30. Elias

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Sonntag, 21. Dezember 2009

„Vorsicht!" Meine Stimme kracht wie ein Eispickel in eine Gletscherwand. Ein Ruck läuft durch den Schlafsack und Samiras Hand plumpst herab, baumelt eine Haarbreite über dem Schnee. Ich habe sie nie als übertrieben gebräunt wahrgenommen, nicht wie die Demeter-Kids, die jede freie Minute auf den Feldern verbringen. Doch vor dem strahlenden Weiß wird ihre Haut zu einem dunklen Schatten. May platziert die Hand neben Samira auf den Schlafsack und gemeinsam mit Ben setze ich mich erneut in Bewegung.

Bis zum Transporter sind es nur wenige Schritte, doch Samira auf den Schlafsack zu hieven, ohne den Biss zu berühren, war bereits eine Tortur. Das hier ist genauso schlimm.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, bis ich Metall schmecke, und versuche, das Wimmern auszublenden. Es ist nicht laut. Bei jeder abrupten Bewegung von Ben oder mir zieht sie die Luft ein und entlässt sie mit einem seltsam singenden Geräusch. Warum hast du nichts gesagt, Samira? Wir hätten einen Weg gefunden.

Loa tippt mich an. Wir haben den Transporter erreicht. Ich wage es nicht, den Kopf zu drehen. Mein Griff könnte sich lockern und Samira fällt in den Schnee. Oder ihr Atem stoppt, wenn ich nicht hinsehe. Vorsichtig mache ich einen Schritt nach hinten. Der warme Druck auf meinem Rücken, Loas Hand, weist mir den Weg.

May greift unter den Schlafsack und hält Samira in der Horizontalen, während Ben die Stufe ebenfalls bewältigt. So sanft wie möglich betten wir unsere Patientin auf das Nest aus Jacken und Decken, das Loa gebaut hat.

„Okay." Ich lege ein Hand auf Samiras schweißnasse Stirn. Augenblicklich ziehe ich sie zurück. „Sie glüht! Nehmt die Flaschen und schmelzt Schnee." Die Anweisungen entfahren mir intuitiv, richten sich an niemand Bestimmten, doch Mays Springerstiefel verschwinden aus meinem Sichtfeld. Gut. So ist sie beschäftigt. Später hat sie immer noch Zeit, sich Vorwürfe zu machen.

Ich angle mir den Verbandskasten. Den Notfall-Honig und das kleine Päckchen Beinwell stelle ich gemeinsam mit dem Salbei, Thymian und dem noch kleineren Tütchen Arnika zur Seite. Der Geruch beruhigt mein galoppierendes Herz. Wo ist diese verschissene Schere?! Ambrosia, Nektar, Verband, Kompressen, Antibiotika, Schmerzmittel, Brennnessel, Zistrose. Moderne Medizin und Dads Zeug.

Am Boden des Kastens lacht mich die Schere aus. Ich schnappe sie und zerteile damit Samiras Sweatshirt. Ein erleichterter Seufzer entrinnt mir. Der Schaden ist nur geringfügig größer als das, was ich bereits gesehen habe. Doch solange ich Samira nicht auf den Bauch drehen kann, um die schwarzen Linien, die sich ihre Seite entlang bis auf ihren Rücken winden, zu untersuchen, kann ich kein abschließendes Urteil fällen. Dummes Mädchen.

Mit einem Ploppen entkorke ich die Nektarflasche und führe sie an Samiras Lippen. Sie reißt die Augen auf, zwei glasige, grüne Untertassen am Grund eines Sees. Ihr Arm schießt nach oben und ich weiche die Flasche zurück, bevor sie sie wegschlagen kann.

„Lass dir verdammt noch mal helfen, Samira!", knurre ich und beuge mich vor, die Flasche außerhalb ihrer Reichweite. Versuch Nummer Zwei.

Da rieche ich es. Unter den Schichten aus Erbrochenem, Schweiß und dem brennenden Gestank der Wunde ruht ein hauchzarter Duft. Eine Biene hätte ihn sofort bemerkt. Fettig, süß und verheißungsvoll. Donuts.

Ich reiche Ben die Flasche und lehne mich dichter über Samiras Mund. Schnuppere. Donuts. Eindeutig. Und es handelt sich nicht um irgendwelche Donuts. Mein Herz sackt herab. „Sie hat schon Ambrosia gegessen." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Wispern.

„Bedeutet?" Ben richtet sich auf. Jegliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen.

Sie hat ihr eigenes Todesurteil unterschrieben.

Arma posterosque cano - Eine MMFF zu Percy JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt