23. Loa

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Samstag, 19. Dezember 2009


Vor dem Fenster geht die Welt unter. Die Schneeflocken wirbeln wie Ballerinen in einem komplizierten Tanz über die von Scheinwerferlicht erhellte Bühne. Hinter dem erleuchteten Kegel lauert die kalte Dunkelheit des Nichts. Wenn eine Ballerina die Bühne verlässt, verschluckt sie die Dunkelheit.

Musikalisch untermalt wird das Stück vom Schaben der Scheibenwischer, die gegen das Schneegestöber ankämpfen. Aus dem Radio dringt statisches Knistern, unterbrochen von Satzfetzen der Nachrichtensprecher und DJs, die in ihren warmen Studios hocken oder sogar in ihren Betten liegen und die Sendung zuvor aufgezeichnet haben.

Mit dem Ärmel wische ich über das Beifahrerfenster, um den grauen Schleier darauf zu entfernen. Aus dieser Perspektive werden die Tänzerinnen zu Sprintern, die an Charlie vorbeihuschen. Die Bäume jenseits der Leitplanke wurden ebenfalls von der Dunkelheit gefressen. Durch die Schneewälle am Straßenrand ziehen sich graue Schlieren, durchsetzt von schwarzen Punkten. Fast wie Marmor.

Ich beuge mich vor und drehe am Regler der Radios. „...immten gegen Stie...", knistert eine Stimme, von der ich nicht sagen kann, ob sie männlich oder weiblich ist. Das Rauschen überdeckt alles. Auch auf der nächsten Wellenlänge schlägt mir unverständliches Gewusel entgegen. Weiter. „..makonferenz endet ohne die Verabschiedung verbin-"

Eine heftige Windböe bringt Charlie ins Schlingern. Der Radiosprecher verstummt. Rauschen tritt an seine Stelle. Ben stößt einen Fluch aus und steuert gegen.

Seufzend falle ich zurück und reibe mir über die Augen. „Wir sollten anhalten und abwarten, bis der Sturm sich legt."

Ben zieht das Lenkrad gerade und stiert angestrengt nach draußen. Er wirkt, als würden ihm gleich die Augen aus den Höhlen fallen und unter die Pedale kullern. „Wenn du eine Abfahrt entdeckst, gerne. Aber nicht hier. Wenn wir stehen bleiben, knallt uns noch jemand hinten rein, weil er uns nicht gesehen hat."

„Bei dem Tempo wäre das vermutlich nicht so schlimm." Ich drehe mich im Sitz um. Keiner der anderen drei regt sich. Im Zwielicht scheinen sie nicht zu atmen. Elias liegt zusammengerollt hinter dem Fahrersitz, dort wo ich zuvor geschlafen habe.

Ben quittiert meine Aussage mit einem „Hmmpff."

„Es wäre höchstens ein leichter Stupser. Ein Küsschen zwischen Autos."

„Es war wesentlich angenehmer, als du noch nicht so viel geredet hast", erwidert er. „Wir warten auf eine Parkbucht oder Abfahrt."

„Hmmpff." Ich verschränke die Arme vor der Brust und blicke wieder nach draußen. Es macht keinen Spaß, Bens Beifahrerin zu spielen. Doch der Sitz ist gemütlicher als der harte Boden des Transporters und die Heizung befindet sich in der Nähe.

Zwar hat das Ambrosia die eisigen Tentakel aus meinen Knochen vertrieben, doch mein Körper sehnt sich nach zusätzlicher Wärme. Fast so, als wolle er auch jede Erinnerung an die Kälte aus meinen Zellen schmelzen. Die innere Hitze, auf die ich immer vertrauen konnte, brennt auf Sparflamme und benötigt neue Nahrung. Nahrung, die sie nun aus der Heizung saugt.

Ich lehne den Kopf gegen den gespannten Sicherheitsgurt und schließe die Augen. Offenbar hat das Radio komplett den Geist aufgegeben. Wenn wir irgendwann mal in besserem Wetter stehen, werde ich die Antenne überprüfen.

Gehhhhhhh...

Das Heulen des Sturms draußen spiegelt den Gesang der Kakteen in meinem Kopf. Er hindert mich am Einschlafen. Die zwei Stunden eben haben nicht gereicht.

Vorhin drang das Klicken von Elias' Sicherheitsgurt in den Dämmerzustand kurz vor dem Erwachen, als die Jungs für den Fahrerwechsel anhielten. Sein Gähnen riss mich endgültig aus dem Schlaf. Wortlos stand ich auf und bot ihm den Platz auf dem Boden an. Zum Ausstrecken eignet er sich wesentlich besser als der Beifahrersitz, wenn man den Gemütlichkeitsfaktor ausblendet. Nachdem Elias einen Teil seines Fingers geopfert hat, um mich aufzuspüren, schulde ich ihm das.

Arma posterosque cano - Eine MMFF zu Percy JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt