Mit meinem leeren Rucksack in der Hand machte ich mich auf den Weg zu Naths Zimmer. Ich würde wohl nie ‚unser Zimmer' sagen können, ohne dass es komisch klang. Auf meinen Lippen war noch immer ein Grinsen und ich dachte an den Moment eben in der Küche zurück. Es fiel mir wirklich leicht Kyra zu mögen. Ihr Humor schien meinem relativ ähnlich zu sein und dennoch trat sie selber in Fettnäpfchen, das machte sie herrlich menschlich. Ich musste da keine Sorge haben, dass sie nur austeilte. Außerdem schien ihr Herz am rechten Fleck zu sein. Ich hatte das Gefühl ihr vertrauen zu können und wenn ich meinem Gefühl nicht traute, dann Lysanders. Er war nicht ohne Grund dafür bekannt, eine gute Menschenkenntnis zu haben. Mein Schmunzeln verschwand, als mir Mr Jacott auf der Treppe entgegen kam. Sein Blick verbarg die Wut darüber, dass ich noch am Leben war nicht und das, obwohl ich auch für ihn neue Lebensmittel beschafft hatte. Diese Undankbarkeit machte mich sauer. So sehr, dass die Wut gegen meine Angst vor ihm gewann. Ich erwiderte seinen Blick bis wir uns auf der Treppe gegenüber standen. Mein Herz raste trotz des Zorns als er seine Arme links und rechts von sich gegen die Wände platzierte und mir so den Durchgang versperrte.
„Ach, du lebst noch."
„Selbstverständlich", mein Puls raste. Ich ließ ihn nicht weitersprechen und nutzte den Raum unter seinem rechten Arm, um unter ihm durch und an ihm vorbei zu schlüpfen.
„Ich leiste meinen Beitrag, Sir."
Ich sah ihn von der höhergelegenen Stufe aus an, nicht lange, aber sicher lange genug, um ihn zu reizen. Mit aufrechter Körperhaltung drehte ich mich auf dem Absatz um und nahm den Rest der Treppe, achtete darauf, ja nicht so zu wirken, als würde ich mich beeilen, sondern als wäre ich gelassen und ruhig. Ich erwartete einen Konter, eine Reaktion von ihm, dass er mich am Kragen die Treppe hinunterzerrte, dass er mir Beleidigungen hinterher schleuderte, irgendwas, aber es kam nichts. Das war sogar noch gruseliger, besonders da ich glaubte, mir seine bitterbösen Blicke auf mir einzubilden. Ich unterdrückte das Bedürfnis mich umzudrehen und nach ihm zu sehen. Mein Puls raste bei jedem Schritt und als ich nach der Treppe um die Ecke bog, lehnte ich mich mit wackeligen Knien an die Wand.
„Scheiße, war das dumm", würde ich nicht so zittern, würde ich mir gegen die Stirn schlagen. Ich atmete stoßweise und angestrengt. Das war aufregend, aber nicht auf eine positive Art und Weise. Mit jedem Zug normalisierte sich meine Atmung weiter. Nach ein paar Sekunden war ich so weit gefasst, dass ich auf wackeligen Beinen weiterging. Vor Naths Zimmertür angekommen, sah ich mich hektisch um, ehe ich hinein huschte. Er war nicht hier, leider, also stellte ich wortlos meinen Rucksack weg und holte meine Wechselkleidung. Umso schneller ich duschen konnte, desto besser. Kaum, dass ich unter dem heißen Wasser stand, realisierte ich final, was ich getan hatte. Ich hatte gegen Jacott rebelliert und dazu noch angedeutet, dass ich hier mehr für uns alle tat als er. Was stimmte, denn er machte nichts. Na ja, außer das Haus zu stellen, aber ehrlich gesagt empfand ich das nicht als Leistung. Im Zweifel interessierte sich hier wahrscheinlich niemand für Besitzurkunden und als dauerhafter Freifahrtschein sollte er es meiner Meinung nach auch nicht zählen können. Nur warum ich es mir nicht einfach verkniffen hatte, konnte ich nicht sagen. Endlich wieder sauber und aufgewärmt, stieg ich aus der Duschwanne. Es klopfte. Ich zuckte kurz zusammen, bevor ich mich erinnerte, zum Glück abgeschlossen zu haben.
„Ja?", ich nahm das Handtuch und wickelte mich ein, steckte es fest.
„Sveezy?", Naths Stimme klang besorgt, zumindest bildete ich mir das ein, „Alles okay?"
Seine Stimme wurde lauter, er schien näher an die Tür gekommen zu sein.
„J-ja, warum sollte es nicht? Ich war gerade duschen." Langsam rubbelte ich mich trocken, während ich ihm zuhörte.
„Mein Vater kam mir vor ein paar Minuten entgegen und sah noch wütender als sonst aus."
Ich war an die Tür getreten und legte meine Hand auf ihr ab, lehnte mich so nah an sie wie möglich.
„Ich hab was Dummes getan, Nath", ich hoffte, dass er mich mit meiner leisen Stimme hören konnte. Das Bedürfnis, die Tür zu öffnen, seine Hand zu nehmen und ihm ins Gesicht zu schauen war groß. Unabhängig davon, dass ich noch immer praktisch nackt war.
„Erzähl es mir gleich, ja? Mach dich erst einmal in Ruhe fertig. Ich bin dann im Wintergarten." Nath antwortete nach einer kurzen Stille.
„Okay", war meine leise Antwort.
Von ihm kam nichts mehr zurück, also nahm ich an, dass er gegangen war. Ich trocknete mich also weiter ab, kämmte mir die Haare und cremte mich sogar ein wenig an den zu Trockenheit tendierenden Stellen ein, bevor ich das Bad verließ. Es waren vielleicht fünfzehn Minuten vergangen, aber ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Doch durch das entspannende warme Wasser war meine Erschöpfung nun viel präsenter. Ich zog mir noch die Strickjacke über, bevor ich meine schmutzigen Klamotten in die Wäsche warf und die Lüftung anschaltete. Träge verließ ich das Badezimmer und schloss die Tür hinter mir. Sofort war mir wieder kalt. Da ich daran aktuell nicht viel ändern konnte, machte ich mich auf dem Weg in den Wintergarten. Meine Arme fühlten sich schwer an, die Beine wie mit Blei gefüllt. Es konnte nicht an der tatsächlichen körperlichen Anstrengung liegen. Mein Körper war deutlich mehr gewohnt, auch wenn ich die letzten Wochen natürlich nicht so regelmäßig und spezifisch trainiert hatte. Damit sollte ich wirklich wieder anfangen, würde mir gut tun.
„Svea, hallo", im Wohnzimmer stand dann plötzlich Iris vor mir, „a-also ich hab Nathaniel in den Wintergarten gehen sehen, falls du ihn suchst..."
„Danke", ich behielt für mich, dass ich das wusste. Half keinem von uns und sie wollte nur nett sein. Ihr Blick lag noch immer so fest auf mir, dass ich den Kopf schief legte.
„Stimmt was nicht?"
„Könnten wir uns mal zu zweit unterhalten? Also nicht jetzt, aber irgendwann? Ich hab da etwas, was ich gerne mit dir besprechen würde."
„Öhhh... ja, sicher, warum nicht?, ich musste sie anstarren wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Sie begann wie eben jene metaphorischen Scheinwerfer zu strahlen.
„Super, danke! Bis dann!"
Sie verschwand aus dem Wohnzimmer und ich ging noch ein wenig verwirrt in den Wintergarten, wo ich von einem aufgedrehten und mit Demon rangelnden Flip Kenntnis nahm. Es ließ mich unweigerlich lächeln, was sich nur noch weiter ausbreitete, als Flip mich bemerkte und sofort von Demon abließ. Er kam schwanzwedelnd auf mich zu und presste sich zwischen meinen Beinen hindurch, lief um mich herum und hüpfte dann an mir hoch, legte seine Vorderpfoten auf meine Schultern und schleckte mir einmal vom Kinn bis zum Ohr.
„Flip, nein! Aus!", ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen, also würde er diese Ermahnung niemals ernst nehmen. Doch er ließ nach einem Moment der Knuddeleinheiten von mir ab, als ich ihn von mir schob um hinüber zu Nath zu gehen, der auf dem Sofa saß und bereits zu mir hinüber grinste. Flip folgte mir auf Schritt und Tritt und als ich mich setzte, legte er seine Schnauze sofort auf meinen Schoß.
„Dir ist doch bestimmt kalt", Nath reichte mir bereits eine der Decken und schmunzelte auf eine Art und Weise, bei der ich nicht wusste, ob ich ihn boxen sollte oder... es lassen.
„Danke", ich nahm die Decke also lieber entgegen und schob Flip kurz von mich, um mich mit ihr einwickeln zu können. Er jaulte als hätte ich ihn abgestochen, aber als ich wieder ruhig saß legte er seine Schnauze einfach wieder ab als wäre nichts gewesen. Huskys – Dramatiker durch und durch. Plötzlich legte sich ein Arm um mich und Nath zog mich für ein paar Sekunden an sich. Er war so warm und roch so gut, dass ich es bedauerte, als er mich los ließ.
„'Tschuldige, konnte nicht anders. War die Sorge noch nicht wirklich los."
Er lief tatsächlich ein wenig rot an. Ich begann, zu grinsen, trotz der Rührung, die dieses Geständnis in mir auslöste.
„Hättest mich gar nicht loslassen müssen", mir wurde gerade warm, wusste aber nicht so recht woher, „Du bist so eine angenehme Heizung."
„Nun...", er setzte an, etwas zu sagen, ehe er mich wieder an sich zog, die Hände auf meinem Rücken. Flip protestierte, aber ich ermahnte ihn. Diese Eifersucht von ihm, die er Nath gegenüber gerne mal zeigte, war nichts, was ich so hinnehmen wollte. Naths angefangener Satz verpuffte für einen Augenblick, aber dann schien er es nicht weiter aufschieben zu wollen.
„Was hast du denn nun Dummes getan?"
Ich seufzte, setzte mich zwischen seinen Beinen wieder gerade hin und musterte dann ganz interessiert meine Fingernägel, bevor ich anfing von meiner Begegnung mit seinem Vater zu erzählen.
„Nun, ich hab kein Recht dich zu tadeln, aber du weißt, wie wenig es mir gefällt das zu hören. Ich weiß wozu dieser Mann fähig ist... bitte pass bei ihm auf, Sveezy. Bitte."
Na toll, nun hatte ich erst recht Bauchschmerzen bei dem Gedanken, was ich getan hatte. Ich wollte niemanden mit noch mehr Sorgen belasten, erst recht Nath nicht.
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Endless Death
FanfictionZwei Menschen, zwei Orte, ein Schicksal. Verdammt, sowas geschah doch normalerweise nur in Horrorfilmen! Doch für Kyra war es brutale Realität geworden. Als Zeugin von Patient 0 floh sie nun gemeinsam mit ihrem Bruder vor der rasant um sich greifend...