Menschlich

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Er war doch eigentlich ein ganz normaler Mensch. Er atmete wie ein Mensch, sein Herz schlug wie das eines Menschen. Und doch bezeichnete man ihn als Monster, als Unmensch, jemand, der nicht hierhergehörte. Doch sie hatte seine menschliche Seite kennengelernt, seine liebende Seite, wovon er nicht einmal selbst wusste, dass sie existierte. Sie liebte ihn über alles und nun wusste sie, dass er sie auch liebte. Wenn auch nicht freiwillig. Er wollte diese Gefühle nicht haben, weil er dann eine Schwachstelle haben würde. Doch er hatte sie als Stärke bezeichnet. Zusammen waren sie stark. Fahles Mondlicht schien durch einen Spalt in den Vorhängen und beleuchtete seinen Körper. Sie beobachtete seinen Brustkorb, wie er gleichmäßig ein und ausatmete. Er war wunderschön. Und auch wenn er nicht aussah wie ein normaler Mensch, auch wenn er nicht handelte und dachte wie ein normaler Mensch, hinter dieser Fassade verbarg sich ein Herz, dass lieben konnte. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sie zog die Decke weiter über ihren Körper und schloss die Augen, wissend, dass sie neben der Liebe ihres Lebens lag. Und langsam glitt sie in einen festen Schlaf.

Sie blinzelte als warmes Sonnenlicht ihre Haut kitzelte. Sie schlug ihre Augen auf und blickte sich verwirrt um. Sie lag nicht mehr in einem Bett, sondern lehnte an einer steinernen Marmorsäule, die zusammen mit vielen anderen ein riesiges Gebäude stützte. Eine lange Treppe führte zu einem großen Holzeingang, durch den viele Leute ein- und ausgingen. Dieses Bauwerk war Harley sehr vertraut. Es war Gotham College, an dem auch sie studiert hatte, ganz gegen den Willen ihrer Eltern. Sie versuchte sich zu bewegen, doch wie in ihrem letzten Traum, an den sie sich auf einmal wieder erinnerte, war es ihr nicht möglich. Plötzlich hörte sie Stimmen, ganz nah bei ihr. Sie wandte den Kopf in dessen Richtung. Da stand eine junge Frau. Sie trug eine lange, graue Wolljacke und eine einfache, schwarze Hose. Sie war schlank und schön, mit dunkelblonden, schulterlangen Haaren und glänzend blauen Augen. Ihre Arme umschlungen zwei große Bücher und neben ihr stand ein schwarzer Koffer. Sie war wohl neu hier. Ihr gegenüber lehnte jemand ebenfalls an der Säule. Jedoch konnte Harley nichts außer ein paar rote Haarsträhnen und ein Stück von einem grünen Kleid erkennen. Sie sprachen miteinander. „Also Jean, wir müssen nur noch auf Isa warten. Sie wollte mir helfen dir alles hier zu zeigen. Sie hat das Insiderwissen." Jean nickte. Der Rotschopf hatte eine sehr schöne, ruhige, tiefe Stimme, die Harley irgendwie bekannt vorkam. „Du bist übrigens mit in meinem Haus. Wir sind Nachbarn. Meine frühere Nachbarin hat letzten Monat ihren Abschluss gemacht. Hab seit dem nichts mehr von ihr gehört." Plötzlich kam noch eine dritte Stimme dazu. „Guten Morgen Pammy!" Eine blonde Frau mit Brille hatte sich dazu gesellt. Pammy? War das vielleicht Ivy? „Darf ich vorstellen? Das ist Jean, Jean, das ist Isa." Die Neue lächelte sie an. „Am besten bringen wir deinen Koffer erstmal zu unserem Haus, dann sehen wir weiter. Was studierst du denn?" Isa schien ziemlich vorlaut zu sein. „Chemie", antwortete Jean und lächelte. „Du Glückspilz...", hörte Harley die Blondine sagen. Die Chemie-Studentin schaute diese verwundert an. „Du darfst mit ihm zusammen studieren", meinte Pammy lachend. Jean zog die Augenbrauen hoch. „Sie meint ihn", murmelte Isa und zeigte unauffällig hinter sich, wo sich der Parkplatz befand. Dort lehnte ein junger Mann an einem schwarzen Motorrad und unterhielt sich mit einer anderen Studentin, die ein etwas zu kurzes Kleid trug. Jean legte den Kopf schief. „Und was ist an ihm so besonders?" „Schau ihn dir doch einfach mal an..." Harley tat was sie sagte, obwohl die Aufforderung ja gar nicht an sie gegangen war. „Das ist Jack Napier. Ebenfalls Chemie-Student, sowie du. Er wurde letztes Jahr von uns Mädchen zum bestaussehenden Studenten hier an Gotham College gekürt. Ohne sein Wissen, natürlich." Es war ein leises Kichern zu hören. Harley verengte die Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Jack schien sich nicht richtig mit dieser Kurzbekleideten zu unterhalten. Es sah eher so aus, dass er ihr nur so halb zuhörte. „Und das Beste an ihm ist, dass er als einziger von allen männlichen Studenten hier Stella ablehnt." „Stella?" „Die da", Isa zeigte auf das Mädchen mit dem sich Napier „unterhielt", „Er ist der einzige, dem sie hinterherrennt. Sonst ist es umgekehrt." Plötzlich stand Jack auf, meinte kurz noch was zu Stella, und ging langsam auf die Treppen zu. Und dann erkannte Harley ihn. Das war der Junge aus ihrem letzten Traum, nur viel älter und erwachsener. Er ging an ihnen vorbei, während es bei den Mädchen plötzlich ganz still wurde. Keine Sekunde nachdem er durch die Tür gegangen war, fing Isa wieder an zu labern. „Er hat sich in den letzten fünf Jahren extrem verändert. Ich war mit ihm in der High-School. Stell ihn dir einfach etwas kleiner und dünner vor und immer vollkommen in schwarz gekleidet. Scheu, unauffällig, leise. Definitiv nicht das, was gerade an uns vorbeigegangen ist." Harley hörte aufmerksam zu. Irgendwas sagte ihr, dass das hier wichtig sein könnte. Und was Isa da gerade gesagt hatte, bestätigte, dass sie den Jungen wirklich aus ihrem letzten Traum kannte. „Viele denken, dass irgendwas in der Familie passiert ist und dass er sich darum so sehr verändert hat. Dabei hat noch nie jemand irgendeines seiner Familienmitglieder gesehen." Seine Mutter war ja gestorben, aber das wusste Harley hier wohl als einzige. Wo sein Vater oder seine kleine Schwester waren, wusste sie dann doch nicht. Plötzlich vernahm sie ihr Gerede nur noch als Murmeln. Sie schaute sich verwirrt um, als auch ihre Sicht verschwamm und alles langsam dunkler wurde. Bis sich das Bild vollkommen verändert hatte. Ein beißendes weiß zierte die Wände, eine Frau in weißem Kittel saß hinter einem Tresen und ein paar Bänke standen an den Wänden. Insgesamt sah es hier aus wie eine freundlichere Version des Arkham Asylums. Während sie sich noch so umschaute, wurde die Vordertür geöffnet und ein bekannter, junger Mann trat ein. Die Frau am Tresen schaute auf. „Guten Abend Jack." „Abend Dr. Jones", sagte er, während er auf sie zuging. „Dr. White ist noch in einer Besprechung, sollte aber gleich fertig sein." Bei dem Namen lief es Harley kalt über den Rücken. Was machte dieses Arschloch hier? „Aber meine Praktikantin bringt dich schon mal zu Jamie." Er nickte lächelnd, während Dr. Jones aufstand und um die Ecke einen Namen rief, den Harley wieder in Schock versetzte. „Harleen!" „Ja?", kam es in einer Harley sehr bekannten Stimme und eine junge Teenagerin kam durch eine Tür hinterm Tresen. Das hatte sie vollkommen vergessen. Sie hatte hier ein Praktikum gemacht während sie noch an der High-School gewesen war. Das hier war also die Kinderpsychiatriestation. „Würdest du diesen jungen Mann bitte zu Jamie Napier bringen?" Die kleine Harley nickte und ging um den Tisch herum. Harley erinnerte sich sogar an diesen Tag. Und eigentlich wollte sie gar nicht mitgehen, weil sie wusste, dass es ziemlich peinlich für sie enden würde. Aber ihre Füße bewegten sich automatisch mit, wie immer konnte sie sie nicht kontrollieren. Sie folgte den beiden durch einen langen Flur, der wie die Eingangshalle vollkommen weiß war. „Sind Sie Jamies Vater?", fragte Harleen plötzlich. „Bruder", meinte Jack nur knapp mit einem Lächeln. Harley musste sich ein Lachen verkneifen. „Stimmt, Sie sehen auch ein bisschen zu jung aus." Sie hätte sich vor die Stirn klatschen können. Nun herrschte wieder eine peinliche Stille zwischen den beiden. Harley folgte ihnen auf leisen Sohlen, obwohl sie wusste, dass sowieso niemand hier sie sehen, geschweige denn hören konnte. Ein paar Flure und Türen später, blieb Harleen stehen. „Ich denke Sie sollten alleine zu ihr gehen." Sie zeigte auf eine weiße Tür. Jack nickte, lächelte der Praktikantin nochmal zu und wandte sich dann von ihr ab. Harley folgte ihm, dummerweise fiel die Tür jedoch vor ihrer Nase zu. Ihre Füße blieben abrupt stehen. Verdammt... Sie versuchte zu lauschen, als ihr Körper sich plötzlich wieder in Bewegung setzte. Sie zog die Arme hoch, um nicht gegen die Tür zu knallen und kniff die Augen zusammen, doch es passierte nichts. Plötzlich hörte sie die Stimmen ganz deutlich. Sie öffnete die Augen und schaute sich verwirrt um. Sie war nicht mehr im Flur, sondern in einem Zimmer. Weiße Wände, weiße Gardinen, weißer Tisch, alles in weiß. Und auf dem weißen Bett saß Jack neben einem kleinen Mädchen, welches ihn müde umarmte. Sie sah aus wie vier oder fünf Jahre alt, ihre Haare hatten die selbe Farbe wie die ihres großen Bruders, jedoch waren sie matt und dünn, wie die ihrer damals sterbenden Mutter. Sie trug ein schwarzes Kleid, ein Kontrast zu ihrer Umgebung. Ihre Arme, die Jacks Bauch umschlungen, sahen sehr dünn aus und unter ihren geschlossenen Augen prangten dunkle Augenringe. Insgesamt sah das kleine Mädchen ziemlich krank aus. Harley legte den Kopf schief. Schon wieder schoss ein Pfeil von Mitleid durch ihre Brust. Jamie schaute auf. Ihre Augen waren ein wunderschönes, stechendes grau. Was seltsam war, war jedoch, dass sie Harley direkt anschaute. Genauer gesagt, sie starrte sie an. „Jack...", sagte sie leise, fast schon ängstlich. „Hm?", ihr großer Bruder schaute sie besorgt von oben auf sie herab. „D-da ist schon wieder einer!" Jack schaute Harley ebenfalls an. Diese schluckte. Konnte man sie etwa doch sehen? Denn dann würde sie vollkommen nackt vor ihnen stehen. Aber sie war doch gerade durch eine Wand gegangen, sie konnte nicht aus Fleisch und Blut bestehen. „Da ist doch niemand, Jamie", sagte Jack nach einer Weile und schaute wieder seine kleine Schwester an. Plötzlich konnte man hören wie die Tür geöffnet wurde und irgendjemand ging durch Harley durch. Sie kniff die Augen zusammen. Das war nicht besonders angenehm. Eine Frau mit langen, grauen Haaren stand nun vor ihr und versperrte ihre Sicht. „Guten Tag Dr. White." Dr. White? Sag bloß der Idiot hatte eine Frau? Psychologenfamilie? „Guten Abend Jack." Plötzlich wurden die Stimmen wieder zu Murmeln. Harleys Sicht verschwamm wieder zu einem weißen Meer. Und dann wurde alles schwarz.

Ich weiß nicht ob heute der beste Tag zum Hochladen ist, aber egal. 😊
Ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr. Ich hoffe ihr seid gesund und nicht erkältet wie ich... Wenn doch, dann gute Besserung 😊
Ich denke ich muss mich dafür entschuldigen, dass jetzt so lange nichts mehr kam. Familienangelegenheiten, Prüfungen und so weiter. Das hat mich einfach runtergezogen und ich bin nicht zum Schreiben gekommen. Ich hoffe ihr versteht das. Ich hoffe das Kapitel gefällt euch.
Frohes Neues 😘

Emergency Exit Madness - Abgebrochen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt