Angst und Liebe

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Eine Verletzung wie die, die Harley davongetragen hatte, brachte viele Konsequenzen mit sich. Auch wenn man die Selbstverständlichen ausschloss, war sie noch immer sehr eingeschränkt. Laufen hatte sich in den ersten paar Tagen als sehr kompliziert erwiesen, was auch alle Dinge, die irgendeine Form von Bewegung beanspruchten, nun um einiges schwieriger machte. Dann war da noch das andere Problem, dass der Arzt ihrem Geliebten erklärt hatte, bevor dieser ihn in die Luft gejagt hatte. Natürlich verbrachte er nun sehr viel Zeit an ihrer Seite, trotzdem war es nicht das Gleiche, auch wenn sie sich so nahe standen wie fast noch nie, das Gefühl hatte sie jedenfalls. Sogar die Hyänen hatten seine ständige Anwesenheit akzeptiert. Trotzdem ersetzte das tägliche Kuscheln, die tiefgründigen Gespräche, das gemeinsame Lachen, das sie versuchen musste zu unterdrücken, denn sonst schmerzte es zu sehr, oder einfach das gemeinsame Schweigen und an die Decke Starren nicht den innigen und intimen Körperkontakt, den sie gewohnt war. Sie vermisste auch ihre beste Freundin. Sie hatte erwartet, dass sie sie vielleicht mal besuchen würde, oder sich wenigstens mal melden würde, doch es gab kein Lebenszeichen von ihr. Eventuell hatte sie einfach Angst vor dem Grünhaarigen, der gerade im Halbschlaf neben der Verbrecherin lag und eine Hand auf ihren Bauch gelegt hatte, aber sie musste doch schon im Kontakt mit ihm gewesen sein, um ihn über ihre Lage von vor ein paar Wochen zu berichten. Bud lag bei ihren Füßen und lehnte an ihrem Schienbein, während Lou auf dem Rücken liegend direkt neben ihrer Seite des Bettes schnarchte. Ihr Blick wanderte zur goldenen Uhr, die auf ihrem Nachttisch vor sich hin tickte. Der kleine Zeiger ruhte auf der neun, der große näherte sich langsam der zwölf. Nur das rote und rosa Licht eines wunderschönen Sonnenuntergangs schimmerte durch die engen Spalten in den Vorhängen vor den großflächigen Fenstern. Harley atmete scharf ein. Sie wollte und konnte sich kaum bewegen, so sehr schmerzte es. Meistens schloss sie einfach die Augen und träumte von wie es hätte sein können. Sie, ihr Puddin', ein Kind... Das wäre das schönste in der Welt. Doch es waren nur Träume. Nun würde es niemals Wahrheit werden. Sie spürte wie ihre Lider schwer wurden, und sich ganz langsam von selbst schlossen. Vielleicht würde sie gleich an einen Ort kommen an dem sie frei war, frei von Schmerz, frei von Bewegungslosigkeit, frei von Trauer... Vielleicht würde sie ja endlich mal ihre kleine Freundin wiedersehen. Sie hatte sie schon lange nicht mehr besucht.

Sie erwachte wieder als sie hörte wie eine große Tür zugeschlagen wurde. Ihr Blick traf auf eine graue, grell beleuchtete Decke. Sie musste blinzeln um ihre Umgebung genau zu erkennen. Das weiße Licht stach wie kleine Nadeln auf der Oberfläche ihrer Augen. Sich umschauend bewegte sie sich langsam auf zwei Gestalten zu, eine in schwarz gekleidet und eine in weiß. Dieser Raum kam ihr überhaupt nicht bekannt vor. Er erinnerte sie an ein Krankenhauszimmer. An eines, das man aus den Filmen kannte. Eines, das Bösewichte in ihren Kellern verbargen um an irgendwelchen Leichen herumzuoperieren. Irgendwas sagte ihr, dass sie sich in genau so einem befand. Und direkt neben ihr stand wahrscheinlich der Betreiber dieses kleinen, geheimen Labors. Ihm gegenüber befand sich jemand mit einem Gesicht, in das sie sehr gerne gespuckt hätte, aber in ihrer geisterhaften Gestalt war das wohl leider unmöglich. In ihrer Gegenwart, in der sie gerade friedlich, jedoch von Schmerzen durchzogen, neben ihrem Puddin' und ihren zwei Lieblingen lag und schlief, war dieses Gesicht ein bleiches, totes Gesicht, das irgendwo am Grund des Gotham-Rivers vor sich hin rottete. Der flügellose Vogel. Der Pinguin. Er unterhielt sich gerade mit einem kleinen Mann, der einen reinweißen Kittel trug. Seine Augen verbarg er hinter einer roten Brille. Seine Lippen waren immer zu einem fiesen Ausdruck verzogen, welcher, während er redete, tiefe Falten um seinen Mund bildete. „Ich hoffe doch du hast etwas für mich, Hugo." „Davon bin ich überzeugt, Oswald", sagte Hugo in einer seltsamen Stimme und grinste, was jedoch so durch seinen normalen Ausdruck verhindert wurde, dass sich sein Mund einfach zu einem geraden Strich verbog. Er führte den wohl derzeitigen König Gothams durch eine große, metallene Tür auf der anderen Seite des „Krankenhauszimmers". Der Pinguin watschelte ihm hinterher und Harley fiel auf, dass er noch nicht humpelte. Ganz im Gegenteil, er hatte sogar einen leicht federnden Gang. Harleys Geistergestalt folgte ihnen. Sie verstand noch nicht ganz den Grund dafür, dass sie hier war, so weit sie bis jetzt sehen konnte, hatte dies alles nichts mit dem Joker oder irgendwem anders zu tun, der ihr am Herzen lag. Und die Furcht davor, dass es das doch tat, saß ihr tief und fest im Magen. Sie spürte wie dieser sich umdrehte als sie den nächsten Raum betrat. Beziehungsweise hätte es gespürt, wenn ihr Körper nicht einfach aus unsichtbarem Nichts bestanden hätte. Mehrere metallene Tische standen in einer Reihe auf der einen Seite des langen, halb abgedunkelten Raums. Auf der anderen brummte eine Maschine tief wie ein alter Dampfzug, mehrere Monitore flackerten an dessen kupfernen Oberfläche vor sich hin. Die meisten zeigten gar nichts an, nur auf drei der Bildschirme konnte man unbewegte Diagramme erkennen, die aussahen wie die von Herzfrequenzmessern. An wen auch immer diese angeschlossen waren, ihre Herzen pumpten kein Milliliter Blut mehr durch ihre Adern. Zufälligerweise waren genau drei der metallenen Tische belegt. Unter reinweißen Tüchern lagen drei Körper, alles tote Männer, von der Form her zu urteilen. Hugo hatte den Pinguin an die Seite des einen Tisches geführt und das weiße Laken zurückgezogen. Ein bleiches, unscheinbares Gesicht kam zum Vorschein, jedoch eins, das ihr nicht bekannt war. Die zwei unterhielten sich etwas, worüber wusste sie nicht, denn sie hörte nicht zu. Der dritte und letzte Körper lag ein paar Tische entfernt, abseits der anderen zwei. Genau das weckte ihr Interesse. Während ihre unwissenden Begleiter zum zweiten gingen, bewegte sie sich also in die Richtung des dritten. An einem Infusionsständer neben dem reglosen Körper hingen mehrere Schläuche und Kabel, alle nicht in Benutzung, abgesehen von einem, das an dem Handgelenk des Toten befestigt war. Dieses führte wohl zu dem Monitor an der summenden Maschine gegenüber. Das war aber unwichtig. Denn die schlaffe Hand, an dem dieser Sensor angeschlossen war, lugte von unter dem reinweißen Laken hervor. Harleys nichtvorhandenes Herz fing an doppelt so schnell zu klopfen, wie das eines viel kleineren Tiers. In diesem Moment war sie eigentlich froh, dass sie keins hatte, denn sonst hätte sie vielleicht ein Herzinfarkt bekommen. Die Hand war weiß, genauso weiß wie die, die gerade auf ihrem Bauch lag.

Emergency Exit Madness - Abgebrochen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt