Kapitel 49 - Nervenzusammenbruch - Kyra

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Nun saß ich hier auf Toilette und starrte verbittert auf das Stück blutbefleckte Stoff, das provokant zwischen meinen Beinen spannte. Dein Ernst, Körper? Könntest du nicht einfach so sehr am Arsch sein, dass du nicht einmal in Erwägung ziehen würdest, ich würde zu solchen Zeiten ein Kind haben wollen? Mein Kopf sollte dir doch eigentlich als gute Vorlage dienen.
Stöhnend warf ich den Kopf in den Nacken. Und was machte ich jetzt? Ich konnte mich nicht daran erinnern, Tampons oder sonst was eingepackt zu haben. Beziehungsweise hatte ich schon, als John und ich zu Papa aufbrachen und schlussendlich in der Schule landeten. Aber nicht, als wir zum eigentlich nur klein gedachten Plünderrundgang angesetzt hatten, doch dann vom Militär überrascht wurden und der Rest unserer Sachen für immer in der Schule verloren sein würde. Oder hatte ich es doch eingepackt? Nein... Ja? ARGH! Ich erinnerte mich nicht. Aber ich würde mich sicherlich erinnern, wenn ich es eingepackt hätte, denn mein Hygienezeug befand sich in der Regel in meinem Kulturbeutel und den hätte ich garantiert schon benutzt, wenn ich ihn denn dabei hätte. Aber nein. Sämtliche zusammengesammelten Hygieneartikel hatte ich aus der ersten Wohnung zusammengeklaubt, in die ich geflüchtet war. Und so dämlich wie ich war, hatte ich da natürlich nicht an meine bald einsetzende Menstruation gedacht. Warum auch? War doch lustig, unkontrolliert vor sich hin zu bluten.
Ich schlug mir gegen die Stirn. Genug blöde Scherze gemacht, die nicht einmal witzig waren und zum Glück eh niemand gehört hatte bis auf mein eigener Kopf. Genervt legte ich mir provisorisch etwas Toilettenpapier in den Slip und suchte dann meine Tasche auf. Pia war nicht auf dem Zimmer, stellte ich dort fest. Womöglich war sie duschen gegangen. Den Wasserverbrauch vom heutigen Tag wollte ich wirklich nicht wissen.
Ich wühlte in meinem Rucksack, nur um darin bestätigt zu werden, dass ich tatsächlich keinen Kulturbeutel mehr besaß. Toll. Und nun? Eines der Mädchen fragen? Dann kam mir allerdings in den Sinn...
Ich langte in das dünne, mit Klettverschluss verschlossene Fach an der Rückseite der Tasche und wühlte ganz unten durch die Ansammlung von Kleinkram, bis mir etwas vertraut Ründliches mit glatter Oberfläche in die Finger kam. Yes! Es zahlte sich nun also doch mal aus, dass ich zu normalen Zeiten in sämtlichen Taschen in irgendwelchen unauffälligen Fächern Tampons für den Notfall verstaut hatte. Wobei ich damit ironischerweise öfter andere als mich selbst gerettet hatte.
Erneut auf Toilette kümmerte ich mich um meinen dummen Körper und kehrte dann nochmals auf mein Zimmer zurück. Pia war immer noch nicht da. Dafür entdeckte ich Moon am bodentiefen Fenster, die mit gespitzten Ohren aufmerksam nach draußen starrte. Was sie wohl beobachtete? Leise stellte ich mich zu ihr, wurde dabei von ihr bemerkt, wenn auch nur kurz beachtet, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Außenwelt widmete. Das, was sie so konzentriert fixierte, waren... wow... waren ein paar Vögel im Garten.
Ich hob die Augenbrauen und schaute Moon à la "Echt jetzt?" an. Katzen. Verweichlicht von der menschlichen Zivilisation, doch wohl die Art Haustier, die am ehesten die Apokalypse überleben würden, da der Jagd- und Überlebensinstinkt nie aus ihnen rauszukriegen war, ist und bleiben wird. Wahrscheinlich würden sie sie sogar eher überleben als die Rasse Mensch. Könnte auch dem geschuldet sein, dass die aktuelle Apokalypse auch ausschließlich auf Menschen los ging - verständlicherweise.
"Na Moon?", säuselte ich und strich ihr über den Kopf. "Möchtest du raus und schon mal dein Abendessen fangen?"
Das grau-schwarze Fellknäuel blickte mich geradewegs an und miaute. Sanft lächelte ich. Natürlich wusste ich nicht, ob sie mich tatsächlich verstanden hatte, aber ich wertete es dennoch mal als "Ja". Also schnappte ich mir das warme Flauschekissen, positionierte es gemütlich auf meinen Armen, was nicht ganz so leicht war, da die round about vier Kilo sich schnell bemerkbar machten und verließ das Zimmer auf den Weg nach draußen. Nach einigen Schritten blieb ich jedoch kurz stehen. Wohin nach draußen wollte ich jetzt genau? Es gab mehrere Wege. Ein oder zwei Seiten- bzw. Hinterausgänge, allerdings dienten die mehr als Notausgangstüren. Dann war da noch der Haupteingang und der Weg zum Wintergarten mit Gartenanschluss. Es könnte sein, dass im Einfahrtsbereich zum Haupteingang die Hunde noch herumgeisterten und es war unklar, wie sie auf eine Katze reagieren würden. Zudem hatte ich noch gar nicht die Chance gehabt, den Wintergarten genauer unter die Lupe zu nehmen, also bot sich das endlich mal an.
Mit diesem Entschluss wollte ich gerade weitergehen, da kam mir jemand entgegen, der mich wieder ausbremste. Mrs. Jacott. Und sie schaute mich alles andere als begeistert an. Hatte ich was falsch gemacht?
Die blonde Frau hob ein Taschentuch an die Nase und fragte ganz entrüstet: "Wo haben Sie dieses Vieh her?!"
Wie, welches Vieh? Verwirrt zeigte ich auf die Katze in meinen Armen. "M-Moon?"
"Mir egal, wie das Vieh heißt! Es hat hier nichts verloren!"
In dem Moment sah ich, wie ihre Augen langsam rot anliefen und sie niesen musste. Ach herrje... Sie war allergisch! Und Moon hatte nun nicht gerade wenige geschweige denn kurze Haare.
"Gesundheit!", rief ich hektisch. "Das tut mir unglaublich leid, ich bringe sie sofort raus!"
"Das ist ja wohl auch das Mindeste! Und genau dort bleibt sie auch!"
Maine Coon Katzen waren meines Wissens nach keine Draußenkatzen, aber ich dachte gar nicht erst daran, zu widersprechen. Auf nichts würde ich bestehen, wenn sie schon so nett war, uns hier aufzunehmen. Tatsächlich war es auch nur ihr zu verdanken, dass wir überhaupt erst hier reingekommen waren. Natürlich würde ich ihre Großzügigkeit so weit es mir möglich war auf keinen Fall auf die Probe stellen. Dementsprechend schnell entschuldigte ich mich nochmals, sah dann zu, dass ich in den ersten Stock, dann ins Wohnzimmer und dann schnurstracks Richtung Wintergarten kam. Im Augenwinkel sah ich John und Viktor auf dem Sofa sitzen, allerdings wollte ich es nicht riskieren, noch zusätzlich unnötig Katzenhaare in der Wohnung zu verteilen, deshalb würde ich erst nach dem Absetzen von Moon auf sie zurückkommen. Im Wintergarten selbst rutschte ich aus meinen Hausschuhen heraus und lief barfuß in den Garten. Wider meines Erwartens waren die Hunde doch nicht im Einfahrtsbereich, sondern hier und spielten mit Castiel. Mir wurde mulmig zumute. Erneut durch das halbe Haus laufen wollte und konnte ich nicht, allerdings wollte ich auch nicht herausfinden, ob die beiden Rüden Katzen hassten und in Stücke zerfleischten, wenn sie eine erwischten. Sveas Hund kannte ich nicht und Demon hatte ich nie in Aktion mit einer Katze erleben müssen oder können. Das Fellknäuel war mir sehr ans Herz gewachsen, sie zu verlieren könnte ich nicht auch noch ertragen. Nicht, wenn ich es hätte verhindern können.
"Castiel?", rief ich unsicher, unbewusst Moon näher an mich herandrückend.
Erst jetzt bemerkte mich der Rotschopf und drehte sich zu mir. Wahrscheinlich erkannte er in meiner Körperhaltung und Mimik was los war, denn er winkte nur mit der Hand ab und meinte, ich könne "das Vieh" ruhig herunterlassen. Ich hoffte, Moon würde nicht irgendwann lernen, dass das ihr neuer Name sein könnte, so oft wie sie so genannt wurde.
Mit hämmernden Herzen ließ ich die Katze von meinen Armen. Aufmerksam stand sie da und inspizierte ihre Umgebung. Ihre Augen blieben schließlich bei Demon und dem Husky hängen, die sie ebenso aufmerksam betrachteten. Moon war weder beeindruckt, noch verängstigt, noch sonst irgendwas. Das musste aber noch lange nichts heißen.
"Kyra", seufzte der Rotschopf genervt. "Sei nicht so unentspannt. Du hast ja mehr Angst um diese Höllenkreatur, die von den Hunden gar nichts zu befürchten hat, als um dich, wenn du von Zombies angegriffen wirst." Er rollte mit den Augen.
Das würde ich so definitiv nicht unterschreiben, aber eines stimmt: Ich hatte wirklich Angst um sie. Sie nicht zu sehr an mich heranzulassen war damals, als ich ihn ihrem alten Zuhause Zuflucht gesucht hatte, etwas, was ich mir zum Selbstschutz selbst vorgenommen hatte. Und am Ende vollkommen missglückt war. Deshalb entspannte ich mich wirklich erst, als ich sah, wie die graue Katze begann, um die Hunde herumzuschleichen, sie untersuchte, während diese neugierig an ihr schnupperten und dabei mit ihren Schwänzen wedelten. Ein Schwall Luft kam mir vor Erleichterung über die Lippen. Eine Sorge weniger, die ich mir um Moon machen musste. Ich drehte mich zurück zum Wintergarten. Erst jetzt sah ich zwei Personen darin sitzen. Nath und Svea. Beim Vorbeieilen waren sie mir nicht aufgefallen. Das war aber auch ein ziemlich großer Wintergarten. Ich musste mir etwas einfallen lassen, wie ich Moon darin unterbringen konnte. Zurück auf mein Zimmer konnte ich sie nicht nehmen, aber Tag und Nacht im Garten lassen konnte ich sie auch nicht. Bestimmt hatten sie noch alte Decken oder so was. Ich würde Nathaniel später danach fragen, er hatte sicherlich Verständnis dafür. Stören wollte ich ihn allerdings gerade nicht. Er wirkte sehr vertieft in dem Gespräch mit seiner Freundin. Sie hatten sicherlich viel einander zu erzählen...
Da kam mir mein Bruder wieder in den Sinn. Ich verabschiedete mich von Castiel und ging zurück ins Haus. Mittlerweile hatte ich auch sehr kalte Füße bekommen. Mitte September barfuß im Garten herumzueiern gehörte bis jetzt nicht wirklich zu meinen besten Ideen.
"Hey John. Hey Viktor." Ich setzte mich neben meinen Bruder auf die lange Couch. Viktor saß schräg gegenüber von uns in einem Sessel, so konnte er sich wohl besser mit ihm unterhalten. Es war nicht lange her, dass ich die beiden gesehen hatte, höchstens vor zwei Stunden bei der Zimmereinteilung, doch es kam mir wieder vor, als wäre es Ewigkeiten her. Waren das die Verlustängste, die die Zeit so verzerrten, wenn ich nicht bei meinen Lieben war? Es waren bestimmt die Verlustängste.
"Hallo Kyra. Wie geht es dir?" Der Schwarzhaarige beäugte mich fürsorglich. Ich zuckte mit den Schultern und brachte ein kaum merkliches Lächeln zustande. "Den Umständen entsprechend."
Im Prinzip war ich einfach nur noch kaputt. Ich hatte das Gefühl, mehrere Tage durchschlafen zu können. Vielleicht hatte ich auch mehr das Gefühl, mehrere Tage durchschlafen zu wollen. Ja, das wäre schön.
Im Augenwinkel sah ich nun, wie der fürsorgliche Blick des Schwarzhaarigen einem irritieren wich. Bevor ich jedoch nachfragen konnte, fragte er schon: "Was hast du da?" Dabei zeigte er auf mein eines Bein. Da ich hier nun eine Leggins trug, zeichnete sich der Verband meiner Schusswunde ab. Auf dem Teil der Flucht, den wir gemeinsam angetreten hatten, konnte ich meine Verletzung entweder gut verstecken oder es hatte einfach keiner einen Blick für solche nicht-offensichtlichen Kleinigkeiten gehabt.
"Nur 'nen Verband", winkte ich ab, in der Hoffnung, nicht weiter darüber reden zu müssen. John sollte das eigentlich nicht mitbekommen.
"Du bist verletzt?"
Ich erwiderte nichts, tat eher so, als hätte ich die Frage nicht gehört. John sollte es nicht mitbekommen!
"Kyra?", zog nun dieser meinen Namen fragend in die Länge. Er sollte es doch eigentlich nicht mitbekommen...
"Ich...", zögerte ich. Er würde einen Koller bekommen, ich kannte ihn doch. Aber er war nicht dumm, er hatte den Verband ja nun auch gesehen. Er hatte es mitbekommen. Er würde nicht locker lassen, ehe ich es ihm erzählte...
"Bei unserer Flucht bei der Schule... Da würde ich von einem des Militärs erwischt. Es ist aber nicht so wild, ich habe mich schon darum gekümmert und die Wunde versorgt. Entzündet ist auch nichts, sie heilt."
Seinen Blick wollte ich vermeiden, ich wusste ganz genau, weshalb ich ihn vermeiden wollte, doch ich hörte nicht auf mich und schaute trotzdem hoch. Toll. John sah mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen worden. Oder es hätten ihn vor Unglauben gerade sämtliche Geister verlassen.
"Du willst damit sagen, du hast eine Schusswunde?!"
Bei seinen ungewöhnlich lauten Worten zuckte ich zusammen.
"Und damit bist du nicht zu mir gekommen?!"
"Wozu?!", versuchte ich mitzuhalten. "Ich habe doch gesagt, es ist alles gut!"
"Kyra, ich habe ja wohl kaum umsonst ein Medizinstudium gemacht! Jetzt steh' auf und zeige mir die Wunde!"
Mir klappte der Mund auf, ehe ich ihn wieder empört schloss. "Jetzt?!" Mal davon ab, dass er sein Studium noch gar abgeschlossen hatte, sondern es wegen eines mutierten Grippseviruswasauchimmer erstmal für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurde.
Bevor mein Bruder wieder etwas entgegnete, schloss er die Augen und atmete tief durch. Er wollte sich beruhigen. Das machte er immer, wenn ihn etwas emotional aufwühlte. Was aber bisher nicht sonderlich oft passiert war. Bei seinen Geschwistern verstand er allerdings nach wie vor kein Pardon.
"Nein, nicht jetzt", meinte er, nachdem er seine Augen wieder geöffnet hatte, ruhig. "Aber ich will und werde sie mir anschauen. Am besten kommst du mit mir auf mein Zimmer, da haben wir unsere Ruhe."
Maulig starrte ich ihn an. Ich wollte nicht! Wieso verstand er das nicht? Doch ehe ich erneut protestieren konnte, höre ich ein schrilles, hysterisches Lachen. Es kam von draußen. Alle drei Köpfe von uns drehten sich irritiert Richtung Wintergarten. Svea?
"Du machst Witze!", erklang es dumpf, doch hörbar ungläubig. Was war da los? Svea, die sonst immer ruhig und gefasst war - zumindest soweit wie ich Zeuge werden konnte - entgleiste die Stimme.
"Was, ihr macht ein Kaffeekränzchen ohne mich?", ertönte es von der anderen Seite. Dake kam herein und störte uns bei unserem angestrengten Lauschen. "Ich bin entrüstet!"
Ich zischte ihn an, um ihm zu bedeuten, still zu sein. Das geschah ganz automatisch, meine Neugierde brach gerade durch. Was brachte Svea so außer Fassung? Man hörte nur noch vereinzelte, aufgebrachte Wortfetzen von Svea, von Nathaniel hingegen gar nichts. Er wird sie wohl zu beruhigen versuchen.
"Was da los?", kam es vom Blondschopf und marschierte schnurstracks zur entsprechenden Tür. Wollte er da jetzt ernsthaft reingrätschen? Das ging ihn nichts an!
Unsicher saß ich dort und lauschte dem, was passierte. Als Dake den Wintergarten passierte, war es kurz beängstigend still. Nach ein paar Sekubden brach dann alles aus Svea heraus. Der Schreck ließ mich extrem zusammenzucken. Was ihren Mund verließ war so aufgewühlt und schrill, dass es kaum zu verstehen war. Die Panik ergriff mich und ohne weiter darüber nachzudenken, stürmte ich zu ihnen in den Wintergarten. Was ich erblickte ließ meinen Magen jedoch noch mehr zusammenkrampfen. Svea stand dort mitten im Raum, der Kopf feuerrot, Augen und Wangen benetzt von Tränen, während sie in einem Mischmasch mehrerer Sprachen fluchte und schrie und scheinbar extrem sauer auf Dake schien. Denn er war das Ziel dieses massiven Ausbruches. Ihr Freund stand daneben und versuchte tatsächlich mehr schlecht als recht diesen tobenden Tornado zu bändigen.
"Verstehst du's nicht?!", schrie sie ihn an und fixierte wieder einmal den Surfertypen, der vollkommen überfragt und tatsächlich leicht eingeschüchtert knapp zwei Meter von mir entfernt stand. "Er sollte nicht hier sein! Er ist widerlich! ER ist mit schuldig daran, dass Simon mich von vorne bis hinten verarscht hat!"

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