Capitolo settantaquattro

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Felicia Ricci

Zögernd greife ich nach seiner Hand. Ich möchte ihm ja nur Halt geben. Er sieht sehr schwach aus.
Und trotz dieser Tatsache, dass ich ihm wirklich nur eine Hilfe sein möchte, nicht mehr, beginnt mein Herz zu rasen bei seiner Berührung.
Er schaut mich monoton an, doch ich sehe ihm an, dass er stark verunsichert und misstrauisch ist. Das nehme ich ihm nicht einmal übel. Ich habe ihn ausgeliefert. Und das nur, weil er mir helfen wollte. Natürlich dachte er dabei an sein Herz, oder woran auch immer. Er tat es nicht nur aus reiner Zuneigung zu mir.
Das ist der instinktive Erhaltungstrieb eines Menschen. Ganz klar.
Der Mensch tut nie etwas nur für den Willen anderer. Er tut es für sich. Jemand, der behauptet, er würde etwas nur und ausschließlich für Andere tun, der lügt. Das habe ich im Laufe meiner Lebenszeit gelernt und dies wurde ebenfalls in vielen Bereichen der Philosophie anerkannt und bewiesen.
Leute gehen ins Krankenhaus zu ihrer geliebten Person- jedoch nicht um für die andere Person da zu sein. Nein. Das ist ein reiner Nebenfaktor. Sie gehen ins Krankenhaus, um ihre Pflicht zu erfüllen, um ihr Verlangen nach Wiedergutmachung zu stillen. Eventuell, um sogar Abschied von der Person zu nehmen, um sich selbst besser damit zurecht zu finden.
Alles nur zum eigenen Vorteil.
Selbsterhaltungstrieb.

„Draußen steht noch mein Auto", flüstert er und drückt dabei meine Hand warnend.

„Draußen stehen seine Leute, Ian", ermahne ich ihn.

Er soll etwas nachsichtig sein. Immerhin könnten sie uns, sobald wir uns einem Auto nähern, erschießen. Naja, aber was haben wir für eine Wahl?
Das Monster da draußen engt jeden ein.

„FELICIA?!", ertönt ein gedämpfter Schrei, der durch den Tunnel hallt.

Ohne ein weiteren Ton abzuwarten, stürmt Ian los und zieht mich gewaltsam mit sich mit. Er klammert sich dermaßen fest an mein Handgelenk, dass es sich anfühlt, als würde er es gleich abreißen.
Für Schmerz bleibt jedoch keine Zeit.
Ich versuche mit aller mit ihm Schritt zu halten, dass ich nichtmal bemerkt habe, dass wir im Flur stehen!

Panisch reiße ich meine Augen auf. Mein Herz rast. Das Adrenalin schießt durch meinen kleinen Körper und bringt mein Blut in Wallung.
Überall brüllen irgendwelche Männer von Aurelio herum und schreien sich Codes zu.
Ich verstehe kein Wort!

„Nur noch ein paar Meter!", schreit Ian.

Jetzt ist es auch egal, ob wir laut sind. Naja, hoffe ich.

Alles läuft wie geplant. Wir rennen. Sehen Ians, echt feschen, Mercedes Coupé.
Immernoch offen.
Und, wie man es kennt, läuft immer etwas schief.

„Geh weiter und ich schieße", ruft uns nur eine Person von hinten gelassen zu.

Aurelio.
Wir hören ein Klicken. Gänsehaut überkommt mich. Er hat seine Waffe entsichert.
Langsam bleibt Ian stehen und dreht sich mit mir zu ihm um.
Beide starren sich eine gefühlte Ewigkeit in die Augen, bis Aurelio das Blickduell abbricht und nun mich anschaut. In seinem Blick liegt Enttäuschung.
Ja, Aurelio, ich auch. Ich auch.

„Du hintergehst mich also?", fragt er leise, aber laut genug, damit es zu mir durchdringt.
Ja, das ist ja wohl offensichtlich.
Unnötige Frage. Aber seine ganze Existenz ist unnötig. Wieso rege ich mich überhaupt auf?

„Ja", gebe ich trocken zurück und ernte dafür einen grimmigen Blick.

„Warum mit ihm, Felicia. Er will dich nur töten. Das ist dir doch bewusst? Oder glaubst du, er will sich mit dir eine kleine schöne Liebeswelt aufbauen? Das gibt es für Leute, wie uns, nicht! Wann verstehst du das?!", schreit er wütend und kommt uns 3 Schritte näher.

Lachend schüttelt er seinen Kopf und setzt bei zum Reden an.

„War dir das nicht genug, was ich dir gegeben habe? Für einen Mann, wie mich, kommt es nun mal nicht in Frage, zu heiraten. Ich habe dich am Leben gelassen. Und so dankst du mir? Du undankbares Stück!"

Oh, ganz vergessen! Dank ihm, habe ich ja so ein tolles Leben! Wie konnte ich nur so egoistisch sein und was besseres wollen? Dumme, dumme, dumme Felicia. Man!
Plötzlich schnaubt Ian belustigt neben mir und löst unsere Hände.
Nein! Ich fühle mich ohne Halt gerade sehr schwach. Ich glaube, das liegt daran, dass Aurelio so eine mächtige und Angst einflößende Präsenz hat.

„Was willst du denn noch mit ihr?", fragt Ian, doch mir entschließt sich nicht ganz der Sinn, warum er das fragt.

Fragend blicke ich ihn an und verstehe. Er tritt minimal weiter zurück zum Auto.
Ein Ablenkungsmanöver.

„Sie ist mein Eigentum. Mehr muss ich nicht sagen", knurrt Aurelio und schaut angespannt gen Himmel.
Und das war unsere Chance.
Ian ergriff meine Hand blitzschnell und zieht mich ruckartig zum Auto.
Er wirft mich auf die Rückbank und springt selbst hinein.
Aurelio brüllt von draußen und schon zerspringt die Scheibe neben mir in tausend Stücke.

„FAHR LOS!", schreie ich panisch und schon drückt er aufs Gas.

Das Auto driftet kurz zur Seite und schießt dann mit seinen 500 PS durch das Tor.
Laute Schüsse schieße auf das Auto zu und prallen am Lack ab.

„Mein Baby ist für solche Notfälle ausgestattet", prahlt er vorne lässig und klopft auf sein Lenkrad.

„Außer die Scheiben?", frage ich angespannt.

„Außer die Scheiben", bestätigt er und zieht seine Lippe zu einer schmalen Linie.

Außer die Scheiben. Gut, dass diese nur auf unserer Kopfhöhe sind.
Passiert ja nichts.

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