Ich schob mit meiner Hüfte die angelehnte Tür auf und trat ein. Der Raum lag im kalten Schummerlicht eines bewölkten Tages, der einem auch am Mittag das Gefühl gab, dass die Sonne jeden Augenblick hinter den Horizont fallen könnte wie ein Flummi in einen Gullischacht. Ein Wäschekorb nahm meine Hände in Anspruch und so drückte ich die Tür mit meinem Hintern zu. Aus meinen Kopfhörern beschallten mich eine japanische Metalband junger Frauen und ein thailändischer Rapper, die etwas über Papayas sangen und der energische Beat verlieh mir Energie. Ich summte im Rhythmus der Musik mit, versuchte gar nicht erst mehr als das PA-PA-YAAA auf die Reihe zu bekommen. Für die aktuellen Verhältnisse war ich zwar entspannt, aber auch nicht so sehr, dass ich vergaß, wo ich war und rappen oder gar singen konnte ich nun wirklich nicht. Gedämpft von der Musik hörte ich das Rumsen des gefüllten Plastikkorbes, als ich ihn abstellte. Ich hatte Wäschedienst und war verdammt froh darum. Staubsaugen und -wischen war in diesem Haus die Hölle, kochen bestand zum größten Teil aus dem Einsatz von Dosenöffnern, den Erzfeinden von – wagte ich zu behaupten – jedem Linkshänder, vor den Hinterlassenschaften von über zwanzig Leuten graute es mir und aufs Feudeln hatte ich auch absolut keine Lust. Beim Wäschewaschen hatte ich meine Ruhe, niemand störte mich, die Kleidung von anderen kümmerte mich nicht und ich hatte die beruhigende Gewissheit, dass ich meine Unterwäsche nur selbst in den Händen hielt. Die Ironie des Ganzen war mir bewusst. Außerdem war es keine allzu nervende Aufgabe, solange wir Strom und vor allem eine Waschmaschine hatten. Aber die Wäsche hielt meine Hände beschäftigt. Etwas zu tun zu haben half mir nicht durchzudrehen. Das war auch der Grund, warum ich Armin so oft das Ausräumen der Geschirrspülmaschine abnahm oder manchmal auch einfach mit der Hand abwusch. Ich wusste nichts mit mir anzufangen und in diesem Haus machte ich mich dann doch lieber nützlich, anstatt durchs... nichts tuende Existieren negativ aufzufallen. Obwohl es wahrscheinlich egal war, was ich machte. Ich zog eine zum Hocker umfunktionierte Holzkiste aus dem Geräteschuppen an die Waschmaschine und klappte den Toplader dann auf, es folgte der Deckel des Trockners. Beim Greifen in die Waschmaschine verschwand mein Arm nach und nach tiefer in der Trommel, während ich summte und die prägnantesten Phrasen vor mich hin flüsterte. Jedes Kleidungsstück wurde auf verbliebene Verfärbungen überprüft, die wie Narben auf alte Flecken hinwiesen. Sie waren immerhin sichtbar, anders als die mentalen Scherbenhaufen, die wahrscheinlich auf die eine oder andere Art in jedem von uns existierten und sich eingeschnitten und ausgebreitet hatten. Die seelischen Narben würden garantiert nie verschwinden, ich konnte mir nicht vorstellen wie. Unsere Seelen nahmen mit jedem Zombie, jeder Leiche, jedem Tod und jedem „Mord" irreparable Schäden. Ich schüttelte kräftig mit dem Kopf. Genau über solche Dinge wollte ich doch nicht nachdenken. Nicht Denken war sowieso der Plan, an dem ich versuchte mich entlang zu hangeln. Ich angelte mit meinem Arm nach der letzten Boxershorts ganz unten in der Wäschetrommel. Mein Körper lag schon auf dem weißen Metall und meine Zehen lösten sich bereits vom Boden der alten Kiste, als ich den Übeltäter mit pendelnden Beinen zu Fassen bekam und die cyan-gelb gestreifte Unterhose zwischen den Fingern hielt. Nach ihrer kurzen Inspektion warf ich sie in den Trockner. Ich machte mir gerade bei der Unterwäsche keine Gedanken darum, wem was gehörte, aber einige Teile waren doch unfreiwillig sehr einfach zuzuordnen. Nur eine Person würde Boxershorts mit Pokébällen tragen. Ich wusste jedenfalls nicht, ob ich bei Männerunterwäsche mit Bällen darauf lachen oder weinen sollte. Die meiste war zum Glück einfarbig oder kariert. Ich imitierte ein in meinen Ohren widerhallendes Schlagzeugsolo mit meinem Fingern, nachdem ich den Deckel des Trockners geschlossen, ihn eingestellt und gestartet hatte. Ein etwas ruhigeres Lied löste das vorangegangene ab und ließ ein Gähnen bei mir zu. Meine noch immer mitgenommene Unterlippe spannte unangenehm; ich versuchte meinen Mund nicht so weit aufzureißen als wäre ich ein Großmaulfrosch. Das war gar nicht so einfach, wenn ich daran dachte, wie mies und wenig ich die letzte Nacht, nein jede Nacht abgesehen von der ersten hier, geschlafen hatte. Trotz der Wärmflasche und Kuschelgelegenheit neben mir, die sich Nathaniel nannte. Aber auch sein beruhigender Herzschlag konnte die Albträume nicht fernhalten. Ich holte mir den Wäschekorb, stellte ihn auf die Ecke der Waschmaschine und warf nach und nach die Kleidungsstücke hinein, ehe ich den Deckel schloss und von der Holzkiste stieg um sie unter das Regal an der Wand zu schieben. Dort stand das Waschmittel und ich nahm mir die entsprechende Menge mit dem Plastikmessbecher, der im Pulver lag. Gähnend ging ich zurück zur Waschmaschine, öffnete das entsprechende Fach, gab das Pulver hinzu und drückte dann ein paar Knöpfe. Schnell schob ich die Holzkiste ganz an die Wand, stellte den Wäschekorb ordentlich auf sie und stellte mir dann einen Timer auf meinem Handy, wann sowohl der Trockner, als auch die Waschmaschine fertig sein würden. Ich streckte mich einmal ausgiebig. Eigentlich war es wirklich Energieverschwendung alle Klamotten in den Trockner zu werfen, auch wenn die Jacotts ein modernes und deshalb ein im Verhältnis wahrscheinlich energiesparendes Modell besaßen. Doch mir war nicht bekannt, ob sie überhaupt eine Wäscheleine oder einen Wäscheständer besaßen. Ich wollte hier aber auf keinen Fall herumwühlen. Hier im Waschraum gab es nicht viel. Die Waschmaschine, der Trockner, das Regal an der selben Wand und gegenüber unter einem kleinen Kellerfenster stand ein ausgeklapptes Bügelbrett. Genug Platz für einen Wäscheständer gab es hier aber auf jeden Fall, wahrscheinlich auch für zwei. Ich streckte mich, gähnte ein weiteres Mal. Mit einem kurzen Handgriff an die Kopfhörer stoppte ich die Musik. Stille brach auf mich ein und ich nahm sie mir aus den Ohren, steckte sie in das kleine Fach meiner Leggings, in dem sich auch mein Smartphone befand. Dann ließ ich den Keller hinter mir und stieg ich die Treppe ins Erdgeschoss hinauf. Oben im Flur war niemand zu sehen, aber das wunderte mich wenig. Wenn man kein Ziel vor Augen hatte war es von den Jacotts nicht gerne gesehen im Flur herumzulungern. Das war auch der Grund dafür, dass ich ins Wohnzimmer ging. Lysander, Castiel, Kyra, Laeti, Pia und Thomas saßen am Esstisch und waren in eine Runde Dog vertieft. Ich erwischte mich dabei, das Gesicht zu verziehen. Das Spiel war nicht unbedingt mein Fall und Castiel gefiel es offensichtlich auch nicht. Ich sah Sarah an, die auf der Couch saß und in einem Bilderbuch blätterte. Sie sah auf, bemerkte mich und winkte mit einem kleinen Lächeln. Ich winkte zurück, betrat dann aber den Wintergarten um nach Flip zu schauen. Er stand gerade über seiner Wasserschüssel und hob sofort seinen Kopf als er mich bemerkte. Mit dem Schwanz wedelnd tapste er auf mich zu und ich ging in die Hocke um ihn zu streicheln. Seine Zunge hing ihm tropfend aus dem Mundwinkel, was mich zum Schmunzeln brachte. Ich war froh, dass er mit diesen ganzen Umstellungen so gut zurecht kam. Den ganzen Menschen, das neue Zuhause in dem Wintergarten, die Kinder, Moon... er akzeptierte das alles scheinbar ohne große Mühe. Ich drückte mein Gesicht in sein Fell, als ich mich an ihn schmiegte. Wie sehr ich ihn nur darum beneidete. Meine heutige Laune war seit unserer Ankunft eigentlich das Highlight. Seit einer Woche lief ich mit der ständigen Angst herum Mr Jacott noch einmal alleine zu begegnen. Ich versuchte so gut wie möglich nie alleine zu sein, nicht aufzufallen und... nicht paranoid zu werden. Die meiste Zeit verbrachte ich hier im Wintergarten, wo er nie war oder in Naths Zimmer. Er schien allerdings zum Glück auch nur überwiegend zwischen seinem Schlafzimmer, dem Wohnzimmer und der Küche zu pendeln. Er schien das WC zu nutzen, dass laut Nath an das Elternschlafzimmer angrenzte und nur von dort betreten werden konnte. Das war mir nur recht. Ich nahm mein Gesicht aus Flips Fell und pustete mir einige Haare von den Lippen, bevor ich mich daran machte, den Rest aus meinem Gesicht zu wischen. Genau deswegen war ich ja hier. Ich stand auf um seine Bürste zu holen. Zu meinem großen Glück hatte sie an ihren Enden zwei verschiedene Bürstenköpfe, von denen je einer die Unterwolle und der andere das Deckhaar entfernten. Das Bürsten nahm einiges an Zeit in Anspruch, auf eine halbe Stunde am Tag kam ich ohne Probleme. Eigentlich war es deutlich mehr. Es würde schneller gehen, wenn ich nicht das Problem hätte, dass Flip es absolut nicht leiden konnte gebürstet zu werden. Nachdem ich ihn aus unserer Wohnung geholt hatte und auf unserer Reise hierher musste er die Ausnahmesituation gespürt haben, warum sonst war er so ruhig dabei gewesen? Ich hätte mich früher wundern sollen, aber es gab, gibt immer noch, ganz andere Sorgen. Er sah mich gerade ganz entsetzt und enttäuscht an, als ich das Fell um seinen Hintern herum bürstete und ich stupste ihm an die Nase.
„Du bekommst schon keinen kalten Hintern, du Dramatiker!", ich gluckste, wurde allerdings von einem in den Wintergarten stürmenden Mann unterbrochen. Ein Ruck war durch mich gefahren, mein Puls war in die Höhe gejagt, doch beim Anblick Castiels atmete ich einmal erleichtert durch. Er musterte mich einmal, dann verschwand er in den Garten, zog ein Schächtelchen aus seiner Hosentasche und zündete sich dann eine Zigarette an. Ich verzog das Gesicht und mein Blick wanderte weiter. Zu Devi und Josh, die mit Isabelle ein wenig einen Ball hin und her kickten. Suchend sah ich mich nach Moon und Demon um. Demon lag schlafend auf seiner Decke, Moon gut versteckt auf einem der Stühle am Glastisch. Ich widmete mich wieder Flip und kämpfte mich von seinem Gezappel begleitet durch sein Fell. Castiel war mit Demon in einem Bruchteil der Zeit mit dem Bürsten fertig und verzog sich dann. Er kam mit seinen Schuhen wieder und ging mit Demon in den Garten. Ich musterte Flip, der es sich auf dem Fußboden gemütlich gemacht und die tägliche Bürsteinheit für beendet erklärt hatte. Ich ließ ihm seinen Willen und legte die Bürste neben mich. Meine Hände wanderten durch sein warmes Fell, ich verlor mich in ihm und ließ mich gehen. Ich legte meinen Kopf auf seinem Rücken ab und spürte wie er sich eindrehte um mehr Kontakt zu mir zu haben. Er war so warm, so vertraut, so... zuhause. Seine warme Schnauze auf meiner Schulter war sehr willkommen und ich konnte für einen Augenblick vergessen wo ich war. Doch mein Sinn für die Realität kam schneller zurück als mir lieb war. Ich richtete mich auf und seufzte, begann, Flips verlorenes Fell einzusammeln. Es landete in der Mülltüte, die wir hinter dem Sofa lagerten. Als ich mich wieder aufrichtete, standen Viola und Armin hinter mir. Ich verjagte mich fürchterlich.
„Sorry, wollten dich nicht erschrecken!", Armin lachte. Viola lächelte schief. Ich nahm meine Hand von meiner Brust und atmete einmal tief aus.
„Arsch", mein Blick war wohl nicht so bissig wie ich erhofft hatte, denn er gluckste nur.
„Wir haben uns gefragt, ob du vielleicht mit uns Karten spielen möchtest", Viola sah mich aus ihren großen, sanften Augen genau an. Ich begann, meine Finger ineinander zu verknoten. Die letzte Woche war einfach so... vorbeigezogen. Mit der Hausarbeit, Büchern und Flip hatte ich mich beschäftigt gehalten und hatte so gut es mir möglich war versucht irgendwie weiterzumachen. Der Abstecher in ein Nachbarhaus war unspektakulär gewesen, hatte uns neues Essen, ein paar Spiele und Kleidung gebracht. Auch zwei Matratzen hatten wir kurzerhand in eines der Autos laden können, damit John und Isabelle nicht weiterhin in den unbequemen Schlafsäcken schlafen mussten. Plötzlich wieder so bewusst in etwas integriert zu werden, fühlte sich komisch an. Selbst Nath hatte sich zurückgezogen, verbrachte viel Zeit im Abstellraum im Keller oder auf dem Dachboden. Wann immer er mich anlächelte, fühlte es sich wieder so an wie damals, als ich noch nicht wusste, wie schlecht es ihm zuhause ging. Es war irgendwie ehrlich, aber trotzdem leuchteten seine Augen nicht. Er kehrte nach und nach zu diesem Nathaniel zurück, der er früher gewesen war und das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich wollte den mit Makeln, Macken und seinem verkorksten Humor wiederhaben. Der, der auch mal trotzig wurde oder einen anmaulte, wenn man ihn kurz nach dem Aufwachen ansprach. Ich wollte eben den authentischen Nath wiederhaben – nein, behalten.
„Spielst du jetzt etwas mit uns oder nicht?", Armin musterte mich. Ich seufzte.
„Okay."
Wir setzten uns an den Glastisch, ich mich neben den Stuhl auf dem Moon lag. Eine Weile lang spielten wie Mau Mau. Irgendwann hatte sich Moon auf meinen Schoß gelegt und schnurrte, ich streichelte wie hypnotisiert durch ihr langes Fell. Ich war nicht sehr konzentriert dabei, also verlor ich sehr häufig und wartete darauf, dass Viola und Armin ihr Spiel beendeten. Moons Schnurren ließ mich an Snowy denken. Auch mir fehlte Naths Katze sehr. Ich hatte sie wachsen und gedeihen sehen, sie war mir sehr ans Herz gewachsen mit ihrer lieben, zutraulichen Art. Wie schrecklich musste der Verlust für Nath sein? Er hatte sich nie erlaubt viel darüber zu sprechen, hatte einmal geweint, als wir damals in der Schule auf dem Sofa im Pausenraum saßen. Er litt wahrscheinlich wahnsinnig. Tendenziell sprach er umso weniger über etwas, je mehr es ihn schmerzte. Wenn ich auch nur versuchte mir vorzustellen wie es wäre, wenn ich Flip verlieren würde, blockierte sich alles in mir. Ich musste mehr für Nath da sein, durfte mich nicht so sehr auf mich selbst fokussieren und musste an ihn denken. Er saß hier in seinem wahr gewordenen Albtraum. Nicht die Apokalypse war seine größte Angst, nicht die Zombies. Dieses Haus und wieder hier leben zu müssen; das war sein aktuell größtes Problem. Und ich konnte es nicht einmal für ihn lösen.
„Erde an Svea!", Armin riss mich erneut aus meinen Gedanken. Ich zuckte zusammen.
„Bist du da?"
„Hm, ja. Natürlich."
Ich gähnte. Armin hob eine Augenbraue und seufzte.
„Du siehst müde aus", Viola griff sanft nach meiner Hand. Sie trug das T-Shirt, das ich noch in meiner Tasche gehabt hatte und eine alte Jogginghose von Nath, die er zum Sport getragen hatte, als wir 12 oder 13 waren.
„Bin ich auch", ich seufzte schwer.
„Schläfst du schlecht?", ihre sanfte Stimme sorgte dafür, dass ich nicht einmal ein Problem damit hatte ausgefragt zu werden.
„Hab Probleme einzuschlafen, ja. Und Albträume."
Sie strich mir über die Fingerknöchel und lächelte so warm, dass man sie für einen Engel halten könnte.
„Warum sieht man Nath und dich aktuell eigentlich so wenig zusammen? Ich dachte nach eurer Trennung wegen der Flucht würde man euch nicht mehr trennen können."
Armin war längst nicht so feinfühlig beim Ausfragen wie seine Freundin. Sie bedachte ihn mit einem kurzen kühlen Blick und tätschelte dann weiter meine Hand. Flip lag warm auf meinen Füßen, Moon auf meinem Schoß.
„Ich denke... wir beide brauchen aktuell all unsere Energie um mit allem irgendwie zurecht zu kommen. Und wir beide sind da so Typen, die dafür Ruhe brauchen."
„Ich kenne keine wirklichen Details, aber Nath ist ja sicher aus guten Grund so früh ausgezogen... Svea", Viola musterte mich mit großen Augen, „du hast John in diesem Haus auf dem Weg hierher nie verbal geantwortet. Ist Mr Jacott-"
Sie unterbrach sich selbst, setzte von Neuem an.
„War Johns Vermutung damals-"
Eine bissige Stimme aus dem Wohnzimmer unterbrach sie. In mir ging sofort alles in Alarmbereitschaft. Moon sprang entsetzt von meinem Schoß und auch Flip schreckte von meinen Füßen, als ich aufsprang und zum Eingang des Wintergartens hechtete. Im Rahmen der Glastür blieb ich abrupt stehen. Auf dem Sofa saßen einige angespannt wirkende Leute. Unter anderem Carla, Kim und Iris. John und Viktor waren auf ihrem Weg zum Sofa zum Stehen gekommen. Und mitten im Raum, alle Augen auf sie gerichtet, standen Nath und sein Vater. Ich spürte Viola und Armin in meinem Rücken, Flip kam zum Glück nicht an uns vorbei.
„Sag das nochmal", Mr Jacotts kalte Stimme war nicht einmal laut. Dafür aber eiskalt und schneidend scharf. Er starrte Nath mit einem eisernen Blick an. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen aber Naths „Ich sagte, du machst mir keine Angst mehr", klang fest und sicher, seine Körperhaltung war aufrecht und er sah seinem Vater ins Gesicht.
Keiner machte einen Mucks. Mein Herz hämmerte, das Blut rauschte in meinen Ohren.
„Ach, ist das so, Nathaniel?", Mr Jacotts Stimme jagte mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter, schnürte mir die Kehle zu. Ich fühlte mich bedroht, ohne gemeint zu sein. Er sprach den Namen seines Sohnes mit so viel Abscheu aus, dass man erwarten würde es handele sich um den Namen seines größten Feindes, dem Mörder seiner Mutter, oder sonst wen, aber nicht um das eigene Kind. Aber vielleicht war Nath tatsächlich sein größtes Feindbild.
„Ja."
Ich konnte förmlich sehen, wie Naths Augen sich verengten.
„Unterschätz mich nicht."
Die beiden Männer rührten sich nicht, starrten sich nur an.
„Tue ich nicht. Aber ich kenne dich besser als du mich kennst."
„Bilde dir nichts ein."
„Du fühlst dich in die Ecke gedrängt. Deiner Macht beraubt. In einer Apokalypse beeindruckst du niemanden mit Geld. Du bist genauso angreifbar wie alle anderen hier."
„Und du bist in einer besseren Position?", Mr Jacott trat näher an Nath heran. Er war nicht viel größer als Nath, aber es reichte, um bedrohlich zu wirken.
„Vor den Untoten oder dem Militär nicht. Hier im Haus – ich denke, ja."
Ich konnte Naths hämisches Grinsen deutlich hören.
„Du wagst es-", sein Vater griff nach seinem Kragen. Ich setzte an dazwischen zu gehen, sah aus dem Augenwinkel, das noch andere aufgestanden waren, aber Naths Ruhe stoppte uns alle. Er befreite sich aus dem Griff des Mannes ihm gegenüber. Ich bemerkte, dass seine freie Hand zu einer Faust geballt war. Vor Wut oder Frust konnte ich nicht sagen. Mr Jacott hielt sich das Handgelenk, während seine Augen voller Verachtung zu sein schienen. Nath nahm wieder Abstand zu ihm ein.
„Sieh dich um, Vater", die Schadenfreude in seiner Stimme war deutlich, „In diesem Haus leben jetzt Leute, die mich zumindest nicht hassen. Dich schätzt hier niemand außer Mutter und Amber. Du bist in der Unterzahl."
„Bedrohst du mich? Du Weichling?"
Nath lachte trocken, aber ich sah seine zitternden Hände.
„Nein. Ich zeige dir nur die Fakten auf. Ich bin nicht mehr der unsichere, schmächtige 16-jährige und habe in diesem Haus mehr Sympathisanten als du."
„Das bereust du...", Mr Jacott knurrte regelrecht.
„Was willst du machen? Mich wieder die Treppe hinunterstoßen? Mir wieder in den Magen boxen, bis mir mein Essen hochkommt? Glaub ja nicht, dass ich mich inzwischen nicht wehren könnte und würde."
Die Kälte in Naths Stimme kam das erste Mal an die seines Vaters heran. Auch sie jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Aber sie war anders. Sie kam nicht von Angst, sondern von... ich konnte es nicht definieren. Mr Jacott knurrte noch etwas, dann verschwand er aus dem Wohnzimmer, schubste Viktor noch beiseite. Erst als er völlig außer Sicht- und Hörweite war, ging ein Durchatmen durch den Raum. Schultern sanken hinab, angespannte Körperhaltungen lösten sich. Auch bei Nath tat sich etwas. Das Zittern seiner Hände war stärker geworden, war auf seinen ganzen Körper übergegangen. Er verschränkte seine Arme, schien sich fast selbst zu umarmen.
„Sorry, Leute. Eigentlich wollte ich euch nicht in diesen Familienclinch mit hineinzie-", das subtile Zittern in seiner Stimme hatte gereicht um meine Starre zu lösen. Ehe ich mich versah, lag mein Gesicht an seinem Rücken und meine Arme hatten sich um seinen Bauch geschlungen. Sein Körper schien sich nach der ersten Schrecksekunde zu entspannen. Mein deutsches „Du verdammter Vollidiot!" war wahrscheinlich deutlich zu hören. Meine Augen waren feuchter als sie sein sollten und mein Herz raste. Ich hatte wahrscheinlich noch nie solche Angst um ihn, ohne dass Zombies oder das Militär irgendwie daran beteiligt waren.
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Endless Death
FanficZwei Menschen, zwei Orte, ein Schicksal. Verdammt, sowas geschah doch normalerweise nur in Horrorfilmen! Doch für Kyra war es brutale Realität geworden. Als Zeugin von Patient 0 floh sie nun gemeinsam mit ihrem Bruder vor der rasant um sich greifend...