13. Loa

47 8 1
                                    

Freitag, 18. Dezember 2009


Ben kann mich mal.

So wie er dort an die Reling gelehnt steht und die Wellen betrachtet, die nachtschwarz gegen den Bug der P.T Barnum schlagen, überfällt mich die große Lust, ihn ins Meer zu schubsen. Mit einem Platschen stiebt der weiße Schaum auseinander und weg ist er. Nachdem ich ihn mit Oak in die Krankenstation geschleppt habe, wäre ein wenig Dankbarkeit angebracht.

Bei dem Gedanken an Oak wird mir übel. Ich habe sie allein gelassen, habe das unausgesprochene Versprechen ihr gegenüber gebrochen. An dieser Stelle kann ich Ben und alle anderen verstehen: Ich bin nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, ohne sie im nächsten Moment zu verwerfen.

Wo Oak sich jetzt befindet? Liegt sie in ihrem Schlafsack und starrt an die Decke des silbernen Zeltes, das jetzt ihr Zuhause ist? Was denkt sie über mich, ihre Freundin, die sie im Stich gelassen und ihre Vereidigung ruiniert hat? Denkt sie überhaupt an mich oder verbannt sie jedes Bild von mir in die tiefste Ecke ihres Verstandes?

Vielleicht sollte ich genauso verfahren. Vor mir liegt ein Roadtrip in ein Land voller Gefahren für Halbgötter. An meiner Seite reisen Menschen, die mir nicht vertrauen und denen ich auch nicht vertrauen sollte. Wenn ich nicht vorsichtig bin und nach ihrer Pfeife tanze, lassen sie mich am Straßenrand zurück wie einen dieser Hunde, die als Welpen zu Weihnachten verschenkt und wenige Monate später aus mangelnden Interesse ausgesetzt werden. Und ich kann nicht darauf hoffen, dass sie einen Sack Futter neben mich stellen.

Dass wir nach Norden tuckern, hebt meine Laune nicht. Kanada ist ein schlechter Ort für Notos-Kinder. Wir gehören in die Hitze. Erst wenn die Luft über dem Asphalt flimmert und man auf Motorhauben Spiegeleier braten kann, fühlen wir uns wohl. In Kanada erwartet mich hingegen Schnee, Eishockey und grässliches Französisch.

Die eigenwilligen Klänge von ADHD dringen an mein Ohr, während ich die Glastür aufstoße und auf die Anderen zu schlendere. Hier draußen treiben sich weniger Passagiere herum als im beheizten Innenraum der Fähre, die unser Gespräch stören könnten. Bei den Autos unter Deck darf man während der Fahrt nicht bleiben. Es ist sowieso besser, wenn die Sterblichen den weißen Transporter mit der Aufschrift „Erdbeerhof Delphi" und den monströsen Kratzspuren – die der Nebel in die Abdrücke eines kleineren Tieres verwandelt – nicht den fünf müden Teenagern zuordnen können.

Isländisch ist eine seltsame Sprache und die Verbindung von Jazz und Rock, die ADHD bietet, lässt vermuten, dass auf der Insel jemand von einer angeheiterten Muse geküsst wurde. Es soll mir recht sein. Die Musik hilft mir, mich von meinen aktuellen Problemen abzulenken.

Allerdings muss ich mich nun diesen aktuellen Problemen in Form von May, Samira, Elias und Ben stellen. Um als Teil dieser Gruppe anerkannt zu werden, sollte ich mich auch wie einer verhalten. Ob es ihnen passt oder nicht. Ich will kein Hund am Straßenrand sein.

Seufzend lasse ich die Ohrstöpsel in meiner Hosentasche verschwinden, der MP3-Player folgt. Ich will keinen Anschiss riskieren, bevor es überhaupt richtig losgeht. Dabei sind MP3-Player harmlos. Handys locken Monster an, weil sie Stimmen durch die Luft tragen. MP3-Player spielen nur Musik ab. Trotzdem reagieren viele Demigötter empfindlich auf Technik und lassen die Finger davon. Eine Schande.

„Was gibt's?", frage ich und lehne mich neben Samira gegen die Reling. Trotz ihrer dicken Jacke zittert sie. Ihre Hände ruhen tief in den Taschen vergraben.

„Ist dir nicht kalt oder so?", fragt sie missmutig und wischt sich Haare aus dem Gesicht, die der Seewind tanzen lässt.

„Nö", erwidere ich schulterzuckend. Die in ein mit Flamingos und Palmen bedrucktes Hawaiihemd und Bermudashorts gekleidete junge Frau stört die Kälte nicht. Zwar fühle ich mich in der Sommerhitze wohler, doch Kälte kann mir nicht viel anhaben. „Die Heizung ist integriert."

Arma posterosque cano - Eine MMFF zu Percy JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt