Zweisamkeit

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Sie zielte gerade an die Decke, als es plötzlich klopfte. Die Blondine ließ den roten Ball fallen und stand auf, Bud und Lou tippelten ihr hinterher. Der Joker konnte es nicht sein. Er würde einfach reinkommen. Harley öffnete die Tür. Sie war nicht überrascht, als sie Jonny gegenüberstand. „Boss will dich sprechen", meinte er schnell, bevor sie irgendetwas sagen konnte, „Du solltest dir etwas Wärmeres anziehen." Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ehm... Okay, warte kurz." Sie schloss die Tür wieder und schaute an ihr herab. Das weiße Trägertop war wohl wirklich zu kalt. Sie schnappte sich die schwarz-rote Bomberjacke, die über dem Sessel hing. „Ich komm gleich wieder", flüsterte sie mit einer süßen Stimme den kleinen Hyänen zu, griff noch nach dem Revolver, der auf der Kommode lag und marschierte durch die Tür. „Wo gehen wir hin?", fragte sie im Vorbeigehen und schaute kurz über ihre Schulter. Jonny folgte ihr. „Ich hab keine Ahnung." „Oh... Okay..." Es dauerte nicht lange bis der Bärtige sie eingeholt hatte. „Ich soll dich nur zu ihm bringen." Sie zuckte mit den Achseln und folgte ihm einfach, bis sie bei einer großen, mal wieder schwarzen Tür, mit einem goldenen Grinsen drauf ankamen. Das war wohl sein Büro. Doch sie brauchte gar nicht mehr reinzugehen, denn er lehnte mit einem Grinsen, das dem, dass die Tür schmückte, sehr ähnlich sah, an der weißen Wand daneben. „Abend Harley." Die Unentschlossenheit von heute Morgen war wie vom Erdboden verschluckt. Jonny blieb stehen, nickte seinem Anführer nur nochmal zu und verschwand. „Puddin'", sie lächelte ihm zu. Er streckte ihr eine Hand entgegen. Es war die, die mit seinem Grinsen tätowiert war. Sie griff danach. „Komm mit." Und er zog sie davon, durch eine unscheinbare Tür, die jedoch mit drei Schlössern gesichert war, einen langen Gang entlang, der langsam immer und immer enger wurde. „Wo gehen wir hin?", fragte Harley, während das Weiß an den Wänden schlagartig verschwand und von alten, dicken Steinmauern ersetzt wurde. „Siehst du gleich." Plötzlich wehte ihnen ein beißender, salziger Wind entgegen. Es roch nach Meer. Nach ein paar Minuten kamen sie bei einem rostigen Gattertor an, dahinter hörte Harley das Rauschen von Wellen und das Knarzen von alten Schiffen. Sie wusste nicht, dass das Haus des Superschurken so nah am Hafen lag. Der Joker schloss das Tor auf. Es bewegte sich mit einem Quietschen. Er führte sie eine steinerne Treppe hinauf, und, wie erwartet, standen sie plötzlich am Hafen von Gotham City. Doch es war nicht der bekannte Teil, es war eher etwas abgelegen. Niemand weit und breit zu sehen. Die kühle Frühjahrsluft wehte Harley um die Nase, der Mond tauchte hinter den grauen Wolken auf. „Wie romantisch", flüsterte sie, grinsend. Sie hörte ihn kurz leise Auflachen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie schon wieder allein mit ihm war. Sie wusste zwar nicht ganz, warum sie hier waren, aber sie konnte es nutzen. Sie lehnte sich an eine Reling, die sie von dem salzigen, wilden Wasser trennte. Er folgte ihr. „Warum sind wir hier?", fragte sie ihn trotzdem. „Damit uns niemand belauschen kann", murmelte er, „Das Geräusch der Wellen übertönt unsere Stimmen." Das war wirklich schlau. Frage war nur, warum niemand sie belauschen sollte. „Und warum darf uns niemand belauschen?", fragte sie nach ein paar stillen Sekunden. Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Du stellst zu viele Fragen, Harley", er atmete tief durch, schien zu zögern, „Ich nehme an, du willst wegen gestern reden?" Sie nickte. „Und was-", sie stammelte, „Was bedeutet das jetzt?" Ihre Finger strichen seine Wangenknochen entlang, seltsamerweise tat er nichts dagegen. „Also für uns...", meinte sie noch schnell hinterher. Er schaute ihr tief in die blauen Augen. Der Mond spiegelte sich silbern in seinen und ließ sie fast schon etwas schimmern. „Was denkst du denn?", fragte er plötzlich. Harley schluckte und ließ ihre Hand sinken. Das war nicht das erste Mal das er sie das fragte. Das letzte Mal hatte es mit Enttäuschung, Trauer, Wut und einem Stimmengewirr in ihrem Kopf geendet. Und das war gerade mal drei Tage her. Um Himmels willen! Hatte sich alles so schnell verändert? In drei Tagen? Erst sagt er ihr, dass er sie nicht liebt, dass sie nichts weiter für ihn ist als alle anderen, die für ihn arbeiten, zwei Tage danach gesteht er ihr seine Gefühle für sie, schläft mit ihr und jetzt? Was kam jetzt? Würde er sie ertränken? Das war der perfekte Ort dafür, und immerhin, sie konnte nicht schwimmen, und er wusste das. Sie schaute ihn anscheinend genauso entsetzt an, wie sie sich fühlte, denn es bildeten sich plötzlich Fragezeichen in seinen Augen. „Alles okay?" Das fragte ausgerechnet er? Warum wollte er das überhaupt wissen, wenn sie ihm doch nichts bedeutete?! „Ich weiß was du denkst...", hörte sie ihn plötzlich sagen. Seine warme Hand lag plötzlich in ihrem Nacken. Sie öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch sie kam nicht dazu. Er legte einen Finger auf ihre Lippen. „Du denkst, dass ich wieder meine Meinung geändert habe, dass ich dich jetzt wieder hasse, du mir nichts bedeutest und ich versuchen werde, dich umzubringen..." Er ließ seine Hand sinken. In seinen Augen spielte sich etwas ab, Harley konnte jedoch nicht deuten was es war. Er schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass es schwer für mich ist, jemanden zu akzeptieren, der wichtiger für mich ist als alles andere auf der Welt... aber ich kann es, Harley und das tue ich." Ein kleines Lächeln schlich sich auf die Lippen der Verbrecherin. „Wirklich?", fragte sie, die Anspannung in ihr wie vom Erdboden verschluckt. Er schaute ihr in die Augen. Es war fast so als ob sie strahlten. Dann lächelte er. „Ich versuche es." Harley atmete tief durch, das Lächeln wurde immer breiter. Sie klammerte sich an seine Schultern. „Das reicht mir vollkommen." Sie zog ihn näher an sich ran, bis ihre Lippen kollidierten. Ihre Arme schlangen sich langsam um seinen Hals, während ihr Kuss intensiver wurde. Sie schloss die Augen, Glücksgefühle durchströmten ihre Adern. Sie spürte wie seine Finger durch ihre Haare fuhren und wie er sie an ihrer Taille näher an sich drückte. Ihr Herz pumpte Blut immer schneller durch ihren Körper. Ihre Gedanken wurden zur letzten Nacht zurückkatapultiert. Sie hatten sich genauso geküsst. Lippen. Lächeln. Berührungen. Zweisamkeit. Nackte Haut. Gefühle. Hormone. Intimität. Verlangen. Liebe. Lust. Harley ließ ihre Hand auf seine Brust wandern. Sie strich mit dem Daumen über ihre Bissspur, die sie vor einem Tag an seinem Schlüsselbein hinterlassen hatte. Sie spürte seinen Herzschlag. Er war definitiv schneller als sonst. Plötzlich ließ er von ihr ab. Sein warmer Atem an ihrem Hals. „Dafür muss ich mich noch rächen...", flüsterte er neben ihrem Ohr. Sie fing an zu grinsen. „Tu das", flüsterte sie zurück, „Ich hab nichts dagegen." Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er sich aufrichtete und ihr in die Augen schaute. Seine Pupillen hatten sich vergrößert. Ihre Hand rutschte seinen Oberkörper runter. Sie zog sie zurück und stützte sich an der eisernen Reling hinter ihr ab. „Wenn du nichts dagegen hast, dann wäre es ja keine Rache." Er zog den weißen Stoff seines Hemdes, den Harley zurückgeschoben hatte, wieder an seinen Platz. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr war etwas aufgefallen, etwas, dass ihre allererste Vermutung, die sie aufgestellt hatte als sie noch Harleen Quinzel war, vielleicht bestätigte. Er benahm sich in ihrer Gegenwart irgendwie anders als sonst, nicht so verrückt. Vielleicht tat er es doch, nur sie bemerkte es nicht, weil sie jetzt auch etwas psychisch gestört war, aber irgendwie glaubte sie das nicht. Sie waren beide definitiv verrückt, daran gab es keinen Zweifel, aber ob man sie gleich als Psychopathen bezeichnen konnte, war fraglich. Natürlich, die Menschen, die sie bei ihren Überfällen erlebten, dachten natürlich ganz anders, aber allein war der Joker nicht der Joker, sondern jemand anderes. Jemand, den Harley noch nicht ganz kannte. Und vielleicht war er auch wirklich nur ihr gegenüber so, aber sie war ganz sicher, unter dieser harten Schale verbarg sich sein wahres Ich. Plötzlich unterbrach etwas ihre Überlegungen. Etwas hatte sich auf dem Dach des Hafengebäudes bewegt. Sie verengte die Augen, um besser etwas zu erkennen. Wieder eine Bewegung. Sie hätte schwören können, dass dieser Schatten noch nicht die ganze Zeit da gewesen war. „Puddin'..." In dem Moment sprang die dunkle Gestalt und flog auf sie zu. Der Grünhaarige drehte sich noch rechtzeitig um, um dem Rächer Gothams auszuweichen. Die Fledermaus landete auf den Füßen und wandte sich ruckartig dem Verbrecherpaar zu. Nun stand er also vor ihnen, schaute respektlos auf sie herab. Den Joker schien das jedoch nicht einzuschüchtern, kein bisschen. „Abend, Bats", er grinste, „Wie immer zum richtigen Zeitpunkt." „Du wirst gesucht, Joker", meinte Batman in einer tiefen Stimme. Definitiv technisch verändert. „Wann werde ich das nicht?", der Grünhaarige lachte fast während er das sagte. Harley schaute ihren Feind so entschlossen an wie möglich, aber sie konnte nicht anders, als ein bisschen Angst zu verspüren. Wie viel hatte er gesehen? Zu viel und er könnte es gegen sie verwenden... Er wüsste, dass der Joker eine Schwäche hatte und könnte es gnadenlos ausnutzen. Genau in dem Moment griff er an. Batman packte den Joker am Kragen und drückte ihn gegen die Wand des Hafengebäudes. Harley griff instinktiv unter ihre Jacke, wo der Revolver versteckt war. Die Blondine zielte. Ein Schuss fiel, doch die Kugel prallte vom Cape des Helden ab. Entsetzt schaute sie die Waffe an. Natürlich musste er einen kugeldichten Umhang haben... Sie konnte nicht genau sehen was passierte, aber sie kämpften definitiv miteinander. Das markerschütternde Lachen des Superschurken hallte durch die Nacht. Plötzlich stolperte die Fledermaus rückwärts. Der Joker ließ das Messer in seiner Hand sinken. Es war mit Blut beschmiert. Bats hielt sich die linke Schulter fest. Diese hatte wohl geradeeben mit der spitzen Waffe Bekanntschaft gemacht. Doch die Nase des Jokers hatte wohl leider auch Bekanntschaft mit der Faust des Helden gemacht. Rote Flüssigkeit tropfte sein Kinn runter. Er ging auf seinen schweratmenden Feind zu, seine Lippen zu einem Grinsen verformt. „Gibst du schon auf, Bats?", fragte er spöttisch. Batman rannte auf den Joker zu, boxte ihm in den Bauch und zwang ihn auf den Boden. Harley ließ den Revolver fallen. Sie konnte doch nicht einfach zusehen wie ihr Puddin' grün und blau geschlagen wurde. Sie sprang den schwarzen Ritter von Gotham von hinten an und ließ ihn zurücktorkeln. Doch irgendwie schaffte er es nach ihrer Jacke zu greifen und sie über seine Schulter auf den Boden zu schleudern. Ihr Rücken prallte hart auf dem Asphalt auf. Sie fühlte sich für einen Moment wie gelähmt und schnappte nach Luft. Doch es war zu spät. Eine harte Faust landete in ihrem Gesicht. Sie schrie auf. Nochmal. Und ein drittes Mal. Es fühlte sich so an, als ob ihr Schädel gleich nachgeben und zersplittern würde. Plötzlich ließ er von ihr ab. Sie konnte nichts erkennen, es war alles verschwommen. Sie tastete ihr schmerzendes Gesicht ab. Blut blieb an ihren Fingern kleben. Die Flüssigkeit in ihrem Mund schmeckte metallisch. Sie setzte sich langsam auf. Hustend stützte sie sich auf ihre Ellenbogen. Schwindel überkam sie und sie musste die Augen kurz schließen. Als sie sie wieder öffnete konnte sie wieder einigermaßen klar sehen. Ihr Geliebter und ihr Feind kämpften noch immer miteinander und es schien, dass der Grünhaarige die Oberhand hatte. Er drängte den Helden langsam immer näher an den Rand zum Wasser. Dort wo keine Reling war. Harley richtete sich langsam auf. Ihr Kopf pochte schmerzlich. Langsam humpelte sie auf die Szene zu. Und dann geschah es. Der Joker trat Batman in den Bauch, dieser verlor das Gleichgewicht, stolperte nach hinten und fiel in das aufgewühlte Meer. Ein großer Erfolg, hätte der caped crusader nicht in letzter Sekunde nach dem Kragen seines Gegners gegriffen und ihn mitreingezogen. „Puddin'!" Sie lief schneller auf die Stelle zu wo die beiden verschwunden waren. Sie blickte entsetzt in das wilde Wasser. Es war dunkel wie die Nacht, die sie umhüllte, weshalb sie nichts sehen konnte. Sie schaute sich energisch nach irgendeinem Anzeichen von einer auftauchenden Person an der Wasseroberfläche um, doch es war niemand zu sehen. Sie atmete schnell und flach. Und irgendwie dachte sie vor lauter Panik nicht nach. Sie sprang. Das kalte Salzwasser brannte in ihren offenen Wunden. Die Luft in ihren Lungen gefror gefühlt zu Eis. Sie suchte Halt an der Hafenwand und griff nach einem heraussteckenden Stein. Dann schaute sie sich mit zusammengekniffenen, stechenden Augen in der kalten, flüssigen Dunkelheit um. Nichts. Doch plötzlich ging ein Licht an. Es kam von einer Stirnlampe am Kopf des dunklen Ritters. Es schien blendend auf die weiße Haut des Jokers. Harley hätte geschrien, hätte sie Luft bekommen. Sie riss die Augen auf und gab einen entsetzten Laut von sich. Das Messer des Grünhaarigen blitzte im Licht auf. Es sank langsam in die Tiefe. Der schlaffe Körper des Schurken wurde von seinem Feind langsam an die Oberfläche gezogen. Er schien Harley nicht bemerkt zu haben. Sie wollte ihm hinterherschwimmen, doch sie konnte natürlich nicht. Und dann war er verschwunden und es wurde alles wieder dunkel. Harley fühlte sich den Tränen nahe. Doch während sie sich in der Dunkelheit umschaute, wurde ihr langsam klar, in was für einer Lage sie sich nun eigentlich befand. Panik überkam sie wieder. Sie würde ertrinken. Sie blickte auf zur Oberfläche. Sie war etwa zwei Meter entfernt. Doch nicht einmal zwei Meter konnte sie schwimmen. Sie tastete nach einem höher gelegenen Stein in der Wand, während sie spürte wie die Luft langsam knapp wurde. Sie drückte sich mit einem Arm hoch und fühlte weiter nach einer Festhaltemöglichkeit. Eine einzige würde genügen um an die frische Luft zu gelangen. Die Steinwand war glitschig und voller Algen. Langsam hatte ihre Lunge das Verlangen danach einzuatmen. Plötzlich rutschten ihre Finger ab. Sie griff nach dem Stein an dem sie sich festgehalten hatte, doch vergeblich. Ihre Hand langte ins Leere. Und damit sank sie langsam zum Grund des Meeres. Es verschwamm langsam alles, während die erleuchtete Oberfläche des Wassers sich immer weiter entfernte. Harley streckte ihre Arme danach aus, doch sie konnte nichts mehr machen. Und schon wurde alles schwarz. Sie war verloren...

Längstes Kapitel, dass ich je geschrieben habe, mit 2343 Wörtern. Ich wollte es eigentlich in der Mitte teilen, aber als Entschädigung für die lange Wartezeit hab ichs so gelassen. Trotzdem ein fiser Cliffhanger... ;)

Emergency Exit Madness - Abgebrochen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt