Kapitel 64 - Familienhäuser - Svea

8 0 0
                                    

Eine Hand griff nach dem Türrahmen zum Flur. Eine verdammte graue, ausgemergelte Hand!
„Fuck! Viktor, weg da!"
Mein Herz raste, als aus dem Haus ein gluckerndes Geräusch kam. Er stolperte ein paar Schritte auf den nicht mehr so sorgsam gemähten Rasen und zog sein Messer. Der abgemagerten Hand folgte ein Arm in pink und schließlich der Rest des... Mädchens. Kyra neben mir war zu einer Salzsäule erstarrt. Das Kind, nein, der Zombie torkelte durch den Flur auf uns zu. Es folgte kein weiterer Untoter. Kaum kam das Ki- NEIN! Verdammt nochmal, das war kein Kind mehr! Ich hätte mich am liebsten selbst gekniffen oder sonst was, damit ich fokussiert blieb. Kaum, dass der Körper die Haustür passierte, stach Viktor auch schon zu. Das Ki- der Restmensch sackte zu Boden und Viktor wies uns mit einem Winken an ihm zu folgen. Kyra und ich zögerten, ich sah sie kurz an, unsere Blicke trafen sich. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, als wir uns der Tür näherten. Wir traten über den Leichnam und hinein in den Flur. Keiner machte einen Mucks. Eine Uhr an der Wand tickte penetrant und erinnerte mich daran, wie kurzlebig Zeit war. Wir waren. Es stank fürchterlich. Die Einrichtung sah heruntergekommen und alt aus, die Tapete löste sich an ihren Rändern von den Wänden. Und der Teppich war auch ohne den Zombie bestimmt schon fleckig gewesen. Es sah nach keinem gepflegtem Zuhause aus. Langsam tasteten wir uns vor, spähten in die Räume. Das Haus schien genauso aufgebaut zu sein wie das davor. Im Wohnzimmer stand eine alte ungemachte Schlafcouch. Ich spürte wie Viktor sich hinter mir nach vorne lehnte um in den Raum zu blicken.
„Irgendein Elternteil fehlt, passt auf", flüsterte er und ich huschte voran. Ich wollte hier raus, je früher, desto besser. Das leere Wohnzimmer durchquerten wir schnell und ich bemerkte ein Geräusch aus dem Nebenzimmer. Es klang, als würde jemand zwei Aufblasgummiringe aneinander reiben, aber noch unangenehmer. Mein Herz legte noch einen Zahn zu, mein Magen schnürte sich zu. Die Tür ins Schlafzimmer stand halb offen. Angespannt ging ich auf sie zu und verplemperte nicht viel Zeit damit, sie vorsichtig zu öffnen. Das gab einem Zombie nur mehr Zeit nach mir zu greifen. Ich trat gegen die Tür und sie schwang weiter auf. Das Quietschen wurde penetranter, aber uns kam kein Untoter entgegen.
„Was ist das für ein Geräusch?", Kyra hielt ihren Golfschläger hoch, jederzeit bereit zuzuschlagen.
„Nach den bisherigen Zombies klingt es nicht. Und die schnellen klangen nicht anders als die Normalos." Viktors Bemerkung ließ mich kurz aufhorchen. Er hatte auch schon welche gesehen? Ich atmete einmal durch. Konzentration, darüber konnte ich später grübeln. Ich betrat schließlich den Raum, Kyra und Viktor folgten. Außer einem Kinderhochbett, einem Babybett und einem Laufgitter war hier nicht viel. Abgenutztes Spielzeug lag in einer Ecke. Das Quietschen hörte nicht auf. Wenn das ältere Kind vorne in der Haustür lag, wo war dann sein Geschwisterchen? Die Eltern?
„Ach du scheiße...!", Viktors Fluch lenkte meinen Blick auf ihn. Er deutete mit seiner Hand auf die bunte Plastikwand des Laufgitters. Jetzt bemerkte auch ich es. Zwischen den Stofftieren und Spielsachen verborgen war mir die fahlgraue Kleinkindhand nicht aufgefallen. Dort kam das Geräusch her. Dieser Kleinkindkörper, der sich nicht richtig auf den Beinen halten konnte, diese abstoßenden Geräusche von sich gab und nicht aus dem Laufgitter kam. Der all die bunten Sachen mit seinen Körperflüssigkeiten verfärbt hatte. Nur die so vielen bunten Farben hatten das Elend auf dem ersten Blick so verschleiert. Ich machte einen Schritt zurück, japste nach Luft und unterdrückte das Würgen, das bei dem Verwesungsgeruch wieder in mir aufkam.
Was für eine verfickte Scheiße", mehr konnte ich dazu nicht zum Ausdruck bringen. Ein Schluchzen ließ mich aufschrecken. Kyra hatte sich die Hände vor den Mund geschlagen und war dann auch schon aus dem Raum geflohen. Ohne groß zu überlegen, hastete ich hinterher. Sie stoppte zum Glück im Türrahmen von Wohnzimmer und Flur. Sie raufte sich die Haare und erst dann schien sie mich wahrzunehmen.
„Tschuldige... das war... zu viel", sie rieb sich die Arme. Ich ging etwas an sie heran, hatte das Bedürfnis ihr Komfort zu schenken, so wie sie es schon bei mir mehrmals tat. Unsicher legte ich meine Hand auf ihren Unterarm und nickte ihr zu.
„Es ist zu viel. Das alles." Ich versuchte zu lächeln, aber es fühlte sich an wie eine Grimasse. Besonders, als es mir aufgrund des verstummten Quietschens kalt den Rücken hinunterlief. „Für uns alle. Wir teilen uns das. Du bist nicht allein."
„Es-", sie schluckte, wollte was sagen aber meine Zweifel traten zu.
„Entschuldige, der Zeitpunkt für irgendwelche schön waschenden Reden ist denkbar schlecht..."
„Nein, schon gut. Danke."
Sie schüttelte den Kopf. Viktor kam leichenblass aus dem Schlafzimmer.
„Los ihr zwei, lasst uns hier so schnell wie möglich verschwinden. Geht schon mal vor in die Küche... ich erledige noch was."
Nun war ich es, die Kyra mitzog. Ich deutete schließlich auf die Hängeschränke.
„Würdest du dort...?", meine Armbewegung machte das Dilemma meiner sparsamen Körpergröße deutlich. Sie nickte und riss die erste Schranktür auf. Ich wand mich dem kleinen Kühlschrank zu. Eine Notiz daran ließ mich beim Lesen erstarren, bevor ich sie abriss. Wut kochte in mir und schneller als ich selbst verstand, entwich mir ein Knurren und das zerknüllte Stück Papier flog gegen die nächste Wand und prallte ab.
„Hoppla? Was ist damit?", Viktor fing die Kugel. Ich reagierte nicht und ballte meine Hände zu Fäusten. Ein Klong vom Abstellen einer Dose ließ mich wieder zu Kyra sehen. Sie legte den Kopf schief. Es knisterte und der Zettel klatschte noch einmal gegen die Wand, nur um dann auf einem der Wandschränke liegen zu bleiben.
„Was ist? Verrät ihr mir euer Geheimnis nicht?" Kyra runzelte die Stirn.
„Die Mutter ist ohne ihre Kinder abgehauen", Viktors kurze Erklärung presste noch einmal einen Schwall der sowieso vorhandenen Erschütterung in meinen Körper. Es fiel mir schwer die Frau nicht zu verurteilen. Wäre sie geblieben, wären hier zwar wahrscheinlich drei Tote, aber der Gedanke Kinder, die noch bei Sinnen waren – laut der Memo – einfach im Stich zu lassen... Es sträubte sich in mir. Vor allem, wenn ich mir ausmalte, wie wahrscheinlich es war, dass sie alleine da draußen immer noch lebte. Wäre sie geblieben hätten wir nämlich vielleicht ja doch drei Überlebende gefunden. Keiner konnte es wissen, aber die Entscheidung, die sie getroffen hatte, die kannten wir.
„Es gibt ein paar Sachen?", ich wandte mich an Kyra, die abwesend wirkte.
„Ja, Dosensuppen", sie verzog das Gesicht, „Ravioli, Dosengemüse, so was. Ein paar Tüten hab ich auch gesehen. Aber ganz oben komm ich nicht ran."
„Ich mach schon", Viktor stellte sich neben sie und begann die oberen Bretter auf die Arbeitsplatte zu räumen. Ich wand mich dem Kühlschrank zu. Das Licht flackerte nach dem Öffnen kurz auf und dann erkannte ich ein paar Flaschen Eistee und Mikrowellengerichte.
„Sehr snobby ist die Ernährung hier nicht gewesen", kam es aus Kyras Richtung. Ich gab irgendein Geräusch von mir.
„Trotz des Stadtteils sieht nichts in diesem Haus wohlhabend aus", Viktor verursachte mit einer Schranktür ein Quietschen, „ist aber unser Glück."
Ich stellte die Sachen aus dem Kühlschrank auf die Ablage. Mir gingen diese Kinder nicht aus dem Kopf, dieser Verrat der eigenen Mutter. Tiere töteten manchmal ihren Nachwuchs, wenn ihr eigenes Leben ansonsten in Gefahr geraten könnte, ja. Leithengste fliehender Pferdeherden bissen entkräftete Fohlen tot, damit die Mutterstute weiterlief, Hamstermütter fraßen bei Nährstoffmangel einige oder alle ihrer Babys. Das Phänomen war mir nicht neu. Aber die Menschheit stellte sich doch immer so gern über andere Tiere. Hier bewies sie mir wieder glorreich, dass sie kein Stück besser war. Warum neigten die intelligentesten Lebensformen dazu, die grausamsten zu sein? Egal ob es jetzt Menschen waren oder Delfine, sie fanden immer Wege sich und Unbeteiligten Schmerzen und Leid zuzufügen.
„Meinst du die kann man noch essen?", Viktor deutete auf die Mikrowellengerichte. Ich zuckte mit den Schultern.
„Sind doch garantiert zig Konservierungsstoffe drin. Bisher sehen die normal aus. Im Zweifel riecht man's."
„Hm, ja. Lasst uns erst mal gucken, was sonst so noch da ist."
Schlussendlich haben wir die Eisteeflaschen und die Konservendosen eingepackt. Eine noch geschlossene Packung Cornflakes gab es auch noch, die in meinen Rucksack wanderte. Aber bei genauerer Betrachtung hatten die Mikrowellengerichte dann doch merkwürdig gerochen. Viel mehr gab es in diesem Haus tatsächlich nicht mehr. Ein paar Kleinigkeiten wie Salz packten wir noch ein, ein paar Hygieneprodukte fanden wir noch. Tampons mit Applikatoren, bah. Aber hier nun mal am die Regel. Kyra spähte vor dem Verlassen des Hauses durch die Haustür, in der nun nicht mehr das Mädchen lag. Ich konnte mir vorstellen, wo es war. Hoffentlich gab es so etwas wie einen besseren Ort oder auch ein friedliches Nichts.

Endless DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt