Es war ein nebliger und feuchter Morgen. Der Starkregen hatte zur Überraschung aller bereits wieder aufgehört und es tropfte nur noch von den Häusern, Bäumen und Straßenlaternen. Bis auf die Kinder waren wir bereit zum Aufbruch und ich nutzte die Zeit, um die Hunde zu füttern. Leise pfiff ich nach ihnen und sie hoben ihre Köpfe. Beim Packen der Sachen hatten wir den Hunden Schüsseln eingepackt, die ich nun in der Hand hielt. Die Hunde kamen sofort zu mir, wahrscheinlich rochen sie das Dosenfutter schon. Ich hockte mich hin und deutete mit meinem Zeigefinger vor mich auf den Boden. Flip wusste sofort, was ich wollte und setzte sich. Demon sah mich verwirrt an und drängte sich dann zu mir an die Schüsseln, in der sich die Dosen mit dem Futter befanden. Ich schob ihn von mir.
„Demon, nein!", ich hielt die Blechschüsseln von ihm weg, „Sitz!"
Er versuchte es noch einmal.
„Sitz!", mein Tonfall wurde strenger. Er setzte sich schließlich und ich kraulte ihn hinter seinem Ohr. Er war es nicht gewohnt, auf mich hören zu müssen, er kannte die Rangfolge zwischen ihm und Castiel, aber wir hatten nicht wirklich eine. Ich musste mir den Rang erst verdienen. Langsam nahm ich die Dosen mit dem Hundefutter aus den Schüsseln und stellte sie neben mich, Demon streckte sich in die Richtung.
„Nein!", ich drückte ihn zurück. Als er sitzen blieb, griff ich nach der ersten Dose und öffnete sie. Castiels Rüde blieb dieses Mal wo er war. Ich füllte das Hundefutter in Flips Schüssel.
„Warte", Flip kannte das Prozedere, blieb also wie ich es erwartet hatte still.
Bei Demon war es wieder ganz anders, ich hielt meine Hand vor seine Schnauze, als er sie regelrecht in die Dose stecken wollte.
„Sitz!", ich wiederholte die Anweisung. Er setzte sich und ich kippte den Doseninhalt in die Schüssel. Wieder musste ich ihn zurückhalten.
„OK", ich nickte und die Hunde stürzten sich auf die braune Pampe.
Während die beiden fraßen, wühlte ich in meiner Tasche nach Flips Bürste. Die eignete sich leider nicht für Demons Fell, weshalb ich ihn damit nicht bürsten konnte. Als die beiden ihre Näpfe geleert hatten, füllte ich sie mit Wasser. Während er trank, bürstete ich Flip .Wie zu erwarten war, verlor er gefühlt kiloweise Fell, was bei Huskys ja aber normal war. Demon kämmte ich mit meiner Haarbürste so gut wie es mir möglich war, aber durch sein kurzes Fell fiel sein Haarausfall weniger schlimm aus, als der Flips. Dann leinte ich die beiden an. Flip musste ich vorher sein Geschirr wieder anziehen, das konnte ich ihn ja nicht während des Bürstens tragen lassen. Isabelle band Sarah gerade die Schuhe neu, als ich mit den Hunden fertig war und die Schüsseln wieder ins Auto geräumt hatte. Ich kontrollierte noch einmal, ob meine Tasche richtig verschlossen war.
„Soll ich dir Demon abnehmen?", Lysander kam zu mir, „Zwei Hunde an der Leine ist doch sicher unhandlich."
„Das wäre großartig, danke, Lysander", ich nickte und reichte ihm die Leine.
Zu einem längeren Gespräch kam es nicht, weil John zum Aufbruch mahnte. Wir sicherten zuerst die Umgebung, ehe die Autos losfuhren.Wir hatten uns die letzten Tage überwiegend im Stadtteil Roxbury aufgehalten, nahe der Grenze zu Jamaica Plain, dessen grüner Einschlag sich immer weiter bemerkbar machte. Es war ein sehr grüner Stadtteil, der hauptsächlich von Familien mit Kindern bewohnt wurde. Wir kamen ganz gut voran, bis wir einer Horde Zombies regelrecht in die Arme stolperten, als sie aus einer kaum einsehbaren Straße taumelten. Ich ließ Flips Leine los und wich einem nach mir greifenden Untoten aus. Die Autos waren verriegelt, wie ich mit einem eiligen Blick feststellte, die Insassen sollten also sicher sein. Ich trat meinem Angreifer in den Magen und dann ein zweites Mal ins Gesicht. Es knackte hörbar, was mir eine Gänsehaut bescherte, als der Körper zu Boden sackte. Flip und Demon verbissen ich immer wieder in Zombies ohne wirklich von ihnen wahrgenommen zu werden.
„Viola!", meine Stimme war plötzlich gefühlt drei Oktaven höher, als ich den Zombie bei ihr sah.
Scheiße!
Sie wehrte ihn verzweifelt mit ihrem Baseballschläger ab. Ich rammte einem Zombie meine Fußsohle in den Bauch und überließ ihn dann Rosalia, bevor ich den weiblichen Zombie am Rest des Zopfes packte und von Viola wegzerrte. Wut durchströmte mich, gab mir einen Tunnelblick, als ich ohne zu denken oder zu zögern dem Zombie mein Messer erst in den Hals und dann ins Auge rammte.
„AaAaAaaaAhhHhH!", ein schriller Schrei weckte jede Aufmerksamkeit. Es war Li, die von einem Zombie am Haar gepackt wurde. Leigh zog ihn von ihr weg und tötete ihn endgültig. Sekunden später hatte Armin dem letzten Zombie den Kopf zu Brei geschlagen. Ich schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Das war gerade unglaublich gefährlich, so viel hätte schief gehen können. Flip kam zu mir zurück, seine Leine klimperte vertraut neben mir. Als ich meine Augen wieder öffnete, erstarrte ich.
Nein!
„Carla!", es war Melody, die schrie. Ein ungewöhnlich schneller Zombie rannte regelrecht auf sie zu. Ich setzte an, Carla zur Hilfe zu eilen, aber ich war zu langsam. Blut spritzte, ein schmerzerfüllter Schrei ertönte und mein eigenes Blut gefror mir in den Adern. Aber es war nicht Carla, die vom Zombie gepackt wurde. Es war Peggy. Carla kniete am Boden, Peggy hatte sie weggestoßen und nun hatte sich der Zombie in ihrem Hals verbissen - und nicht Carlas.
Flip und Demon sprangen den Zombie an und ich gedankenlos hinterher. Mit einem Tunnelblick trat ich nach dem Untoten, Demon verbiss sich in der Kehle, Flip im Bein und riss ihn damit zu Boden. Kim zertrümmerte den Kopf. Dann hörte ich das Röcheln. Das gequälte, schmerzverzerrte Röcheln aus Peggys Kehle. Lysander und Leigh stützten sie. Wie eiskalter Regen traf mich die Erkenntnis, dass sie dem Tode geweiht war. Sie würde ersticken oder verbluten und dann... zum Zombie werden. John stieg aus. Er hatte seine Pistole in der Hand. Im Auto verdeckten sie den Kindern die Augen und Ohren.
„Peggy", er sah sie an. Ihr Kopf hob sich minimal. Ihre Augen waren gefüllt mit Tränen und voller Panik. Aus ihrem Gesicht wich die Farbe, ihre Augen wurden rot.
„Ein schnelles Ende? Oder sollen wir dich hierlassen?"
Ihr Kopf fiel nach vorne, Tränen tropften hinunter. Für mich verstummte die Welt, meine Glieder wurden taub. Es wurde kalt. Ihre Antwort war so leise, dass ich es kaum hörte. Aber Leigh und Lysander setzten sie an einer Hauswand ab und traten ein Stück von ihr weg. Mühevoll hob sie ihren Kopf.
„Seid... vorsichtiger"
John zielte und ich ballte meine Hände zu Fäusten.
„Warte!"
Es war Carla, sie heulte Rotz und Wasser. Meine Augen juckten verdächtig.
„Ich werd' das nie vergessen, Peggy, danke, danke, danke! Du hast mein Leben gerettet... du, danke!"
„Bitte, will... ni-cht... ver...ges...sen wer... den", ihre Stimme klang flehend.
„Ich werd' dich niemals vergessen, Peggy, wie könnte ich?!", Carla schluchzte.
Es schlich sich ein schwaches Lächeln auf Peggys Lippen, als sie ihre Augen schloss. Das Blut lief ihren Hals hinab und tränkte ihre Kleidung. Ich senkte den Blick, als John seine Waffe entsicherte.
Dann ertönte der Schuss und mit ihm flossen bei mir die Tränen. Um mich herum hörte ich nur das Weinen anderer. Ich öffnete zögerlich meine Augen und sah, was ich eigentlich nicht sehen wollte. Aber ich hatte meinen Kopf nicht stark genug weggedreht und erblickte nun Peggy - ihre Stirn wies ein einzelnes Loch auf, aus dem es blutete. Abgesehen von diesem, der Wunde an ihrem Hals und der Blässe sah sie regelrecht friedlich aus. So friedlich, wie eine Erschossene eben aussehen konnte. In meinem Magen machte sich das Gefühl der Schuld breit. Ich war zu langsam, ich hätte Carla helfen können und dann wäre Peggys Opfer nicht nötig gewesen. Niemand hätte sterben müssen, wäre ich schneller gewesen. Peggy war nicht perfekt, aber sie hatte ein gutes Herz. Sie hatte es nicht verdient zu sterben. Verdammt! Nach Kentin wollte ich doch nicht mehr zulassen, dass jemand sein Leben verliert! Ich war eine tolle Kampfkünstlerin, wirklich. Nutzte meine Fähigkeiten nicht für das, für das es erfunden wurde. Zum Beschützen.
„Wir müssen hier weg. Der Schuss wird mehr Zombies anlocken, nehmt die Beine in die Hand!", John ließ uns nicht viel Zeit zum Trauern. Weinend nahm Carla Peggys Handy an sich.
„Da ist ihr Leben drauf, ihre Erinnerungen!"
Niemand sagte etwas dagegen. Wie auch? Es stimmte. Meine Finger fühlten sich taub, als ich mich bückte und Flips Leine aufhob. Nicht nur meine Finger fühlten sich leer an. Auch mein Herz. Die Autotür schepperte zu und der Motor ging an. Mit einfachem Gehen war es nun nicht mehr getan, wir joggten neben dem Auto her. Es war noch nicht einmal Mittag und ich wollte mich nur noch irgendwo verkriechen, die Welt ausblenden, einfach vergessen, wo ich war und wie es an diesem Ort war.Als wir uns in Sicherheit wägten, suchten wir in einem der typischen neuenglischen Triple Decker Schutz. Die mittlere Wohnung des dreistöckigen Gebäudes war bis auf einen einzelnen Zombie leer und überraschend sauber. Wir richteten uns für eine Pause ein, recht schnell zog ich mich mit Flip auf die gepolsterte Konsole des Erkerfensters zurück. Er schmiegte sich an mich und ich genoss das Gefühl seiner Wärme und seines Beistands, während ich durch einen Schlitz zwischen den dunklen und schweren Vorhängen auf die verlassene Straße blickte. Der Regen letzte Nacht hatte den Boden gereinigt, Blut war keines zu sehen, aber trotzdem kam es mir so vor, als wäre die Straße darin getränkt. Die Wege waren so unnatürlich leer und still, hier sollten Kinder spielen und tratschende Mütter herumstehen. Schließlich konnte ich die Kraft aufbringen mein „Tagebuch" auf den aktuellen Stand zu bringen. Kurz darauf aßen wir alle etwas, ich wusste nicht einmal, was ich kaute, schmeckte nichts außer Süße. Aber selbst die tröstete mich nicht im Geringsten. Ich war eine jämmerliche Versagerin. Ich konnte nicht mal die Menschen beschützen, die in meiner Nähe waren. Und statt wie Viola jetzt für Carla da zu sein, die sich kaum beruhigen konnte und weinte und weinte, verkroch ich mich in meiner eigenen Gedankenwelt und meinen negativen Gedanken. Wir blieben vielleicht eine Stunde, bevor wir wieder aufbrachen. In unserem Tempo würden wir noch lange bis zu dem Haus der Jacotts brauchen.
Es folgte recht bald Ernüchterung. Eine Massenkarambolage von Autos blockierte unser Weiterkommen, zusammen mit dem Militär, das dort eins seiner Lager aufgeschlagen hatte. So leise wie es uns möglich war, drehten wir wieder um. Sicherheitshalber beschlossen wir, einen komplett anderen Weg einzuschlagen und durch die Südspitze Roxburys nach Mattapan zu gehen. Somit würden wir Nathaniels und Ambers Elternhaus von der anderen Seite als geplant erreichen und es würde sicherlich nicht mehr heute sein. Wenn wir es denn erreichen sollten. Ich war gerade sehr pessimistisch, ich fand keinen Funken Optimismus in mir, nach dem was mit Peggy geschehen war. Es war so unfair und kam so plötzlich und weckte meine Angst um Nath erneut. Er konnte genauso wie Peggy einfach Pech gehabt haben... meine Gedanken kreisten wieder nur um ihn und ob er gesund war. Ob er auch an mich dachte, sollte er dazu noch in der Lage sein? Ich konnte es nicht sagen. Er neigte dazu, sich an Herausforderungen festzubeißen und dann alles um sich herum zu vergessen. Früher waren es Rätsel. Jetzt war es vielleicht die Herausforderung zu überleben. Was mein größter Wunsch wäre, egal, ob er einen Gedanken an mich verschwenden würde oder nicht. Jemand riss mich aus meinen Gedanken.
„Du musst aufmerksamer sein, Svea", Armin sah mich mit ernster Miene an.
„Ich weiß", ich seufzte und klatschte mir selbst auf die Wangen. Tief einatmen, tief ausatmen, ganz langsam und ruhig, ich erinnerte mich an meinen Karateunterricht. Es half. Mein Fokus auf meine Umgebung kehrte zurück und meine düsteren Gedanken wurden fürs Erste ausgesperrt. Wir mieden die Stelle, an der wir Peggy... zurücklassen mussten. Den Anblick konnten wir bestimmt alle nicht noch einmal ertragen, wie sie so zusammengesackt an der Wand lehnte. Zumindest wollte ich das denken. John ließ sich nichts anmerken. Andererseits kannte ich ihn so gut wie gar nicht und was in seinem Innenleben abging wusste nur er. Beziehungsweise wusste ich es nicht. Außerdem kannte er Peggy nicht wirklich, war also nicht verwerflich, wenn es ihm nicht sonderlich nah ging. Umso mehr belastete es Carla. Sie hatte noch immer nasse, gerötete Augen, während Viola fortwährend ihre Hand hielt und ihr gut zuredete. Viola war ein Engel und in diesen wenigen Tagen außerhalb der Schule hatte sie sich unglaublich gewandelt. Sie wirkte so viel weniger zerbrechlich und ängstlich, obwohl sie gerade jetzt allen Grund dazu hatte. Und ich? Ich sah mir selbst dabei zu, wie ich immer zerbrechlicher wurde.Der Tag zog sich zäh dahin. Mir ging der Zombie, der Peggys Ende besiegelt hatte nicht aus dem Kopf. Er war so viel schneller als die anderen, aber irgendwie war er auch in einem besseren Zustand. War er ein „jüngerer" Zombie? Und hatte er nicht Sportkleidung an? Ein ehemaliger Sportler vielleicht? Hieße das, ich würde auch so ein schnelles Vieh werden, sollte ich mich jemals beißen lassen, ohne erschossen werden zu können? Oh, ich hoffte so sehr, dass man mich in diesem Fall erschießen würde. Aber vielleicht irrte ich mich auch und es hing nur mit der Dauer des Zombiedaseins zusammen. So wollte ich niemals enden und wäre lieber tot. Aber im Idealfall blieb ich lebendig.
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Credits to @Nastalia (on FF.de) :'D
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Endless Death
Fiksi PenggemarZwei Menschen, zwei Orte, ein Schicksal. Verdammt, sowas geschah doch normalerweise nur in Horrorfilmen! Doch für Kyra war es brutale Realität geworden. Als Zeugin von Patient 0 floh sie nun gemeinsam mit ihrem Bruder vor der rasant um sich greifend...