Die kämpferische Kyra hatte ein großes, kommunikatives Problem. Sie konnte sich nicht richtig erklären, reden war noch nie eine besondere Stärke von ihr. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als von ihrem Platz ihren Collegeblock zu holen und diesen Lysander in die Hand zu drücken, nachdem sie sich in einem der Klassenräume zurückgezogen hatten. Egal, wie unangenehm das war und das Bevorstehende werden würde.
Ich saß auf der Fensterbank, den Blick mit unruhigen Gedanken nach draußen gerichtet. Der Regen hatte sich mittlerweile wieder in einen starken Guss verwandelt, Blitze zuckten wunderschön über den schwarzen Himmel, kurz darauf gefolgt von heftigem Donnergrollen. Bald würde es direkt über uns sein.
Vor mir an einem der Tische saß der Silberhaarige vertieft in meinen Aufzeichnungen der letzten drei Wochen, vertieft in meinen geheimsten Gedanken und tiefsten Ängsten. Noch nie war der Satz "Er konnte mich lesen wie ein Buch" so wahr. Und genau das bereitete mir ungemeines Unbehagen. Ich hatte noch nie besonders gern mit anderen über mein Innenleben gesprochen und insbesondere heute wollte ich die ganze Zeit einfach nur vermeiden, dass er mich als schwach betrachtete. Als ein hilfloses, trauriges Mädchen. Und gerade jetzt förderte ich genau das wie ein Weltmeister. Es war ja auch nicht so, als hätte ich wenig geschrieben. Nein, zwei bis drei mehr oder weniger lange Texte waren pro Woche in diesem Collegeblock verewigt worden und im letzten würde er herausfinden, dass ich ihm absichtlich aus den Weg gegangen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich dafür verurteilen würde... Aber suchte ich mit dieser Aktion gerade ernsthaft eine Rechtfertigung für mein dezent kindisches Verhalten?
Die etwa 20 Minuten, in denen wir dort saßen und schweigend verbrachten, kamen mir unendlich lang vor. Die letzten davon hatte ich ihn angesehen, im Wissen, dass er gleich fertig sein müsste. Als er schließlich den Blick hob, traf es mich wie der Blitz. Auf so einen schmerzhaften Ausdruck war ich nicht vorbereitet. Unfähig, diesem standzuhalten, drehte ich meinen Kopf weg.
"Ich wollte nicht, dass es wie eine Rechtfertigung klingt. Nun ist es doch eine geworden. Aber dass ich meine Freundschaft zu dir oder eher allgemein meine Freundschaften mit Füßen trete, dafür gibt es keine Rechtfertigung. Es tut mir leid...", murmelte ich und fühlte mich unwohl. Einfach nur unwohl. Ich wollte davor weglaufen, doch ich blieb an Ort und Stelle, weil ich wusste, dass mich dieses Unwohlsein überall hin mit verfolgen würde.
"Was? Was redest du da?"
Erschrocken drehte ich meinen Kopf zurück zu ihm. Und japste nach Luft. So viel Schmerz in seinem Gesicht. Zu viel.
Er sah auf die Zettel in seiner Hand und dann wieder zu mir auf. "Du darfst sowas nicht denken, Kyra. Du brauchst dich für rein gar nichts "rechtfertigen". Du hast nichts getan, bis auf deine Ruhe haben zu wollen. Und daran ist nicht einmal irgendetwas verkehrt. Des Weiteren..." Er brach ab und stand auf, kam langsam auf mich zu. Ich blinzelte die Hand an, die er mir entgegenstreckte und zögerlich griff ich nach ihr. Sanft zog er mich in eine Umarmung, in die ich nicht gezogen werden wollte, doch konnte ich mich auch nicht dagegen wehren – irgendwie wollte ich es dann doch. Verkrampft stand ich da, unfähig, mich der Umarmung zu entziehen oder sie zu erwidern und wartete darauf, was Lys als nächstes tun oder sagen würde. Seine eine Hand lag an meinem Hinterkopf, die andere um meine Schultern. Und als ob er wüsste, dass es mich beruhigen würde, wurde in dieser Position mein Kopf so in seine Halsbeuge gedrückt, dass ich perfekt den Duft einatmen konnte, der mich bereits gestern Nacht wohltuend umgeben hatte. Und damit gab ich nach. Meine Verkrampftheit löste sich immer mehr, ich hob die Arme und legte sie auf seinen Rücken, meine Finger gruben sich in sein Oberteil. Der Abwehrmodus fiel und ich begann, mich in die Umarmung hinein zu lehnen, fokussierte alle meine Sinne auf den Körper, der mich umgab. Die Wärme, der Duft, der Herzschlag... es fühlte sich an, als formatierten sie sich zu einem Schutzwall, unermüdlich dabei, meinen düsteren Gedanken Einhalt zu gebieten. Und obwohl das gestern Nacht schon so gut funktionierte, fragte ich mich aufs Neue, wie es ihm möglich war, durch so eine simple Geste, sich so sicher, sich so sehr wie Zuhause anzufühlen.
„Des Weiteren...?", murmelte ich irgendwann, einfach, um irgendwas zu sagen. Er brummte etwas, als hätte ich ihn aus einer anderen Welt zurück in die Realität gezogen, bevor ich das Gefühl bekam, dass er mich noch ein Stück näher an sich zog. "Des Weiteren... Ich wüsste nicht, wie ich in deiner Situation gehandelt hätte. Ich will mir gar nicht vorstellen, was ich täte, wenn beispielsweise Leigh etwas zugestoßen wäre." Er machte eine Pause und ich wusste nicht, ob er es absichtlich tat, aber er strich mir einmal wie zur Beruhigung über den Hinterkopf. "Kyra, du denkst vielleicht, du seist schwach, weil dir das alles nahe geht - verständlicher Weise. Aber das bist du nicht. Im Gegenteil, ich denke eher, dass du unglaublich stark bist, wenn du dennoch versuchst, mit all dem irgendwie klar zu kommen."
Ich vergrub mein Gesicht weiter in seinem Nacken. Wieso trösteten mich seine Worte so sehr? Wieso hatten sie diese Wirkung auf mich? Jeder oder jede andere, die versucht hätte, mich mit diesen Worten zu beruhigen, hätte ganz sicher bei Weitem nicht diese Wirkung hervorgerufen - mit Ausnahme von John vielleicht. Aber der hat unseren Vater gekillt, also vielleicht nicht mal mehr John.
"'Damit klar kommen'", wiederholte ich murmelnd, fast schon sarkastisch. "Meine Hand war zumindest in Gedanken schon mehrmals an der Waffe..."
Seine Arme schlangen sich fester um mich und wieder einmal konnte ich nicht sagen, ob ihm das bewusst war oder nicht. Da er kurz darauf aber seinen Griff wieder lockerte, tippte ich auf 'nicht'. Der Blick, mit dem er mich ansah, war für mich undefinierbar und gleichzeitig ein Mix aus allen bekannten Emotionen. Oder andersherum.
"Und trotzdem stehst du noch immer hier. Du steht hier vor mir und du lebst. Du lebst, Kyra, vergiss das nicht, und du wirst das alles überleben."
Lysander schien sehr kuschelbedürftig heute zu sein, denn er zog mich schon wieder in seine starken Arme.
"Kyra...", flüsterte er weiter. "Denk bitte immer daran: Falls dich deine Dämonen wieder zu übermannen drohen, komm zu mir. Ich bitte dich. Du musst mit ihnen nicht allein klar kommen und das sollst du auch nicht! Ich helfe dir so gut ich kann, jede noch so schlimme Phase zu überstehen, wie ich es schon immer getan habe, seit wir uns kennen. Und was ich auch immer gern getan habe und gerne tun werde. Weil du mir unglaublich wichtig bist, Kyra."
Der Silberhaarige hauchte mir einen Kuss auf den Scheitel und obwohl das nichts Neues war und immer seine Bruder-ähnliche Liebe demonstriert hatte, kamen mir die Tränen. Nicht nur, weil ich gerührt war, dass er so viel sagte, nur um mir klar zu machen, dass er für mich da war. Sondern auch, weil ich zum ersten Mal seit Anbeginn unserer Freundschaft, seine seit daher als geschwisterlich vergleichbare Liebe nicht als solche erwidern konnte oder wollte. Ich verspürte das Verlangen, mich von ihm zu drücken, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und ihn zu küssen. Kein Kuss auf die Wange, wie er ihn schon das eine oder andere Mal aus kindlicher Dankbarkeit erhalten hatte, nein. Ein richtiger Kuss. Ein richtiger Kuss auf die Lippen, ein Kuss aus... aus was eigentlich?
Ein wohliger Schauer war mir den Rücken heruntergelaufen, doch ich verkrampfte mich plötzlich und krallte mich wieder fest an Lysanders Körper, um nicht auf dumme Ideen-... Um nicht auf dumme Umsetzungen dummer Ideen zu kommen. Was zum...?! Es gab Dinge, die waren einfach nicht im Rahmen des Möglichen. Und dazu gehörte definitiv, den besten Freund aus irgendeiner chaotisch emotionalen Spinnerei heraus zu küssen. Egal, wie überraschend verlockend der Gedanke daran sein mochte.
"I-in Ordnung", murmelte ich in seinen Hals und hoffte, dass ich keine rote Birne hatte.
"Versprich es mir."
"Ich..." Er bestand selten darauf, ihm etwas zu versprechen. Normalerweise bevorzugte er es, die Menschen durch ihren vorhandenen freien Willen selbst entscheiden zu lassen, was sie letzten Endes damit anstellten. Es schien ihm also wirklich wichtig zu sein. Und wenn ich ehrlich war, forderte er damit meine Spinnerei schon etwas heraus...
"Ich verspreche es..."
"Gut...", seufzte er noch, ehe sich Stille zwischen uns breit machte. Wir standen da sicherlich noch eine Minute, die ich auch dringend brauchte, um mich von meinen verwirrenden Gedanken zu erholen. Irgendwann trennten wir uns und ich meinte, dass ich nun gehen würde, um duschen und schlafen zu gehen.
"Duschen? Es regnet draußen in Strömen."
"Was soll mir das jetzt sagen? Dass ich auf meinen ökologischen Fußabdruck achten und im Regen duschen soll, anstatt Warmwasser zu verschwenden?"
Lys lachte. Wieso war sein Lachen so schön? "Nein", lächelte er. "Dass du das besser auf morgen verschieben solltest. Nicht, dass du bei dem Unwetter draußen weggeweht oder krank wirst. Oder beides."
Nun schlich sich auf meine Lippen ein kleines Grinsen. Da schimmerte schon wieder diese unterschwellige Bemutterung durch, die mir früher schon oft genug auf die Nerven ging und ich dennoch immer so wertschätzte.
"Passiert schon nicht. Ich beeile mich einfach. Außerdem dusche ich morgens nicht gern." Ich war schon an der Tür, als ich dem Drang nicht widerstehen konnte, mich nochmal halb umzudrehen. Seine Haare erstrahlten im vom Blitz erleuchteten Raum wie Silber, aber das Gesicht konnte ich aufgrund der Entfernung und gegen das Licht leider kaum noch erkennen.
Leider...?
"Wir sehen uns." Und damit war ich schon geradezu aus dem Klassenzimmer geflüchtet. Irritiert stützte ich mich von der Wand ab, mit der anderen Hand fasste ich mir an die Brust. Mein Herz schlug so schnell... Dann wanderte die Hand in mein Gesicht. Es fühlte sich warm an, wärmer als normal...
Fest schüttelte ich den Kopf, versuchte, das Bild von meinem besten Freund aus meinem Kopf zu verbannen und setzte mich zügig in Bewegung. Im Mädchenschlafraum stellte ich, mal wieder Dank des Lichts der Blitze, fest, dass bereits jemand hier war. Dem Hund nach zu urteilen, der nun schlecht auf Castiel hinweisen konnte, musste es Svea sein. Sie schlief wahrscheinlich schon, also schnappte ich mir möglichst leise mein Zeug und dampfte ab. Mein Schlafquartier hatte ich noch nicht wirklich aufgeschlagen, da ich die erste und bisher einzige Nacht bei Lys verbracht hatt-... Mit großen Augen erstarrte ich, meine Wangen wurden wieder warm. Das klang viel zu falsch. Besonders nach der merkwürdigen Aktion von vor nur ein paar Minuten. Was war das nur, so ganz plötzlich, so völlig unangekündigt? Doch in erster Linie war es unangenehm. Ich wollte solche Gedanken nicht. Meine Schwester war tot, mein Vater war tot, ich selbst war dem Tod schon ein paar Mal nur knapp entronnen und woran dachte ich? Wie sich wohl die Lippen meines besten Freundes auf den meinen anfühlen mussten.
Erneut schüttelte ich kräftig den Kopf. Weg damit, bloß weg damit. Daran waren nur meine rotierenden Gedanken Schuld. Das ging wieder vorüber, spätestens, wenn ich wieder besser mit mir selbst klar kam. Und das sollte besser nicht allzu lange dauern...
Ich brachte meine Sachen in den Raum, in dem ich Spawner untergebracht hatte, schnappte mir die wenigen Duschutensilien, die ich mitgenommen hatte, Wechselkleidung und machte mich auf zu den Duschen. Am Haupttor blieb ich mal wieder einen Moment stehen, Regen und Wind waren nach wie vor schneidend und kalt, doch bevor ich wieder umkehren konnte, holte ich tief Luft und preschte durch die fast schon lebensfeindliche Umgebung. Das Blitzlichtgewitter erleuchtete mir den Weg bis zur Sporthalle und ich war sogar ziemlich froh drum, denn allein der Gedanke, mir im Dunkeln den richtigen Weg zu suchen, bereitete mir Unbehagen.
Ich stieß die Tür der Halle auf und begab mich direkt in einen beliebigen Umkleideraum mit den angrenzenden Duschbereichen. In meiner Schule war ich niemals duschen gewesen und ich konnte auch nicht sagen, ob es sonst jemals jemand getan hatte. Vielleicht mal spät Abends, wenn Leute für außerschulische Aktivitäten die Halle nutzten, aber nicht mal das konnte ich mit Sicherheit sagen. Jetzt aber war ich umso froher, eine Möglichkeit zum Duschen zu haben. Meine Haare waren bereits fettig und ich fühlte mich einfach nur eklig, abstoßend. Mir das bewusst werdend, schämte ich mich geradezu, dass mich Lys eben noch angefasst hatte. Wahrscheinlich stank ich sogar. Und dennoch hatte er nicht mal gezuckt...
Verdammt, jetzt war ich ja schon wieder gedanklich bei ihm... Nachdenklich starrte ich an die weiße Wand vor mir, während mir das zu heiße Wasser über meinen wie geschunden anfühlenden Körper rann. Ich fragte mich... Was wäre wohl passiert, wenn ich Lysander wirklich geküsst hätte? Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass er den Kuss erwidert hätte. Klar, er mochte mich, das wusste ich, aber doch nur freundschaftlich, oder? Hoffentlich mochte er mich nur freundschaftlich. Das war nichts gegen ihn, aber Gefühle waren etwas, was wir uns alle in dieser Situation wirklich nicht leisten konnten. Sie blendeten, machten unvorsichtig. Und dabei standen wir schon mit einem Fuß im Grab. Ich war mir sicher, Lys wusste das auch. Wahrscheinlich hätte ich ihn überrumpelt und dann hätte er mich von sich geschoben und mir so schonend wie möglich beigebracht, dass ich nur verwirrt war oder nicht klar denken konnte wegen all den Verlusten, die ich erleiden musste oder es normal war, Zuneigung empfinden zu wollen, als Beweis, dass man am Leben war, wenn man kurz vorm Ableben stand oder auch ein Mix aus allem. Und er hätte Recht gehabt. Ich liebte ihn nicht, jedenfalls nicht so und auch, wenn der Gedanke seiner Nähe Wohlwollen in mir auslöste, es hätte alles nur schlimmer gemacht und es war so schon schlimm genug. Es war eine Phase und wie alle Phasen würde sie wieder vorbeigehen und dann würde ich irgendwann darüber lachen und vielleicht würde ich es ihm dann auch erzählen und er würde mitlachen. Bis dahin allerdings müsste ich wohl damit leben, dass ein unbeschwertes, gelöstes Lachen ernst einmal nur als Erinnerung in meinem Kopf existieren würde.
Ich schreckte auf, als ich Geräusche hinter mir wahrnahm und drehte mich um, beruhigte mich allerdings direkt wieder, als ich die Person mit den blauen Haaren erkannte. Wann hatte ich das letzte Mal überhaupt mit ihr geredet? Gestern, als wir gerade hier angekommen waren? Heute jedenfalls nicht. Ich war möglichst allen aus dem Weg gegangen, selbst vorhin in Gesellschaft von Pia war es fast so, als hätte ich keine Gesellschaft gehabt. Sie wusste, dass ich nicht reden wollte und hat es deshalb gar nicht erst versucht. Sie kannte mich einfach schon lange genug, um zur richtigen Zeit die richtigen Knöpfe drücken zu können.
„Laeti. Was machst du denn hier?", begrüßte ich sie so freundlich ich derzeit konnte. Sie hingegen sah mich etwas verwirrt an und löste die ganzen Spangen aus ihren Haaren, bevor sie dann wieder grinste. „Was macht man wohl in einem Duschraum?"
„Ähm... Duschen?"
„Hundert Punkte für die Kandidatin!", klatschte meine beste Freundin und begann, sich auszuziehen. Sie war mindestens halb nass, da sie wohl wie ich durch das Unwetter draußen laufen musste. Die Frage von mir eben war reichlich dämlich, ich wusste schließlich, dass sie so wie ich lieber abends duschte und Regen ihr praktisch nichts ausmachte. Wahrscheinlich weil Regen die Insekten fernhielt, aber wer wusste das schon so genau?
Laeti stellte sich neben mich in die andere Dusche und drehte das Wasser auf. Wie ihr die nassen, dunkelblauen Haare am Körper klebten, sah sehr schön aus. Dann sah sie mich an, ihre tiefblauen Augen blickten so in meine, als sei sie auf der Suche nach etwas. Erst dann fragte sie: „Wie geht es dir?"
Als ob ich da überlegen müsste. „Scheiße." Warum auch lügen? Aber immerhin... „Aber bereits besser als gestern."
„Hm." Ein paar Sekunden wandte sie den Blick ab und dachte wohl nach. Fast schon überraschend blickte sie mich dann wieder an. Ihre Augen glänzten geradezu. „Soll ich dir den Rücken schrubben?"
Ich starrte sie an wie ein Auto, doch sie wartete gar nicht auf eine Antwort. Stattdessen zauberte sie einen Schwamm aus woher auch immer und fing an, mir den Rücken zu schrubben. Es machte mir nichts aus. Im Gegenteil, es beruhigte mich irgendwie. Das heiße Wasser hatte ich heruntergedreht, ich fühlte mich nicht mehr so schmutzig. Mein inneres Karussell beruhigte sich stückweit und ich begann, Laeti alles zu erzählen. Ich erzählte ihr von den Einträgen in meinem Collegeblock, von meinen inneren Kämpfen und selbst von dem Gespräch und dem unerwünschten Eigenleben meiner Gedanken bezüglich meines besten Freundes. Alles, was sie tat, war mir zuzuhören, so unglaublich geduldig und verständnisvoll, wie ich es noch nie bei ihr erlebt hatte. Aber sonst war das, was ich ihr erzählte auch nicht so tiefgründig. Ich hatte in der Regel immer alles mit mir allein ausgetragen. Aber nun wollte ich ja die kämpferische Kyra werden. Und dazu musste ich erst einmal irgendwie meine Last erfassen, damit ich ihr entgegen treten konnte. Dieses Mal fiel es mir nicht schwer, zu reden. Irgendetwas in mir hatte verstanden, dass meine besten Freunde wirklich meine besten Freunde waren. Dass sie mich liebten. Dass sie alles für mich tun würden, so, wie ich alles für sie tun würde. Vielleicht war doch nicht alles so aussichtslos, so unheimlich sinnlos, wie es im ersten Moment erschien. Leonie war tot, ja. Papa war tot, ja. Mama sowieso, ja. Aber John lebte. Lysander lebte. Laeti lebte. Pia, Rosalia, die anderen, sie alle lebten. Ich musste sie beschützen.Nachdem wir fertig geduscht hatten, beeilten wir uns damit, zurück ins Schulgebäude zu kommen. Laeti hatte gemerkt, dass ich meinen Schlafplatz verlegt hatte, wortlos ihre Sachen geschnappt und sich in dem Raum von mir und Spawner einquartiert. Irgendwie war ich ihr sehr dankbar dafür. Aufwachen taten wir am nächsten Tag erst wieder gegen die Mittagszeit. Appetit hatte ich zwar nicht sonderlich, aber nachdem ich Spawner versorgt hatte, machte ich mich wegen meines Hungers auf in Richtung Küche. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gestern nichts außer einer kleinen Kleinigkeit am Morgen gegessen hatte. Das dankte mir mein Magen nun.
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Endless Death
FanfictionZwei Menschen, zwei Orte, ein Schicksal. Verdammt, sowas geschah doch normalerweise nur in Horrorfilmen! Doch für Kyra war es brutale Realität geworden. Als Zeugin von Patient 0 floh sie nun gemeinsam mit ihrem Bruder vor der rasant um sich greifend...