Capitolo settantasette

2.2K 64 0
                                    

Aurelio Monti

Ich bin kein Arsch. Gewiss nicht. Wie ich darauf komme? Nun, ich sitze seit einer ganzen Woche hier, spiele nervös mit meinen Fingern, brülle meine Männer nacheinander an, sie sollen mir nicht auf die Eier gehen und schnauze zu allem Übel auch noch Jasper und Silo an. Seitdem meiden sie mich alle. Ich wiederhole, ich bin kein Arsch.

Ich reibe mir stöhnend meine Augen. Felicia ist immernoch nicht wach. Seit 6 Tagen liegt sie in einem künstlichen Koma. Die Ärzte sagen, sie sei zu schwach von alleine wach zu werden. Geschweige denn sich bei Kräften zu halten. Jeden Tag gehe ich auf ihrem Zimmer ein und aus. Schaue ab und zu rein, um nur mein Gewissen ein wenig zu bereinigen. Die Zeit hier im sterilen Krankenhaus zwingt mich nämlich leider dazu über meine Persönlichkeit nachzudenken. War ich all die Monate, nein, sogar Jahre, zu grob zu ihr? Verdammt, nicht nur zu ihr! Ich habe doch so viele Menschen abgeschlachtet, die mich nur schief ansahen. Wieso versteht mich denn auch niemand? Ich muss es tun. Ich muss so sein. Ich habe eben nicht das Glück gehabt, wohl behütet und glücklich aufzuwachsen. Mein Vater... er hatte nie das Händchen gehabt, ein richtiger und liebender Vater zu sein. Er brachte mir nur bei, wie man Menschen verletzt und manipuliert, ohne dass sie es merken. Glück im Job, Pech in der Liebe.

Ich weiß ganz genau, dass ich irgendwo ganz tief in mir Empathie habe. Liebe womöglich auch. Leider nimmt der Hass aber 90% meiner Seele ein. Es gab eine Zeit, da war es mir wichtig, den Teil in mir zum Leben zu erwecken, der tot zu sein schien. Dann wurde mein Kartell bedroht und ich musste jegliche Emotionen für immer verbannen.

Jetzt sitze ich hier. Meine Achseln? Nass.
Meine Hände? Nass.
Mein Nacken? Nass.
Die Ungewissheit, wann Felicia wieder aufwachen könnte, bzw. ob sie aufwachen wird, bringt mich und meine Nerven auf Höchstleistung. Sie hat viel, zu viel, wegen mir durchgemacht. Jetzt sterben? Auch wegen mir?
Wie verkorkst kann eine Seele werden? Da muss es doch ein Maximum geben?!

Durch ein Tippen auf meiner Schulter werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Mein Kopf schellt nach rechts und sofort sehe ich, wer mich da wieder stört.

„Wieso ist sie abgehauen? Mit ihm?"
Mein Blick wird kühl. Muss er das fragen? Jetzt?
Genervt lasse ich mein Gesicht in meine Hände fallen.
„Nerv mich jetzt bitte nicht, Silo. Meine Nerven sind blank."
Auch er atmet genervt aus und rutscht mir etwas zu nah, meiner Meinung nach. Ich wollte gerade aufstehen und wieder etwas Luft kriegen, da krallt sich Silo an mir fest und zieht mich zu sich.

„Sie ist wach. Aber-"
Meine Augen sind vor Schock ganz weit aufgerissen.
Sie ist wach?
Wütend reiße ich mich los. Wieso sagt er mir nicht vorher was?!
Ist er verrückt?!
Ich will den Gang zu ihrem Zimmer hinab stürmen, sie sehen, in die Arme nehmen und einfach vor Glück schreien.
Silo holt mich ein und zieht mich erneut nach hinten.

„Wir müssen verschwinden."

Was meint er?
Verständnislos will ich ihn abschütteln, doch mir wird sofort vor Augen geführt, wieso wir verschwinden müssen.

In der Entfernung sehe ich, wie eine ganze Polizeitruppe vor ihrem Zimmer steht, mit den Ärzten reden und den Gang bewachen. Ihre Hände kleben an den Waffen und sie sind bereit, diese auch zu benutzen. Doch, gegen wen sind diese Schutzmaßnahmen gerichtet?
Gegen Ian?
Das ist wohl wichtig und richtig!

Locker. Ganz locker.
Ich möchte meinen Lauf fortführen.
„Wenn du jetzt gehst, stürzen sie sich auf uns und wir können das ganze Imperium, was du dir alleine aufgebaut hast, unseren Feinden schenken. Wir müssen gehen", flucht Silo mit Nachdruck und als ich in sein, in Falten gelegtes, Gesicht sehe, wird mir der Ernst der Lage erst bewusst.
Ich nicke ihm eilig zu, und erleichtert pfeift er leise und Jasper kommt sofort aus einer Ecke gestürmt.

„Du bleibst hier. Keiner kennt dich. Achte auf Feli. Wir werden kommen sobald wir einen Plan haben. Halt die Augen und Ohren offen, Kleiner."

Sofort nickt Jasper und geht lässig auf die Sitzplätze zu, auf denen wir die Tage zuvor geschlafen hatten.
Es fällt mir schwer, einfach zu gehen, ohne sie gesehen zu haben. Sie berührt zu haben. Meine Felicia...
Doch ich habe mir Prioritäten gesetzt. Erst mein Imperium, dann Felicia. Wenn Felicia etwas passiert, bleibt mir noch immer meine Macht, und somit das Ansehen, was ich verdient habe.
Verliere ich das Imperium, habe ich Felicia nur für einen begrenzten Zeitraum. Die wahre Liebe gibt es nicht. Und was wäre dann, wenn ich ohne Liebe und ohne Imperium da stehe? Richtig. Ich lebe nicht, ich existiere nur. Wie ein Geist. Ein Geist ohne Geld, Macht und Vorteile. Ich wäre ein Opfer der Gesellschaft.
Lieber sterbe ich, als mich blind in solch ein Schicksal reinzustürzen.

Wir drücken die weiße und schwere Tür auf und werden von einer kalten Luft erfasst. Der Wind peitscht uns in unsere warmen Gesichter. Innerlich ärgere ich mich darüber, dass ich nur ein mickriges Hemd anhabe und keine dick gefütterte Jacke, wie Silo. Mein Blick huscht zu ihm herüber, der ein gehässiges Grinsen im Gesicht hat.

„Kalt?", fragt er auch noch frech nach und verkneift sich ein Kichern.

Du blöder Wichser.

„Ja, ist dir etwa kalt, Signor Monti?", äfft eine allzu bekannte Stimme Silo nach.

Ich schrecke zusammen, fange mich jedoch sofort wieder.
Darf das wahr sein?

„Ian."

ObsessionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt