Kapitel 1 - Hausarrest - Kyra

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Uups. Vergessen, es hochzuladen. Und die unzuverlässige Nasta erinnert mich natürlich auch nicht! Naja, vergebt mir und genießt! :3
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Name: Kyra McConnor
Alter: 18
Seit wann?: Seit dem 21.07.; stolzer Krebs
Familienstand: ledig
Ort: Somerville bei Boston, Massachusetts
Datum: Meine Uhr sagt, wir hätten den 28ten. Und ich weiß, wir haben August. Aber ehrlich gesagt... juckt es mich einen Scheißdreck, welcher Tag ist. Das juckt garantiert niemanden mehr hier. Warum schreib ich das hier, fragst du? Keine Ahnung, mir kommen diese scheiß verdammten sieben Tage - seit DEM Ereignis - bereits wie eine verdammte Ewigkeit vor und ich habe das Gefühl, das ist gerade eine der wenigen Möglichkeiten, nicht komplett durchzudrehen und vor das Maul eines dieser abartigen Freaks zu laufen, die wie Besoffskis durch die Straßen torkeln. Zudem hat der Nachrichtenmensch gemeint, wir sollen in unseren Häusern bleiben. Das Militär kümmere sich schon darum. Sicher. Die sind doch genauso un-
   "Kyra?"
   Vor Schreck rutschte ich mit dem Stift ab und zog eine unschöne Linie. Es war mir egal.
   Ich schaute auf, direkt in das Gesicht meines Bruders. Seine grün-braunen Augen blickten sorgenvoll auf mich herab. Ich wollte diesen Blick nicht sehen. Ich wollte gar nicht sehen. Nichts, bis auf eine Sache. Leonie. Am Leben. Wirklich am Leben. Mit glanzvollem rot-blonden Haar, strahlend grün-grauen Augen, blasser Haut mit vereinzelten Sommersprossen... Dann tauchte das letzte Bild von ihr vor meinem geistigen Auge auf und ich spürte augenblicklich, wie sich mein Magen schön langsam und schmerzhaft umdrehte. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. Weg damit. Alles... Nur das nicht. Bitte.
   John setzte sich zu mir und legte mir einen Arm um die Schulter. Sofort drückte ich mich an ihn, schlang meine Arme um ihn, suchte seine Wärme. Ich versuchte mich ganz auf die Wärme und ihn zu konzentrieren und tatsächlich kam in mir kurz das Gefühl von Geborgenheit. Sicherheit. Das Gefühl, alles könnte wieder gut werden.
   Schon einen Augenblick später war es vorbei. Schmerz kroch aus den dunklen Ecken hervor und ich spürte wieder die aufkommenden Tränen in meinen Augen brennen. Reflexartig wollte ich mich fester an John krallen. Doch ich widerstand dem Drang. Langsam und schwerfällig löste ich mich von ihm, die Tränen unterdrückend. Es wurde endlich Zeit, stark zu sein.
   Aufgewühlt fuhr ich mir durch die Haare, blickte mich um. Der Verletzungsgefahr wegen wurden die Scherben und der kaputte Rest, für den ich verantwortlich war, bereits vor einer Woche weggeräumt. Beziehungsweise John hatte es weggeräumt. Ich war viel zu aufgelöst gewesen, um überhaupt ansatzweise einen klaren Gedanken fassen zu können. Ich saß nur da, die Hände zitternd wie Espenlaub. John hatte mir angeboten, mir etwas Warmes zu trinken zu machen, aber zum einen hätte ich so oder so mit Gewissheit nichts herunter bekommen, auch keine Flüssigkeiten, und zum anderen hätte ich es auch sicher unmöglich festhalten können. Zudem sah man meinem Bruder an, dass er endlich wissen wollte, was passiert war. Obwohl ich mir sicher war, dass er es zumindest schon ansatzweise erahnen konnte. Ich meine, mal ehrlich, aus wie vielen Gründen konnte man schon vollkommen überstürzt und panisch das Krankenhaus verlassen, wenn bekannt war, dass sich in eben jenem ein Familienmitglied befand? Ich war mir sehr sicher, er wusste, dass etwas Furchtbares passiert war.
   Und dennoch schien er die Ruhe zu bewahren. Bevor ich es ihm erzählte, während ich es ihm erzählte - und er dabei mein Chaos beseitigte, wobei ich nicht wusste, ob er's tat, um sich selbst ruhig zu halten oder einfach, weil er keine Unordnung mochte - und auch, nachdem ich es ihm erzählte. Ich erkannte, dass seine Augen verräterisch glänzten, seine Bewegungen waren nicht so selbstbewusst, wie gewohnt, er wirkte... irgendwie gebrochen. Doch als er sich zu mir setzte, mich fest in den Arm nahm, mir beruhigend über das Haar strich - seine Stimme war fest und doch sanft zugleich, nicht von dem Schmerz berührt. Ich wusste nicht, wie er das anstellte. Ich war mir lediglich sicher, dass er stark sein wollte. Und in diesem Moment sogar für zwei...
   Mit einem letzten Blick auf meine niedergeschriebenen Kritzeleien, bei dem mich das groß- und fettgeschriebene 'dem' direkt ansprang, schloss ich das A5-Büchlein und legte es mitsamt Stift beiseite. Ich stand auf und ging zur Kommode. Ein Bild im dekorierten Rahmen erweckte sehr leicht meine Aufmerksamkeit. Vorsichtig, als würde es schon durch minimale Gewalteinwirkung in meiner Hand zerbrechen, nahm ich es hoch und sah es mir genauer an. Obwohl ich schon alles bis ins kleinste Detail kannte. Es war ein Gruppenbild. Ein Familienbild. Wir waren in einem Tierpark. Papa stand leicht hinter uns, auf den Schultern die kleine Leonie, John und ich neben ihm. Leo hielt eine Tüte mit Tierfutter in der Hand. Wir lachten. Eine nette Dame hatte das Bild für uns geschossen. Es war ein wundervoller Tag.
   In meiner Nostalgie spürte ich, wie mir mein großer Bruder auf den Kopf pattete. Automatisch entstand ein schwaches Lächeln auf meinen Lippen. Das erinnerte mich so sehr an früher, wenn ich beleidigt war und er das lustig fand. Mensch, vor fünf Minuten wollte ich noch heulen und jetzt lächelte ich, wenn auch ganz leicht. Und das, obwohl ich Leonie vor Augen hatte. Ein Psychologe würde sich wohl Sorgen machen. Allerdings dachte ich mir mal, dass diese Seelenkleptner momentan genug eigene Sorgen hatten.
   "Ich vermisse Papa...", bemerkte ich, fuhr mit dem Daumen über das Bild.
   "Ich auch."
   Ich warf einen Blick auf mein Handy, das auf dem Esstisch lag. Vor einer Woche hatte er sich gemeldet. Vor einer Woche, wo alles begann.
   "Ich will ihn suchen, John." Bestimmt stellte ich das Foto zurück auf seinen Platz, drehte mich weg und ging in die Küche. Er folgte mir.
   "Das geht nicht, Kätzchen. Das weißt du."
Ich wirbelte herum, aufgebracht. "Ich will hier nicht mehr nur rumsitzen und warten, dass irgendwas wieder in Ordnung kommt, was höchstwahrscheinlich nie wieder in Ordnung gebracht werden kann! Ich will hier nicht mehr nur rumsitzen und 24/7 in meinen Gedanken gefangen sein und dabei eine Depression entwickeln, denn einen Psychodoc werde ich in nächster Zeit höchstwahrscheinlich nicht aus beruflichen Gründen zu Gesicht bekommen! Ich will hier nicht mehr nur rumsitzen und darauf hoffen, dass Papa sein Versprechen hält und Heim kommt. Ja, er hat uns gesagt, wir sollen im Haus bleiben, aber dann könnte er das auch gemacht haben und noch am Leben sein! Er müsste dann in Boston sein, das ist nur ungefähr eine Stunde entfernt! Zu Fuß! Auto ist noch schneller! Das ist doch-"
   "Kyra!", schnitt er durch die Luft, nicht wirklich laut, viel mehr energisch. Ich stockte. Dann fuhr er sanfter fort: "Das können wir nicht riskieren. Dad hat uns nicht ohne Grund gesagt, wir sollen bloß nichts tun, außer im Haus zu bleiben. Hier sind wir vorübergehend sicher vor denen, wir haben Essen, Trinken, selbst Strom und Gas. Wenn das wirklich alles komplett aus dem Runder laufen sollte, dann können wir diesen Luxus nicht frühzeitig aufgeben. Das mag brutal und egoistisch klingen, aber ich kann es nicht zulassen, unsere und vor allem deine Sicherheit für eine kleine Hoffnung zu opfern. Kyra, bitte, das musst du verstehen. Ich kann dich nicht auch noch verlieren."
   Sprachlos sah ich ihn an. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Hatte ich soeben noch weitere Widersprüche auf der Zunge, so hatte mich jetzt sein letzter Satz mundtot gemacht. Ich kann dich nicht auch noch verlieren. Warum nutzte er so unfaire Mittel? Diese Schiene, die mitten ins Gewissen fuhr.
   Angepisst fuhr ich herum, schaute aus dem Küchenfenster. Die Straße war leergefegt, doch ich erkannte verräterische, rote Flecken, die dort auf einstige Körper hinwiesen. Ob sie fortgeschafft wurden oder eigenhändig die Flatter gemacht hatten, wer wusste das schon? Wen juckte das schon? Fest umschloss ich die Fensterbank.
   "Kyra...", hörte ich hinter mir John seufzen. "Kätzchen, komm, sei mir nicht böse. Ich mache uns etwas zu Essen, in Ordnung?"
   Ich antwortete ihm nicht. Ich verließ nur seufzend die Küche und stieg die Treppen zu meinem Zimmer im Dachgeschoss hinauf.

Endless DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt