Kapitel 6 - Gespräche - Svea

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Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, saß Rosalia auf ihrem Lager und telefonierte leise.
„Ja, Leigh, hier ist alles gut. Ja, Lys ist auch okay.", sie telefonierte wohl mit ihrem Freund - und Lysanders älterem Bruder. Ich setzte mich von ihr unbemerkt auf.
„Und bei dir ist wirklich alles gut? Hast du genug Vorräte?", sie zog ihre Augenbrauen nachdenklich zusammen. Es war das erste Mal, dass ich sie so sah. Sie zeigte ihre Sorgen genauso wie ich eigentlich nie vor anderen. Mir wurde klar, dass sie sehr wohl welche hatte, auch wenn es oft nicht so schien. Sie sprach noch ein paar Sätze mit ihrem Freund, bis sie schließlich beide auflegten. Erst dann bemerkte sie, dass ich wach war.
„Oh, Svea. Du bist ja wach", sie sah überrascht aus und legte ihr Handy zur Seite.
„Ich hab nicht viel mitgehört, keine Sorge.", ich suchte mein eigenes Smartphone und fand es auf meinem Kleiderstapel. Neben diesem lag eine Portion Essen. Wohl meine Mittagsration, das Mittagessen hatte ich verpasst, was mir der Blick auf mein Handy verriet.

„Nathaniel hat deine Ration wie ein Bär verteidigt. Vor gefräßigen Monstern namens Amber. Die hat regelrechten Futterneid entwickelt", Rosa schmunzelte. Ihre Bemerkung brachte mich zum Lachen. Auch sie fing an, zu kichern - es war das erste Mal, dass ich mit Rosalia lachte. Wir hatten vorher nie viel miteinander zu tun.
„Du kennst Nathaniel und Amber schon lange, oder?", sie kam zu mir hinüber und setzte sich. Ich nickte.
„Er ist mein erster Freund gewesen, als wir in hierhergezogen sind und mit dem ich immer noch befreundet bin", ein Schmunzeln konnte ich nicht unterdrücken.
„Wie süß!", Rosalia schien ganz begeistert zu sein, denn sie klatschte enthusiastisch in ihre Hände. Ich wurde rot.
„Ach was. Genauso lange halte ich Amber schon aus", mein Blick wich ihr aus und ich griff mir mein Essen.
„Ich lass dich dann mal in Ruhe essen. Wir sind alle nebenan, haben im Lehrerzimmer in einem Schrank Brettspiele gefunden. Wenn du magst, kannst du ja dazukommen", Rosalia erhob sich. Auch sie trug eine der neuen Hotpants und eines der T-Shirts.
„Ich überleg es mir", ich zog einen Mundwinkel nach oben. Ich aß, ohne wirklich darauf zu achten, was ich da kaute und griff mir dann nach kurzem Zögern mein Handy. Flink suchte ich einen Kontakt aus meinem Adressbuch und wählte.
Nach einem kurzen Moment mit rhythmischem Piepen, ging die Person ans Handy.

„Hejhej Mama...", ich klang sicherlich kleinlaut und schuldbewusst. Wieso hatte ich nicht früher angerufen?
„Wie geht es dir, Engel?", sie klang froh und ihr Schwedisch war schnell.
„Gut, noch haben wir Essen", ich antwortete ganz automatisch auf schwedisch. Kurz herrschte Stille, dann platze es einfach aus mir heraus, „Ich lieb euch sehr, Mama. Wisst ihr das?"
„Wir lieben dich auch, mein Schatz", sie weinte am anderen Ende der Leitung. Auch mir kamen Tränen.
„Egal, was passiert?", meine Stimme war kratzig.
„Bedingungslos immer", ihr Schniefen halte in mein Ohr und ich versuchte vergeblich, meine Augen trocken zu wischen.
„Wir sind so stolz auf dich!", der schnelle Sprachenwechsel war für mich nichts Neues, sodass ich mit Papas Deutsch sofort mitmachte.
„Papa... sag sowas nicht", ich konnte mit seinen Worten einfach nicht umgehen, „Wie ergeht es euch an der Uni?"
„Das Unigelände konnte das Militär irgendwie säubern, aber ich bin ehrlich, Schatz. Außerhalb sieht es nicht so prickelnd aus", ich war froh, dass er nicht viel drumherum redete, sondern mir die Fakten nannte.
„Das merkt man. Vor der Schule laufen oft genug welche lang", ich wischte mir die letzten Tränenreste aus den Augenwinkeln, „Ich liebe euch!"

Ich ging nach dem Telefonat mit meinen Eltern nicht zu den anderen. Ich hatte gerade nicht das Bedürfnis nach Gesellschaft. Naths vielleicht noch, aber sonst wollte ich lieber allein sein. Sollte ich Viola oder Armin darauf ansprechen, dass ich sie gehört habe, wie sie die imaginäre Matratze haben quietschen lassen? Oder sollte ich es lieber totschweigen und am besten vergessen? Ich streckte mich und lehnte mich an die Wand hinter mir, über mir das Fenster. Meine Schultasche lag am Fußende meines Lagers, darin all meine Bücher. Ich lehnte mich vor, krabbelte ein Stück und griff sie mir. Dann zog ich meine Federtasche und meinen Collegeblock hervor. Ich stand auf, kletterte mühsam auf die breite Fensterbank und setzte mich auf diese. Draußen eierten mal wieder vereinzelte Zombies herum und wäre dies nicht die Realität, sondern ein Videospiel, fände ich die blutigen und torkelnden Gestalten wohl witzig. Seufzend blätterte ich durch meine noch nicht weg gehefteten Schulsachen. Physik, Chemie, Mathe, alles eher schlecht als recht gelöst, beziehungsweise auch nur halb. Ich kam auf der ersten freien Seite an. Der Block war zum Glück noch so gut wie nicht benutzt. Ich fischte mir meinen Kugelschreiber aus der Federtasche und begann spontan meine Gedanken und Erlebnisse bisher aufzuschreiben. Dabei war ich darauf bedacht, klein und sauber zu schreiben, außerdem ließ ich nicht wie üblich eine Reihe an Kästchen frei. Mein Papier war begrenzt. Sorgfältig achtete ich darauf, mich nicht zu verschreiben und bemerkte so zunächst nicht, wie jemand in den Raum kam, der hier laut Definition eines „Mädchenschlafraumes" nichts drinnen zu suchen hatte. Erst, als ich kurz zum Grübeln den Kopf hob, sah ich ihn.
„Oh, hallo Lysander", ich schmunzelte und legte meinen Block beiseite.
„Du siehst konzentriert aus", er sah mich mit einem ruhigen und für ihn üblichen, geheimnisvollen Blick an.
„Ich versuche, das Ganze hier", ich deutete auf die Umgebung und die Wiederkehrer vor dem Tor, „irgendwie in Worte zu fassen und niederzuschreiben. Vielleicht kann man das später mal brauchen."
„Das klingt nach einer guten Idee.", er deutete auf den freien Platz auf der Fensterbank, „Darf ich?"
„Klar, nur zu", ich nickte. Einen Augenblick lang blieb es still.
„Wunderst du dich, weshalb ich nicht zur Gruppe komme?", ich sah den Weißhaarigen analysierend an. Beziehungsweise versuchte ich es.
„Nicht wirklich. Du erscheinst mir jemand zu sein, der seinen persönlichen Freiraum braucht", er sah mich ähnlich konzentriert an.
„Und? Geht es deinen Freunden gut?", ich rang mich zu dieser Frage durch. Er sagte kurz nichts und schien zu überlegen.
„Ein paar konnte ich erreichen. Andere... nicht.", er blickte nachdenklich nach draußen, „Wobei die meisten eher gute Bekannte waren beziehungsweise sind. Meinen engsten Freunden und meinem Bruder geht es gut. Bei meinen Eltern auf dem Land ist noch alles ruhig."
„Das ist gut, denke ich", ich strich über meine Fingernägel und zögerte, sollte ich auch etwas zu meinen Bekannten sagen? Ich entschied mich dafür. Es war nur fair, er hatte es ja auch.
„Meine Eltern sind auf dem Unigelände sicher, ich mache mir nur Sorgen um meinen Hund und die alte Dame von nebenan. Der Rest der Menschen, die mir ein bisschen was bedeuten, können auf sich aufpassen, denk ich. Die Leute aus dem Dojo werden nicht so langsam sein, dass ein Zombie sie beißen könnte, wenn sie mal nach einem treten", ich sah nach draußen. Wir schwiegen wieder. Ich vertraute Lysander in einem bestimmten Rahmen und mochte ihn. Wir sprachen nie viel, weil wir beide eher still waren, aber er genoss ein großes Ansehen bei mir.
„Was soll man von dieser ganzen Situation nur halten? Was soll man denken?", ich seufzte.
„Schwer zu sagen", ihn schien ebenfalls ein Gedanke zu beschäftigen.
„Und was wir machen, wenn unser Essen aufgebraucht ist, wissen wir auch nicht", ich grübelte.
„Es wäre wohl besser, was zu tun, bevor unsere Vorräte vollständig verbraucht sind", er sah auf die Packung des Müsliriegels, der zu meiner Mittagsration gehörte. Ich gab ihm mit einem zustimmenden Geräusch recht. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, bis er zu der Gruppe zurückkehrte. Auch ich verließ den Schlafraum, auch wenn ich in die entgegengesetzte Richtung ging.

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Credits to @Nastalia (on FF.de) :'D

Endless DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt