29. Samira

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Sonntag, 21. Dezember 2009

Ich starre hinaus, dem Jungen hinterher, den wir gerade erst getroffen haben. Er hat allein überlebt. Monatelang. Er wird es weiterhin schaffen.

Eine Schneeflocke haucht auf meinem Arm ihr Leben aus. Der feuchte Nadelstich genügt, um mich von der verschwimmenden Gestalt loszureißen. Ich stehe auf und schließe die Tür des Transporters. Dabei muss ich mich gegen den Wind stemmen, doch diesen Kampf gewinne ich.

Ich lehne mich gegen die Tür und fasse mir an die Seite. „Was hast du auf seinen Arm geschrieben, May?"

„Nur, dass er uns eine Iris-Botschaft schicken soll, wenn er angekommen ist oder in Schwierigkeiten steckt." Sie klemmt den Filzstift hinter ihr Ohr und klettert auf den Beifahrersitz.

„Wie süß", murmelt Loa. May quittiert es mit einem Schnauben.

Langsam rutsche ich an der Tür herab. Ich benötige mehrere Versuche, um eine bequeme Sitzposition zu finden. „Er wird das schon schaffen", sage ich zu niemand Bestimmtem. Keine Erwiderung.

Ben lässt den Motor an und wir rollen auf die Straße. Durch die Frontscheibe beobachte ich den restlichen Verkehr. Kaum Autos sind unterwegs und keins davon fährt schneller als im zweiten Gang. Ein Schneepflug zieht an uns vorbei. Mit seinen Ketten und dem Aufsatz wirkt er wie ein urzeitliches Ungetüm in seinem natürlichen Lebensraum. Das Tuckern bestärkt mich in diesem Bild.

Ab und an erklingt eine Sirene und als Ben zum zweiten Mal rechts ranfahren muss, um einen Rettungswagen durchzulassen, setzt er den Blinker. Wir biegen in ein Wohngebiet ab. Spießige, uninspirierte Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Sie unterscheiden sich nur durch die Weihnachtsbeleuchtung. Dad kriegt die Krätze, würde er das sehen. Neben jeder Haustür wächst der gleiche Buxbaum. Es gibt nichts Langweiligeres in der Gartengestaltung als Buxbäume. Nicht mal Schneemänner stehen verlassen auf dem Rasen. Vermutlich verlieren Schneemänner ihren Reiz, wenn man drei Monate im Jahr eingeschneit ist.

„Elias, bauen die Kinder in Kanada keine Schneemänner?"

Verwirrt sieht Elias mich an, bevor er den Kopf schüttelt. „Doch. Schon. Nur nicht bei diesem Wetter. Warte ab, bis der Sturm vorbei ist."

„Boreas muss uns echt hassen", mischt sich Loa ein. Ihre Finger malen übereinander gestapelte Kreise auf den Boden. „Oder es sich zumindest anders überlegt haben."

„Gibt es eigentlich irgendetwas Neues von der Weihnachtsbaumkugel?", frage ich nach vorn.

„Nein." Bens Blick ist starr auf die Straße gerichtet. Immerhin ist es bei diesem Wetter unwahrscheinlich, dass ein Kind seinem Ball hinterher und vor das Auto rennt. Das Horrorszenario jedes Fahranfängers. „Was treibt deine Karte?"

Gute Frage. Ich habe sie mir nicht mehr angesehen, seit wir in der Lower Bay Station angekommen sind. Ich wollte nicht. Was wäre passiert, wenn sie in eine völlig andere Richtung gezeigt hätte? Bestimmt hat sie in eine andere Richtung gedeutet. Schließlich ist die verlassene U-Bahnstation weder sicher noch verlassen.

Ich angle nach meinem Rucksack und verziehe das Gesicht, als ein Blitz durch meine Hüfte zuckt. Eine kleine Erinnerung an den Kampf mit der Amphisbaena. Elias ist so freundlich und schiebt mir den Rucksack entgegen.

Mit steifen Fingern fummle ich den Verschluss auf und wühle mich durch die Schichten zerrissener, zerfetzter, miefiger, angesengter und feuchter Kleidung, bis ich das innere Rückenfach freigelegt habe.

Ich breite die Karte auf dem Boden aus und streiche eine Ecke glatt. Der obere Rand wellt sich leicht, wo er in Kontakt mit einem schneefeuchten T-Shirt gekommen sein muss. Mein Blick wandert zur Kompassrose. Bevor er jedoch den Atlantik erreicht, beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich will nicht sehen, in welche Richtung die Nadel zeigt.

Arma posterosque cano - Eine MMFF zu Percy JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt