Capitolo novanta

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Aurelio Monti

Musternd blicke ich auf meine Rolex und beobachte den tickenden Zeiger. In den vergangenen 17 Jahren hat sich, meiner Meinung nach, der Zeiger viel zu langsam bewegt. Und jetzt? So schnell... ohne Gnade.

Und vor mir liegt die Frau, die ich in den Jahren weiterhin still geliebt habe. Bis zum Tod.
Ihre einst weichen Haare... nun so verblasst und trocken. Leblos.

Aber ich schätze, so ist der Tod. Er nimmt nicht nur deine Seele mit, deine Existenz, sondern dein einst schönes Dasein.
Meine geliebte Felicia ist fort.

Abwesend verharre mit meinem Blick an dem Sarg, in dem meine Frau liegt mit geschlossenen Augen und blasser Haut.
Meine Mafia ist um sie herum verteilt, blicken schweigend auf sie herab und zücken ihren Hut. Erweisen ihr den letzten Respekt. Und verdammt, sie hat so viel mehr verdient.
Was hab ich ihr bloß alles angetan? Von der Entführung hin, bis zur Einweisung in eine Psychiatrie. Das schlimme ist, ich habe meine Entscheidung nicht revidiert. Ich hätte es tun können, hätte dann aber vor meiner Mafia mein Gesicht verloren. Und leider ist mein Leben lang nur eines wirklich von Bedeutung gewesen: Macht.
Aber was soll ich mit Macht, wenn sie fort ist. Sie hat alles mit sich genommen.

„Geht es dir gut?"

Ich ignoriere ihn. Weiterhin. Ich will mit keinem reden. Erst recht nicht mit ihm. Er hat mir die Nachricht überbracht, dass Felicia gestorben ist und was noch viel schlimmer ist: er hat es mir von Anfang an gesagt. Silo hat mir gesagt, dass ich sie da sofort rausholen soll. Doch ich habe es nicht getan. Er wusste es.
Und jetzt darf ich ihm täglich in die Augen schauen, wissentlich, dass er sie gerettet hätte. Ich nicht. Es war meine Schuld, aber die gebe ich ihm. Er hätte mich zwingen, töten oder foltern müssen, um sie daraus zu holen. Ich gebe die Schuld einzig und allein ihm. Silo.

Knurrend schlage ich seine fürsorgliche Hand weg und schubse ihn wütend zu den gepflasterten Steinen. Ich drehe mich sofort wieder zu Felicias Leiche um und beachte ihn nicht weiter.
Ich möchte einfach nur den letzten Augenblick genießen. Das letzte mal.
Auch das wird mir nicht gegönnt.

„Padre! Wieso tust du Onkel Silo weh?", schreit mein Sohn Ian mich an und fletscht seine Zähne.

Mich fletscht er an?!
Alle meine Sinne haben mich verlassen. Trauer, Hass und Wut kommen gleichzeitig an die Oberfläche und verzerren mir die Sicht. Im nächsten Moment habe ich Ian am Kragen gepackt und schleudere ihn zu Silo auf den Boden. Laut krachend landet er mit seinem Kopf auf dem Stein und beginnt zu weinen. Ekel baut sich in mir auf. Ich habe nie geweint! Nie! Mein Vater hätte mich gefoltert, wenn es mir auch nur eine Sekunde eingefallen wäre, zu weinen!

„Schmeißt sie raus!", befehle ich mit bebender Stimme, weshalb sofort die Türsteher angerannt kommen und meinen Sohn und Silo raus schleifen.

Plötzlich werde ich an der Schulter angefasst und beinahe wollte ich Felicias Namen rufen, bis mir einfiel, dass sie vor mir in einem offenen Sarg liegt.

„Lass deine Wut dich nicht verschlingen", ermahnt sie mich und ihre Stimme klingt ihrer so gleich.

Fila... mein ein und alles. Sie ist gerade mal 19 Jahre alt und so reif. Sie weiß es so viel besser als ich.
Sie hört sich zwar wie ihre Mutter an, aussehen tut sie jedoch ganz anders. Naja, die Haare sind ganz die Felicias, aber der Rest... als wäre sie eine Wiedergeburt von mir und Felicia in ganz neu. Und dennoch habe ich etwas getan, was mir Felicia nie verzeihen wird. Sie wird mich vom Himmel aus bestrafen. Das weiß ich und da bin ich mir unglaublich sicher.

Aber wie ich bereits erwähnte... Macht ist das Einzige, was mir je wichtiger sein wird als die Familie.

Und diese neu kommende Macht steht mit verschränkten Armen in der Ecke und mustert meine Tochter.
Wir fixieren uns gegenseitig und verheimlichen nicht, wie sehr wir uns doch hassen. Aber wir sind voneinander abhängig. Er weiß es. Ich weiß es. Und mit der Zeit wird Fila das auch verstehen und akzeptieren.

Er kommt mit eleganten und langsamen Schritten auf uns zu, hat einen eiskalten Blick drauf, der meinem ziemlich ähnelt und bleibt stumm vor uns stehen.
Er erinnert mich an meine jungen Jahre.
Hoffen kann man nur für sie, dass er nicht auch so ist wie ich.

„Fila. Das ist Massimo", räuspere ich mich und gehe den Schritt auf mehr Macht und Ruhm zu.

Vielleicht magst du mich von oben aus hassen, Felicia, aber ich kann und werde meine Person nicht ändern.
Geld, Macht und Ruhm waren schon immer mein Lebenselexier. Und für dieses werde ich selbst meine Tochter verkaufen.
Gott vergib mir.
Oder auch nicht.

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