Kapitel 62 - Ängste - Svea

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Ich strich Nath noch einmal über den Unterarm und lächelte ihn an, ehe er zusammen mit Kyra Alexy suchen ging. Er schmunzelte zurück, drückte einmal meine Hand, dann trennten sich unsere Wege im ersten Stock. Während ich in Naths Zimmer huschte, gingen die zwei erst einmal zum gemeinsamen Zimmer von Alexy und Armin. Seufzend schloss ich die Tür hinter mir und ließ mich dann mit dem Gesicht voran aufs Bett plumpsen; es lag auf Nathaniels Seite und die Decke roch nach ihm. Ich nahm einen tiefen Atemzug und drehte mich dann auf den Rücken. Die warmen Ravioli lagen mir schwer im Magen. Eigentlich mochte ich Raviolis, nein, alles was mit Nudeln zu tun hatte, sehr gerne, aber diese Sorte Dosenravioli waren nicht lecker, so gar nicht. Da hatte ich schon welche gegessen, die kalt schmackhafter waren. Ich drehte mein Gesicht auf die Seite und blickte zum Schreibtisch, so weit, dass ich damit mein linkes Auge zudrückte. Als ich vor einer Woche hier ankam, war der Raum noch so kahl, wie Nath ihn vor zwei Jahren final verlassen hatte - oder zumindest war das der Plan. Nun wirkte er wieder etwas belebter. Mein Collegeblock lag auf dem Tisch, mein Kugelschreiber auch. Eine alte Strickjacke von Amber, die jetzt ich trug, hing über dem Schreibtischstuhl, zusammen mit Naths Schlafsachen. Von draußen leuchtete Mondlicht hinein, unterbrochen von ein paar Wolken. Ich setzte mich auf, schwang mich auf die Füße, ging an den Schreibtisch und legte Naths Sachen aufs Bett. Mir kam der Gedanke, dass er die nur wegen mir brauchte. Wäre er allein würde er in seinen Boxershorts schlafen, das war kein Geheimnis. Ich schlüpfte in die grüne Strickjacke und fragte mich, warum es mir nichts ausmachen würde, würde er so schlafen, wie es ihm am liebsten war. Er sollte sich nicht wegen mir anpassen müssen, genau. Aber... wahrscheinlich war es eher ihm selbst unangenehm. Ich atmete einmal kräftig aus, ehe ich mich auf den Schreibtischstuhl setzte und die Schreibtischlampe anschaltete.
Allein wegen des Vorfalls heute Mittag zwischen Nath und Jacott Sr. könnte ich Seiten schreiben. Ich meine, hallo? Was denkt der Kerl sich? Ich hab ja nicht das gesamte Gespräch gehört, aber seine Bosheit ist einfach nur... abstoßend. Mir will einfach nicht in den Kopf, wie ein Mensch so ekelhaft bösartig sein kann. Ich bin zwar nicht objektiv, aber da gebe ich so gar keinen Fick drauf. Der Mann hat es sich schon lange verkackt auch nur einen Fitzel Vertrauen zu bekommen. Das hätte so unglaublich schief gehen können. Ich weiß nicht, ob ich stolz oder wütend auf Nath sein soll. Wahrscheinlich bin ich beides ein bisschen. Ich hab Angst, dass Mr Jacott ihm in einem unbeobachteten Moment wehtut... ich würde es ihm zutrauen. Ich hab Naths Rücken damals gesehen, als ich versehentlich in die Umkleide bin, während er sich umzog. Die blauen, teilweise mehr schwarzen Flecken, werd ich wahrscheinlich nie vergessen. Nath hat mir nie Details erzählt, WAS sein Vater genau getan hat, ich wusste von einem Treppensturz". Erst jetzt wird mir bewusst, was das wirklich bedeutet. Der Drecksack hätte Nath umbringen können - und mit diesem ganzen zusätzlichen Hass der letzten Tage, vielleicht Jahre...
Der Gedanke lag mir schwerer im Magen als die unappetitlichen Ravioli.
Den Rest des Tages bin ich nicht von seiner Seite gewichen, Armin und Viola haben uns auch Gesellschaft geleistet. Im Wintergarten haben wir so irgendwie mit dem Kartendeck und den Tieren die Zeit verdümpelt. Wenn schon nach einer Woche so eine Langeweile und Anspannung herrscht, wie soll das denn weitergehen, frage ich mich? Wie war das in der Schule gewesen? Es kommt mir so vor, als wären diese Tage Monate her. Es ist nicht einmal einer vergangen.
Ich zog die Tischlampe näher an den Block, schüttelte meinen Kugelschreiber und kritzelte dann in Ermangelung der richtigen Worte einen Kreis auf die rechte obere Ecke der Seite. Erst in etwa einer Stunde musste ich mit Flip noch einmal in den Garten, also saß ich hier etwas ratlos herum. Da kam mir das Schreiben ganz gelegen. Wenn mir was einfiel - ich malte den Kreis zur Hälfte aus. Gedanken hatte ich genug, nur die Worte fehlten. Also folgten einfach ein paar beliebige Flüche.
Ich würde am liebsten 24/7 bei Nath bleiben, auf ihn acht geben, aber das ist natürlich nicht möglich. Zu einem haben wir beide unsere Aufgaben, zum anderen würde einer von uns, vielleicht auch wir beide, irgendwann wahnsinnig werden. Außerdem wäre ich auch nur begrenzt eine Hilfe. Mein Karate hilft mir nichts, wenn der Kerl mir eine Faust ins Gesicht gräbt oder mich schlicht mit Kraft überrumpelt. Für meine Körpergröße mag ich stark sein, aber ich hab keine Chance gegen einen Mann, der ca. zwanzig Zentimeter größer ist als ich.
Schlussendlich bekam ich die Stunde plötzlich doch ganz gut herum und ging dann warm eingepackt noch eine halbe Stunde mit Flip und Demon in den Garten. Castiel kam kurz darauf dazu und wir fingen wortlos an die Hunde gemeinsam auszupowern. Wir sprachen nicht, ich war zu müde dafür, warum er es nicht tat, war mir eigentlich egal. Wir beide haben nie lange, ausschweifende Konversationen gehalten und im Albtraum-Jacotthaus erst recht nicht. Oder im Albtraumgarten, wenn man penibel war.
„Ich würde Flip dann reinbringen. Oder bleibst du noch draußen?", ich sah ihn kurz an, während ich ihm den Ball zuwarf. Er fing ihn und schaute zurück.
„Ich geh auch rein."
Nach einem Nicken ging ich nach drinnen. Flip folgte mir, im Wintergarten lag Sno- Moon. Mein Herz verkrampfte sich. Sie war tief und fest am Schlafen, zuckte manchmal süß mit ihrer Schwanzspitze. Träumte sie? Wieso hämmerte Snowys sehr wahrscheinlicher Tod erst jetzt so auf mich ein? Fand mein Gehirn jetzt erst Zeit dazu? Ich wünschte Flip mit einem Küsschen und ein paar Streicheleinheiten eine gute Nacht, ging auch nochmal zu Demon um ihm den Kopf zu tätscheln, als Castiel mich so genau ansah, dass ich eine Augenbrauen hob.
„Ist was?", Unsicherheit baute sich in mir auf, ich wurde schnippisch.
„Chill mal."
„Möchtest du was?", mir fehlte gerade Geduld zum Angestarrt werden. Er musterte mich noch eine Sekunde, meine Stirn legte sich in Falten, aber dann schüttelte er den Kopf.
„Egal."
„Okay. Gute Nacht, Castiel."
„Nacht."
Drinnen ging ich möglichst leise durchs Erdgeschoss und schließlich die Treppe hinauf. Auf dem halben Weg kam mir Dake entgegen. Ich unterdrückte ein Seufzen. Er stoppte und versperrte mir den Weg.
„Guten Abend, Svea."
„Hallo Dake", hoffentlich war mein Desinteresse zu hören. Die vergangene Woche über ignorierte und mied ich ihn so gut wie irgend möglich.
„Lässt du mich durch?", es fiel mir schwer nicht die Augen zu verdrehen.
„Ich wollte dir noch mal versichern, dass ich nichts-"
„Dake, ich habs verstanden. Danke."
„Lässt du mich bitte vorbei? Ich möchte ins Bett.", ich atmete einmal laut aus.
Er absolvierte ein wenig Gesichtsakrobatik, bevor er sich zur Seite drehte und mir Platz machte.
„Danke", ich ließ ihn zurück und stieg den Rest der Treppe hinauf. Oben angekommen, lief ich fast in Nath hinein, der gerade aus dem kleinen WC an der Treppe kam.
„Bist du nicht etwas hart zu ihm?"
„Zu wem?", ich kräuselte meine Augenbrauen und sah ihn fragend an.
„Dake", Nath nickte in Richtung Treppe, „Er hat dir nichts getan, das weißt du."
„Er ist mir unabhängig davon einfach unsympathisch", Arme kreuzend starrte ich Nath an.
„Ich mag ihn auch nicht, aber du bist einfach nur fies."
„Soll ich ihm was vorspielen?", etwas in mir zuckte zusammen.
„Ist höfliche Distanz ohne ihm Verachtung entgegen zu rotzen zu viel?"
„Kommt das von dem, der gelauscht hat?", ich verschränkte meine Arme eng vor meiner Brust. Irgendwas schob mich in eine Abwehrhaltung. Ob es seine lockere Körperhaltung, dieses lässige an die Wand lehnen, oder ein an mir zweifelndes Unterbewusstsein war – keine Ahnung.
„Ich kam nur vom Klo. Wenn man nicht taub ist, hört man euch", er zuckte mit den Schultern. Ich seufzte und er stellte sich wieder gerade hin.
„Ich halte dir jetzt keinen Vortrag. Sieh es als Denkanstoß. Wir haben genug Ärger mit gewissen anderen Personen, wir müssen es uns nicht noch schwerer machen, oder?"
Diese Worte, zusammen mit seinem versöhnlichen Blick, schnürten mir die Kehle zu. Ich nickte nur. Er flüsterte noch ein „Bis gleich", verwuschelte mein Haar und ging dann. Ich schlüpfte ins WC und kam kurz darauf mit einem schlechten Gewissen wieder hinaus. Ich sah mich um, ob irgendjemand auf dem Gang war, der mich nicht sehen durfte, ehe ich Naths Zimmer betrat. Kaum, dass die Tür hinter mir zu war, bemerkte ich Naths Rücken. Seine Arme steckten schon in seinem Schlafshirt und irgendwas an dem Moment war so intim, dass ich mich hastig weg drehte. Mein Gesicht glühte. Nath gluckste.
„Was ist los?"
„Hätte klopfen sollen", ich murmelte, hatte mich aber wieder umgedreht.
„Vielleicht, aber ist doch bloß mein Oberkörper. Nichts neues, den kennst du", ich hörte das Rascheln des Vorhangs und dann war der Raum noch dunkler als zuvor. Mich traf etwas Weiches am Kopf; meine zusammengeknüllten Schlafsachen. Eine alte Hotpants von Amber, die bei mir eher Shorts waren und Naths Krawatten-T-Shirt.
„Ich dreh mich um. Wie immer."
Ich gab nur irgendein Geräusch zur Bestätigung von mir, bevor ich anfing mich umzuziehen. Als das erledigt war, legte ich meine Sachen auf den Stuhl und setzte mich an die Bettkante. Nath setzte eine Wasserflasche ab und hielt sie mir hin. Ich schüttelte den Kopf und versuchte meine Gänsehaut zu ignorieren. Mit kurzen Klamotten war es recht kühl.
„Wenn ich jetzt noch trinke, muss ich irgendwann nachts aufs Klo", ich schlüpfte unter die Bettdecke.
„Okay, kenn ich von Amber. Die war nachts immer so laut wie eine gesamte Schulklasse", er kicherte und ich musste grinsen. Irgendwie sah er gerade sehr knuffig aus... warum dachte ich sowas? Er zog sich jedenfalls auch die Decke über die Beine und ließ sich nach hinten fallen. Ich legte mich dazu und rutschte näher an ihn heran. Mir war kalt. Er zog die Decke über uns und ich schloss die Augen. Ein paar Minuten war es still. Ich war wirklich nicht sehr fair zu Dake, oder? Ich hatte das Gefühl, dass ich von einem extremen Gefühl zum nächsten hüpfte, immer an einer Kante stand und drohte hinunterzufallen. Nur die ängstliche Anspannung war ununterbrochen.
„Nath, bist du wach?", meine Stimme war schwach und kaum zu hören. Die Augen hatte ich wieder geöffnet. Er lag ruhig da, sein Haar willkürlich abstehend ohne das Haargel. Ich hatte mich in den letzten Wochen dran gewöhnt, seinem gutem Aussehen tats keinen Abbruch.
„Mhmh", er öffnete die Augen und unsere Blick trafen sich. Dadurch, dass wir nachts nicht viel Licht machen durften, waren meine Augen an die Lichtverhältnisse gewohnt und ich konnte das Bernsteinbraun recht gut sehen. Er hob eine Augenbraue und schmunzelte, wirkte nicht im Geringsten schläfrig. Ich hielt diesem Blick nicht lange stand.
„Entschuldige."
„Du musst dich nicht entschuldigen. Zumindest nicht bei mir." Seine Hand legte sich auf meine Schulter, dann regte er sich ein wenig und zu meiner Überraschung hauchte er mir einen Kuss auf die Stirn. Seine Hand wanderte von meiner Schulter zwischen meine Schulterblätter, wo er anfing langsame Kreise zu ziehen. Ich atmete einmal hörbar aus, meine Schultern entspannten sich und ich rutschte noch näher an ihn heran. Meine Stirn kribbelte und fühlte sich warm an.
„Knuddeln?", murmelte ich, während ich mein Gesicht schon in sein Oberteil drückte.
„Immer gern", kam es von ihm leise zurück. Seine Stimme so rau, dass es mir eine... angenehme Gänsehaut bescherte? Mein Herz pochte spürbar, als sein Arm sich einen Platz suchte und sich über meine Taille legte.
„Okay so?", murmelte er. Ich nickte. Sobald mein Herzschlag sich beruhigt hatte, war ich schnell eingeschlafen.

Endless DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt