Kapitel 3 - Ausbruch - Kyra

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Höhö, um fast eine Woche verpennt xD

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Ich schaute auf die Uhr. Es war halb Fünf am Morgen. Draußen war es noch stockfinster. John schlief noch. Hoffentlich schlief er noch. Ich durfte ihn ja nicht wecken. Das gäbe einen Scheißärger. Oder einen immens vorwurfsvollen Blick. Das würde auch schon reichen.
Unentschlossen wühlte ich in meinen Kleiderschrank. Nur so wenig wie irgendmöglich, wiederholte ich ständig in Gedanken. Man würde sie irgendwie waschen oder irgendwann durch Neue ersetzen können. So jedenfalls die Theorie. Viel wichtiger war es, Medizin, Nahrung, Feuerzeuge, Messer und Futter für Spawner einzupacken. Solange Strom und das World Wide Web funktionierte, war auch Handy und Ladekabel nicht die schlechteste Idee. Obwohl sich Papa nicht mehr gemeldet hatte und ich deshalb davon ausging, dass sein Akku leer war und es nicht dort aufladen konnte, wo er war, so sollte wenigstens ich vorübergehend noch erreichbar sein. Für John, für meine Freunde. Mit meinem besten Freund hatte ich nur ein kurzes, sorgenvolles Telefonat, die Bestätigung, dass wir wohlauf waren. Noch. Er hatte mir später noch geschrieben, aber ich nicht mehr geantwortet. Auch meine anderen Freunde war ich noch mal durchtelefonieren. Manchmal war ich echt froh, nicht viele Freunde zu haben, so hatte ich auch weniger Menschen, um die ich mich sorgen musste. Jedoch ganz beruhigt konnte ich danach nicht sein. Denn während alle anderen dort Zuflucht gefunden hatten, wo auch mein bester Freund feststeckte, so konnte ich meine Freundin Laetitia nicht erreichen. Ich hatte es mehrfach versucht, war im Raum auf und ab getigert, doch sie ging einfach nicht ran. Sie ging immer ran! Sie war mit ihrem Handy praktisch verwachsen! Warum ging sie nicht ran? Hoffentlich ging es ihr gut...
Ich schüttelte den Kopf. Es brachte jetzt nichts, sich wieder den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich hatte ein Ziel vor Augen. Planlos zog ich etwas aus meinem Schrank raus und hatte mein Lieblingshemd in der Hand. Es war ein Geschenk von meinem besten Freund. Und eigentlich viel zu schade, um womöglich komplett versaut zu werden. Doch es tat mir auch im Herzen weh, es einfach wieder rein zu legen und hier eventuell verrotten zu lassen. Falls ich nie wieder hier her zurückkommen sollte. Es könnte mir Kraft geben, wenn ich kaum noch welche hatte.
Ohne weiter darüber nachzudenken warf ich es über meine Schulter und suchte mir noch ein paar weitere Teile raus. Da es langsam kalt wurde eher warme Sachen. Und beweglich. Bei meinem Stil war letzteres eher wenig problematisch.
Als ich der Meinung war, es genüge (nicht gerade das Einfachste, so als Mädchen), legte ich noch einmal alles möglichst platzsparend zusammen und verstaute es in meinem Backpacker-Rucksack. So würde der wenigstens doch noch zu etwas Nutze sein. Erst dann packte ich das restliche Zeug hinein. Am Ende verschloss ich alles noch richtig, stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. Ich hoffte, das war jetzt nicht zu schwer. Aber ich wollte ja sowieso keinen Spaziergang durch die Stadt machen, sondern mit dem Auto fahren. Oder noch besser mit dem Motorrad. Mein Motorrad würde wohl mobiler durch die Straßen kommen. Wer wusste schon, ob das Militär Straßen verbaut hatte. Ich hatte ehrlich gesagt keinen Bock, ewige Umwege mit dem Auto zu machen, wenn ich mit meinem Bike viel schneller voran kam. Sowieso war Autofahren bei mir schon ewig her. Man könnte meinen, den Autoführerschein hätte ich nur pro forma gemacht. Aber was machte ich dann mit Spawner? Apropos.
„Spawner?" Ich drehte mich zu dem Käfig um, der in meinem Zimmer stand. Auf diesen ging ich zu und hockte mich hin, öffnete eine der Klappen. „Spawner, mein Junge, komm. Wir machen ein kleinen Ausflug."
Nur einen Augenblick später hatte ich auf mein deutsches Kommando hin meine schwarze Ratte auf der Hand. Seine unendlich niedlichen Knopfaugen schauten mir entgegen und er wackelte leicht mit der Nase. Automatisch lächelte ich. Sanft strich ich ihm über das weiche Fell, sprach lieb zu ihm. Ich war total vernarrt in meinen fast einjährigen kleinen Kerl. Zwar war ich tottraurig gewesen, als erst vor Kurzem mein ältestes Männchen verstorben war, und eigentlich wollte ich auch schnellmöglichst einen neuen Spielkameraden für Spawner kaufen... doch war ich in diesem Moment nicht ganz so unglücklich darüber, mich nur um eine Ratte kümmern zu müssen. Spawner war immerhin dressiert und hörte sogar auf seinen Namen. Wie ich eine undressierte Ratte hätte beschützen sollen, ich wüsste es nicht.
Ich tippte auf meine Schulter und gab dabei ein schnalzendes Geräusch von mir und sogleich setzte sich die schwarze Ratte brav dort hin. Somit hatte ich freie Hände, um die kleine Transportbox aus der hintersten Ecke hervorzuholen. Ich schüttete etwas Einstreu und Zeitungsschnipsel hinein mitsamt ein paar Leckereien, bevor ich Spawner hineinsetzte.
„Tut mir leid, Kleiner. Ich fürchte, die Box muss erstmal dein Zuhause werden. Ich verspreche, ich lasse dich so oft heraus, wie es geht, ja?" Ich wusste natürlich, dass er mir nicht antworten würde, aber es tröstete mich selbst ein bisschen. Ich konnte nicht darauf vertrauen, dass John sich um ihn kümmern würde. Er war noch nie ein Fan von Ratten und wenn er bemerkte, dass ich weg war, wäre Spawner wohl eher das Letzte, an das er denken würde. Zudem war Spawner schon viel zu lange allein. Diese wahnsinnig intelligenten und sozialen Tiere waren nun mal keine Einzelgänger und konnten in Depression-ähnliche Zustände verfallen, wenn sie allein waren. Wie Papageien. Ich spürte, es würde noch zu einer echten Herausforderung werden, meinen kleinen Kerl zu betreuen. Doch eines nach dem anderen.
Bevor ich den Rucksack schulterte und die Transportbox nahm, legte ich mir meinen Nierengürtel zum Motorradfahren an (ein kleiner Schutz war immerhin besser als gar keiner), und schaute nochmal aus dem Fenster. Durch die Zeitschaltlaternen war die Straße mehr oder wenig stark beleuchtet. Die letzten zwei Tage hatte ich vorwiegend damit zugebracht, das ungefähre Verhalten dieser... Kreaturen zu beobachten, zu studieren, zu registrieren, wann sie wie auf was reagierten. Geräusche beispielsweise, wie ich feststellte, als ich einen Stein aus dem Garten durch das Fenster auf die Straße warf. Was ich aber ebenfalls feststellte: Sie wurden immer mehr. Das Militär war augenscheinlich wirklich unfähig. Oder schlichtweg unterlegen. Vollkommen egal. Hin und wieder erkannte ich bekannte Gesichter von irgendwelchen Nachbarn. Ich wusste, irgendwann würde es mir in die Karten spielen, nicht die Emphatischste zu sein. Ich musste keinen Leuten hinterher trauern, die ich eh kaum kannte. Wär ja auch schwachsinnig, dann hätte ich gar keine einzige ruhige Minute mehr. Nicht, dass es von denen besonders viele gab...
Kurz schlich sich ein Bild von einem kleinen Mädchen mit hellem Haar in meinen Kopf. Doch sogleich schüttelte ich es wieder aggressiv ab. Nein! Kyra, dachte an dein Vorhaben! Dachte an die Lebenden. Die waren jetzt wichtiger. Du konntest eh nichts mehr am bereits Geschehenden ändern. Aber vielleicht ja noch das Zukünftige...
Genug Zeit verschwendet. Erneut sah ich auf die Uhr. Kurz nach Fünf. Ich musste nur noch leise durch die Wohnung schleichen und es in die Garage schaffen. Hoffentlich hatte ich an alles gedacht. Und hoffentlich schaffte ich es zu meinem Motorrad, ohne John zu wecken. Die Garage würde wohl das Schwierigste sein. Dass die auch immer Lärm machen musste.
Vorsichtig ging ich die leicht quietschenden Treppen hinunter. Bei jedem Schritt hatte ich das Gefühl, Krach wie ein Elefant zu machen. Spawner quiekte leise und in meinen Ohren klang es so laut wie Adlerkreischen. Mensch, war es furchtbar, etwas zu machen, was ich eigentlich nicht machen sollte. Und mein schlechtes Gewissen würde mich gewiss noch dafür bestrafen. Aber mir blieb keine andere Wahl. Je mehr Zeit verging, desto geringer war auch die Chance, meinen Vater lebendig wiederzusehen.
Bevor ich ganz ins Erdgeschoss hinunterging, machte ich einen Zwischenstopp im ersten Stock, bei dem ich in das Zimmer meines Vaters huschte. Dort entnahm ich seine Waffe und Patronen aus seinem „Versteck". Den Waffenschein dazu brauchte ich wohl eher weniger. Würde wohl kaum jemanden interessieren. Ich hätte sowieso nie gedacht, jemals eine Waffe in die Hand zu nehmen, im Bewusstsein, diese eventuell sogar zu benutzen, da ich immer gegen den Besitz von Waffen war. Doch besondere Situationen verlangten besondere Maßnahmen.
Ich suchte mir noch das Waffenholster dazu, band es mir um die Hüfte und ging dann ins Erdgeschoss. Durch eine überflüssig wirkende Tür im Flur gelang ich schließlich in die Garage. Leise schloss ich diese wieder, bevor ich auf einen Knopf drückte, der das Garagentor öffnete. Wie erwartet machte sie unnötige Geräusche. Zwar hatte ich von meinem Zimmer aus keine Infizierten gesehen, aber sicher war sicher, weshalb ich mit gezogener Waffe am Rand des Tores lauerte und nach den leisesten Geräuschen horchte. Vorsichtig linste ich um die Ecken. Die Luft war rein. Scheißglück, liebe Kyra. Scheißglück.
Ich verstaute Spawner im Motorradkoffer und hielt diesen mit einem Seil einen Spalt offen für die Luftzufuhr. Hoffentlich wurde es seinen empfindlichen Ohren nicht zu laut. Zur Stabilität - und vielleicht auch etwas zur Lärmdämmung - umwickelte ich die Transportbox noch mit einer kleinen Decke. Er möge mir alle Unannehmlichkeiten vergeben. Dann wollte ich mein Motorrad aus der Garage schieben, als mich wieder etwas innehalten ließ. Hatte mein Vater nicht seinen Golfköcher, oder wie auch immer das Ding hieß, hier verstaut? Mit Verteidigungsmittel konnte man doch nie übertreiben, oder?
Gerade als ich mir einen herausnahm, ging eine Tür auf. Erschrocken quietschte ich auf, presste mir die Hände auf den Mund und haute mir dabei den Stiel vom Golfschläger gegen den Kopf. Doch auf den Schmerz konnte ich nicht achten, mit rasendem Herzen starrte ich meinem Bruder entgegen, der in Joggingsachen in der Tür stand. Verärgert. Und ziemlich enttäuscht zugleich.
Da war mein Scheißglück wohl verpufft.
„J-John? Wie...?" Mehr brachte ich nicht hervor. Mein Gewissen holte mich früher ein, als ich gedacht hatte.
„Ich habe einen sehr leichten Schlaf, seit ich ständig Angst um dich habe", entgegnete er trocken. Viel zu trocken. Wie die Sahara.
"John... bitte. Es ist-" Er unterbrach mich, indem er die Hand hob. Ich wagte nicht mal, zu atmen.
"Du weißt nur zu gut, dass ich vollkommen dagegen bin. Und ich dachte, du verstehst mich. Aber gut. Ich sehe, dass ich dich nicht hier halten kann, ohne Gewalt anzuwenden. Also packst du jetzt deine Sachen ins Auto und wartest dann im Wohnzimmer. Ich werde mich fertig machen."
Glücklich und den Tränen nah konnte nur wiederholt seinen Namen flüstern.
"Ich bin trotzdem enttäuscht von dir, Kätzchen", machte er mir noch mal sehr deutlich, bevor er sich in die Wohnung zurückzog. Ausnahmsweise machte es mir nichts aus.

Endless DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt