Kapitel 55 - Zickereien - Kyra

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Ein Eichhörnchen, das von einer Seite des Gartens zur anderen huschte, schreckte mich auf, während ich tagträumend aus dem Wohnzimmerfenster schaute. Wie süß! Ich versuchte so lange es ging, das kleine rote Fellbüschel mit den Augen zu verfolgen, bis es schließlich auf einer Seite in der Hecke verschwand. Eichhörnchen gehörten so ziemlich zu den niedlichsten Tieren auf diesem Planeten und deswegen auch zu meinen Lieblingstieren. Wobei, vielleicht hatte auch der Fakt, dass sie trotz ihres superniedlichen Aussehens und der Tatsache, dass es Nagetiere waren, sehr wohl auch Raubtiere sein konnten, die gelegentlich mal Eier und Jungvögel aus den Nestern holten, nicht ganz unwesentlich sein Zutun daran. Ich erinnerte mich daran, wie geschockt ich war, als mir das zum ersten Mal erzählt wurde und ich es partout nicht glauben wollte, ehe ich es selbst recherchiert hatte. Und auch dann war ich noch eine Weile geschockt. Genau genommen schockierte es mich immer noch irgendwie. Es gab wohl immer diese bestimmten Dinge, die einem wahrscheinlich nie so ganz in den Kopf gehen werden.
   "Was glotzt du so dumm an?", jagte mich eine bekannte Stimme aus meinen Träumereien. Ich riss den Kopf herum und entdeckte Castiel sinnlos in der Gegend herumstehen.
    "Auch mal wach?", neckte ich nur, um die Uhrzeit wissend.
   "Schon lange. Wollte es nur vermeiden, so früh schon deine Visage sehen zu müssen."
Ein empört-belustigter Laut rutschte mir über die Lippen. "Aua?!"
   Der Rotkopf wuschelte mir grob über den Kopf, hielt dann inne und ließ die Finger durch mein Haar geiten, nur um am Ende eine meiner nun kurzen Strähnen festzuhalten. Kritisch begutachtete er sie. Nach einer Weile fragte er: "Was für einen Unfall hattest du denn hier?"
   War das sein Ernst? "Hatte eine schmutzige Begegnung mit Edward mit den Scherenhänden. Aber keine Sorge, er ist noch übler zugerichtet als ich."
   "Und ich sollte mir Sorgen machen, weil...? Denke ja eher, dass du wie die Furie, die du bist, einfach auf ihn losgegangen bist. Der Typ ist schließlich harmlos."
   "Achso", meinte ich spielerisch. "Du meinst also, es wäre nur Selbstverteidigung von ihm gewesen?"
   Er zog die Augenbrauen in die Höhe. "Sogar ohne Beweise oder dabei gewesen zu sein."
   Der Schwachkopf ließ meine Strähne fallen, nur um mich dann mit der gesamten Hand kräftig am Hinterkopf zu packen. Erschrocken quiekte ich auf und schlug sie energisch weg. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an, mein Herz hatte sich überschlagen und schlug nun doppelt so schnell. Noch schlimmer war die Tatsache, dass mein Gesicht ganz heiß wurde und auch der Rest meines Körpers gewann allmählich an Temperatur. Das lag sicherlich nicht an ihm!
   "Was soll das?!", keifte ich laut, doch bemüht nicht hysterisch. Mich so anzupacken war nur einer Sorte Mensch vorbehalten und da gehörte er meines Erachtens nach gewiss nicht dazu!
   Unbeeindruckt sah er mich an, zog eine Braue in die Höhe. "Frauen sind mit langen Haaren wesentlich attraktiver."
   "Hä? Was hat's damit zu tun?!"
   "Wollte nur wissen, ob es trotzdem noch möglich ist, sie beim Schopf zu packen, wenn's heiß hergeht."
   Von irgendwoher hörte ich wohl mein Schwein pfeifen. Langsam, fast schon in der Geschwindigkeit für Dumme fragte ich: "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es mich in irgendeiner Weise auch nur ansatzweise juckt, ob DU mich sexuell attraktiv findest oder nicht, oder?"
   Hämisch grinste er mich an. "Ach nein? Hast du mir nicht neulich erst gestanden, dass du auf mich stehen würdest?"
   "Standest", korrigierte ich ihn und grinste ihn dann ebenso höhnisch an. "Und hast du mir nicht neulich erst gestanden, dass du auf mich gestanden hättest?"
   "Tja, allerspätestens jetzt eh nicht mehr", meinte er und machte eine merkwürdige Handbewegung Richtung meiner neuen Frisur. Desinteressiert hob ich die Brauen. "Na, was für ein glücklicher Zufall für mich, dass ich, wie gesagt, nicht die geringste Absicht besitze, dir zu gefallen. Dir, dem schon deutlich der schwarze Ansatz aus der Färbung herausgewachsen ist und damit anderer Leute Augen belästigt."
   Abrupt schob er sein blöd grinsendes Gesicht vor meines, so abrupt und dicht, dass ich vor Schreck zurückwich.
   "Ach ja? Also gibt es jemanden, dem du gefallen willst?"
   Genervt verdrehte ich die Augen, verärgert darüber, dass er auf meine Stichelei nicht angesprungen war, doch kam ich auch nicht umhin, mich zu fragen, ob er vielleicht recht hatte. Gab es jemanden? Gab es neben dem praktischen Grund von kurzen Haaren tatsächlich noch einen anderen? Doch ehe ich überhaupt in die Verlegenheit kam, mir eventuell etwas Unangenehmes eingestehen zu können, zog jemand anderes meine Aufmerksamkeit auf sich. Mit riesigen Augen starrte ich an Castiel vorbei, der sich irritiert von meiner Reaktion ebenfalls umdrehte. Ein gemurmeltes "Zum Teufel...?" folgte.
   Trotz der silbrigen Haare und der verschiedenfarbigen Augen hatte ich einen kurzen Moment enorme Schwierigkeiten, den jungen Mann zu erkennen, der sich gerade zu uns gesellen wollte.
   "Ly-... Lysander? Was...?" Was hatte Patricia nur mit ihm gemacht? Ich meinte... Es sah super aus, aber... Es war halt etwas ganz anderes, als ich die ganzen Jahre bisher gewohnt war.
   "Meine Fresse, Lys", lachte der Rotschopf neben mir. "Wann bist du denn so alt geworden?"
   Mit dem Ellenbogen stieß ich ihm in die Rippen, kam aber nicht umhin, durch den Kommentar zu grinsen. "Lass ihn doch, wenn er gern moderner aussehen möchte!"
   Erwähnter gealteter Mann hob eine Braue, ein kleines, kaum merkliches Schmunzeln ziert seine Lippen, während er "Leute..." seufzte. Meine Augen konnten unterdessen nicht von seinem Gesicht ablassen. Er war schon immer sehr reif für sein Alter und sah in der Regel auch so aus. Meist seinem altertümlichen Kleidungsstil zu verdanken. Doch nun... sah er trotz Normaloklamotten richtig erwachsen aus. Locker wie bis Mitte 20. Dieser moderne, leicht wilde Kurzhaarschnitt machte schon einiges her und ein Bart ließ einen Mann ohnehin immer älter aussehen, als ohne. Nur eine Sache störte mich etwas.
   Ich trat auf den Sänger zu, hob meine Hand an seinen Kopf und fragte: "Darf ich?" Als er nickte plüschte ich leicht das Haar an seinem Scheitel auf, das mir für meinen Geschmack zu platt lag. Und da ich eh schon dabei war und es anders wohl auch komisch aussehen wurde, tat ich es gleich überall. Keine Ahnung, was sich Patricia dabei gedacht hatte, doch nachdem ich lange genug mit seinem flauschigen Haar gespielt hatte, blickte ich zufrieden mein Werk an. Dadurch, dass seine Strähnen nun ein gutes Stück kürzer waren, wellten sie sich leicht und förderten zusätzlich den voluminösen Look. Wirklich beneidenswertes Haar. Dann, wie von allein, wanderten meine Augen ein Stück nach unten in sein Gesicht, nur um dort von einen Blick empfangen zu werden, der so intensiv war, dass sich mein Körper augenblicklich anfühlte, als würde er in Flammen aufgehen. Fluchtartig stolperte ich unelegant rückwärts. The fuck??
   "Na sieh' sich das mal einer an, Frage beantwortet~", raunte jemand voller Hohn neben mir. Angepisst sah ich ihn an. Nein. Falsch. Aus. Genau das sagte mein Blick. Nicht mehr, nicht weniger. Er hatte unrecht. Und selbst wenn er nicht unrecht hätte, ich würde mich hüten, weiter darüber nachzudenken, um das gegebenenfalls herauszufinden und insbesondere davor, ihm dann diese theoretische Genugtuung zu geben. So ein selbstgefälliges Arschloch wie er verdient es nicht, zu erfahren, wann er recht hatte, wenn es vermeidbar war!
   "Ich werde ein bisschen spazieren gehen", meinte ich irgendwann, als ich fertig war, mich mit Castiel per Augenkontakt zu duellieren. "Bis später, Gentlemen. Und Castiel~"
   Ich konnte praktisch hören, wie der Rotschopf die Augen rollte, was mich nur grinsend das Wohnzimmer verlassen ließ.

Endless DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt