surreal an. Als wäre das alles nur ein wunderschöner Traum. Doch das war die Realität! War es die Realität? „Kannst du mich mal kneifen", fragte ich gedanklich in meiner Traumwelt versunken. „Geht leider schlecht! Aber wenn du ein Beweis willst, dass du das alles nicht träumst, dann gebe ich dir hiermit die Bestätigung, dass wir uns in der Realität befinden", antwortete er und ich konnte ihn breitgrinsend vor seinem Smartphone sitzen sehen. „Hat sie noch was gesagt?", fragte ich komplett fassungslos. Ich glaube ich werde noch einige Tage brauchen, bis ich begreifen werde, was hier gerade geschieht. Höchstwahrscheinlich werde ich es erst realisieren, wenn ich dann zur Vermessung und so bei seiner Mutter in der Firma stehen werde. „Ja, dass du wenn du willst nächsten Montag nach der Schule vorbeikommen könntest, denn da hätte sie am Nachmittag nämlich frei und könnte sich um dich kümmern", fuhr er fort. Nächsten Montag? Warte! Das sind nur noch fünf Tage! Bitte was? Hilfe, ich glaube ich hyperventiliere gerade vor Freude! „Lijana? Bist du noch da?", riss mich seine Stimme wieder aus den Gedanken. „Ja, aber nur körperlich", antwortete ich und daraufhin konnte ich sein herzhaftes Lachen durch die Leitung hören. „Also das bin ich mittlerweile von dir gewohnt", meinte er lachend. „Ich bin eben ein Mensch der viel denkt", verteidigte ich mich. „Ich denke zwar auch, aber ich verbinde den Teil von denen mit Sprechen und dann kommt der Teil den ich mir gerade denken eben bereits schon aus meinem Mund heraus", erklärte Marvin. Ich war etwas verwirrt, spielte ihm aber vor, dass ich verstanden hatte, was er mir gerade mitteilen wollte. „Danke, du weißt gar nicht wie glücklich du mich gerade gemacht hast", strahlte ich. „Kein Ding, hab ich gerne gemacht", winkte er ab. Ich grinste in mich hinein. „Ich wette du grinst gerade wie ein Honigkuchenpferd", schätzte Marvin und ich konnte nicht widersprechen. Ich grinste als wäre ich auf Drogen. Aber ich war gerade einfach so überglücklich. Ich wurde von einem Klopfen aus den Gedanken gerissen. Ich hatte noch gar nicht realisiert, dass es an meine Zimmertür geklopft hatte, da steckte Niklas bereits seinen Kopf zur Tür herein. „Lijana?", fragte er vorsichtig. „Ja?", antwortete ich und ließ panisch mein Handy fallen, das mit einem Knall auf dem Boden landete. „Was machst du?", fragte mich mein Bruder. Ich war nicht in der Lage zu sprechen und versuchte ihm irgendwie pantomimisch darzustellen, was ich sagen wollte. Er nickte etwas verwirrt. „Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass wir jetzt ins Training müssen! Willst du mit?", erklärte er seinen Grund für die Störung. Ich schüttelte nur den Kopf, während ich anlief wie eine Tomate und immer noch so dumm grinste. Ich glaube Niklas hält mich gerade wirklich für komplett bescheuert. „Ok, dann gehen wir! Dann viel Spaß bei dem was auch immer du gerade machst", meinte Niklas und schüttelte den Kopf. Er wollte gerade die Tür schließen, dann rief ich panisch „Halt!" Er blieb verwirrt im Türspalt stehen. Ich fischte die Jacke von Gisli von meinem Schreibtischstuhl. „Kannst du die Gisli wiedergeben und dich bei ihm von mir bedanken?", fragte ich ihn. „Na klar", meinte Niklas, nahm die Jacke entgegen und verschwand aus meinem Zimmer. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, atmete ich erstmal tief durch, bevor ich mein Handy wieder unter dem Bett herausfischte. Das war mal ein mega komischer Auftritt! Erleichtert stellte ich fest, dass nur meine Schutzfolie einen leichten Sprung hatte, dass Display war heil geblieben. Ein kaputtes Handy hätte ich jetzt gar nicht gebrauchen können! „Wer war na des?", hallte nun wieder Marvins Stimme in mein Ohr, der anscheinend immer noch in der Leitung war und das ganze Gespräch mit anhören konnte. „Mein großer Bruder", antwortete ich. „Geil der hat den gleich Akzent wie du", quiekte Marvin. Ich schlug mir die flachen Hand an die Stirn. Der Hellste war Marvin jetzt nicht wirklich. „Ich kommentiere das jetzt mal nicht", seufzte ich. „Und wer ist Gisli?", kam es interessiert von Marvin. „Einer vom THW Kiel", antwortete ich. „Ok kenn ich nicht, aber die Frage ist wieso hast du seine Jacke?", grinste Marvin. Ich konnte mir sein Gesichtsausdruck denken! „Weil er mir seine Jacke geliehen hat, nachdem ich ihm ins Fahrrad gelaufen bin unten am Wasser", erklärte ich. „Aha.... Du weißt aber, du darfst dir keinen Jungen ohne meine Erlaubnis  angeln. Dasselbe gilt auch für mich", stellte er die Spielregeln klar. „Keine Sorge, ich will nichts von ihm", antwortete ich kopfschüttelnd. „Muss ich noch irgendwas machen oder kann ich am Montag dann einfach bei deiner Mutter aufkreuzen?", erkundigte ich mich um von meinem Bruder abzulenken. „Ja Einverständniserklärung von deinen Eltern", antwortete Marvin. Fuck! Ich hatte gehofft da einfach mal vorbeischauen zu können, doch jetzt musste ich es wohl oder übel den beiden sagen. Na toll! Wie werden sie reagieren? Ich überlegte wer es eher erlauben könnte? Meine Eltern? Meine Mutter wäre bestimmt dagegen, weil sie zu sehr Angst hätte. Mein Vater würde es wahrscheinlich unterstützen, aber ich wollte nicht, dass sich die beiden wieder wegen mir streiten mussten. Also hatte ich keine andere Wahl als meine Brüder zu überzeugen. Wir redeten noch etwas über die Schule bevor Marvin dann Schluss machen musste, weil er noch etwas zu erledigen hatte. Ich ließ mich gedankenverloren in mein Bett zurückfallen und überlege fieberhaft, wie ich Magnus und Niklas von der Sache mit der Prothese überzeugen könnte.

Until I met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt