Kapitel 6

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Ich tigerte durch das Zimmer, das ich mir mit Paul teilen musste. Ich habe James zugestimmt und war mir nicht so ganz sicher, ob ich es bereuen würde oder nicht.
Nein, würde ich nicht.
Curtis ging es gut, Hauptsache einer von uns hatte kein miserables Leben.
Ich vermisste meine Heimat so sehnsüchtig. Auch wenn ich hier alles an Luxus hatte, meinem Herz fehlte was.
Ich setzte mich auf den Boden und weinte.
Weinte wegen der Entführung, und weil ich Curtis vermisste.
Weinte wegen dem ganzen Tag, dem Umstyling, welches jedes auch nur kleinste Stück von mir entfernte und zu Lady Eleonore umwandelte. Weinte wegen diesem Miststück Paul, und dem König. Weinte, weil ich zu all dem zustimmte.
Und ich weinte, wie komisch sich das auch anhörte, weil ich keine Hosen und Sneaker trug.
Nach langer Zeit rappelte ich mich auf und schaute in den Spiegel. Zerzaustes Haar, verschmiertes Make-up, das war mehr Abigail, was mich glücklich machte.
Es klopfte an der Tür und ich befürchtete, dass es Paul sein würde der eintrat. Ich wappnete mich schon innerlich für einen Kampf und holte tief Luft, aber das alles war nicht nötig gewesen, da Mona vorsichtig eintrat.
"Bitte kommen Sie rein.", sagte ich und sie lächelte.
"Danke. Es wird immer noch gewöhnungsbedürftig sein, wie gutmütig Sie sind, obwohl Sie haargenau wie Lady Eleonore aussehen."
Gutmütig? Ich? Das habe ich noch nie gehört. Aber im Vergleich zu diesen Tyrannen hier, war es aber leicht wie ein Engel zu wirken.
"Können wir bitte aufhören uns zu siezen?", fragte ich fast flehend. Sie kam näher zu mir und stand kerzengerade vor mir, wie die perfekte Dienstbotin, die sie nunmal war.
"Ich kann das nicht.", stammelte sie unsicher. „Das widerspricht meinen Vorschriften-"
"Bitte. Ich bitte drum. Beziehungsweise befehle ich, dass wir aufhören uns zu siezen." Sie erwiderte mein Lächeln.
"Ganz wie Sie- Ganz wie du willst."
"Danke. Von allen Menschen bist du die einzige Person, der ich vertraue."
"Das kannst du auch.", sie musterte mich. "Hast du geweint?"
"Ja. Ich vermisse meine Freunde, meine Hood und das schlechte Wetter."
"Das verstehe ich. Ähm... Eleonore, du wirst heute zum Abendessen mit dem König, seiner Gefährtin und dem Sohn erwartet."
Ich könnte kotzen. Das war ein unfaires Spiel, drei gegen einen.
"Muss ich da hingehen?"
"Ich bedaure, ja."
Ich seufzte. "Also bist du gekommen, um mich zurecht zu machen."
Mona antwortete dann mit einem Nicken und zeigte auf einen Stuhl. "Wir haben nicht viel Zeit."
Sie kämmte meine Haare und schminkte mich komplett ab. "Übrigens waren alle Dienstleute begeistert von dir."
"Echt? Ich hatte das Gefühl nicht gewollt zu sein."
"Lady Eleonore war nicht gewollt. Abigail schon."
"Danke Mona. Schon klar, dass alle ehrfürchtig sind, aber ich finde die haben übertrieben. Als hätte Eleonore die Leute geschlagen." Mona zögerte und ich befürchtete das Schlimmste. "Bitte sag mir nicht, dass die das mal gemacht hat.", flehte ich.
"Doch. Sie war unzufrieden mit ihrem Kleid, ist zu uns gekommen und hat mit hunderten von Nadeln um sich geworfen. Und sie hat auch ein Mädchen geohrfeigt, das verantwortlich war und hat uns allen das Abendessen für den Tag gestrichen."
"Nein!", sagte ich. Wieso nahm Paul sie dann in den Schutz?
"Oh doch. Deswegen hatten alle so Angst. Aber soweit ich den Tratsch mitbekommen habe, fanden sie dich heute authentisch und äußerst freundlich."
"Und... es ist nicht aufgefallen, dass ich nicht diese Lady bin?"
"Ein paar haben gesagt, dass du dich heute anders als sonst ausgedrückt hast. Aber bevor du gekommen bist, hieß es, dass Lady Eleonore schwer erkrankt war, nicht gestorben ist."
"Okay.", erwiderte ich nur.
Mag ja sein, dass wir uns ähnlich sahen, aber die Stimme war anders und mein Slang war da.
"Abigail, ich würde so gerne mehr von dir erfahren.", sagte Mona dann.
"Nie war jemand in mein Leben interessiert, weil ich ein nichts war. Eigentlich bin ich das ja immer noch, ich spiele ja nur Eleonore."
"Erzähl, bitte, ich bin wirklich neugierig."
"Ich wohnte in einer Gasse, mit einem guten Freund. Wir hatten Zeitung, ein paar Decken und Holz da. Dazu hin und wieder ein geklautes Auto und eine Knarre."
"Und wie habt ihr euren Tag verbracht?"
"Vielleicht wirst du mich nicht mehr mögen, wenn ich es sage. Aber unseren Tag haben wir damit verbracht Leute zu bestehlen, Drogen zu dealen und Clubs zu besuchen, damit wir uns über Wasser halten konnten."
"Wow.", erwiderte sie. "Also habt ihr in Hungersnot gelebt?"
"Genau. Wir konnten uns keine Hilfe holen, weil Curtis verfolgt wurde. Und das machte alles nur noch schwieriger."
"Oh nein. Und ich habe mich hier beklagt."
"Hört sich jetzt voll komisch an, aber ich liebe meine Heimat. Meine Freunde, die Musik, die Rapbattles, Straßenrennen und die HipHop Szene. Das ist mein Element und nicht das hier."
"Da sind ja Welten zwischen."
"Ich weiß. Deswegen denke ich nicht, dass ich je das erreichen kann was die von mir wollen."
"Doch, ich glaube an dich."
"Danke Mona. Danke fürs Zuhören, mir geht es jetzt schon viel besser."
"Was ist denn mit deinen Eltern?", fragte sie vorsichtig. "Wenn du nicht über sie reden möchtest-"
"Nein schon gut. Ich weiß nicht wer mein Vater ist, aber meine Mutter ist tot. Blutvergiftung, vom... du weißt schon... Alkohol."
Mona war zutiefst geschockt, das sah ich ihr an. "Mein Beileid."
"Danke."
"Und deine?", fragte ich vorsichtig.
"Meine Mutter ist sehr krank, mein Vater zu alt, ich arbeite für sie."
"Du brauchst also Geld?"
"Ja. Sie werden nicht vom Königreich versorgt."
"Okay.", murmelte ich und dann überlegte wie ich ohne, dass es sich komisch anhörte, Paul nach Geld fragen könnte.
Oder den König.
"Lady Eleonore.", sagte sie dann förmlich. "Du musst dann jetzt in das Kleid schlüpfen."
"Ja.", antwortete ich und bereitete mich erneut auf eine harte Geburt vor.
Diesmal war das Kleid nicht so riesig und voller Tüll, aber die Schwierigkeit lag darin, rein zu passen. Es war ein enganliegendes, bordeauxrotes Kleid. Mona stimmte dazu mein Make-up ab, nur, dass alles schlicht gehalten war nur diese bordeauxroten Lippen fielen auf.
Es war wieder ein schönes End Bild zum Schluss, aber wohl, fühlte ich mich in meiner Haut überhaupt nicht.
"Okay, Eleonore du schaffst das." Sie lächelte mich ermutigend an. Kurz daraufhin klopfte es an der Türe.
"Mir wurde verordnet Lady Eleonore zum Essen zu begleiten!", rief jemand hinter der Tür, trat aber nicht ein.
"Danke Mona. Für alles." Dann ging ich los.
Es war, wie ich vermutete, ein Wachmann der mich dann zu einem riesigen Saal begleitete.
Und dort wurde ich schon erwartet.
Der Anblick verdarb mir den Hunger und Appetit. Es war ein riesiger Tisch, reichlich gedeckt, keine Stelle war frei. Ich konnte noch nicht mal schätzen wie viel das alles kostete und das hier würde bestimmt ein der ersten Male sein, in denen ich wirklich satt wurde.
Aber nicht dieser Anblick verdarb mir den Appetit.
Sondern den König, seine Frau und Paul zu sehen.
Alle schauten mich erwartungsvoll an, dass ich irgendwas sagte oder knickste. Aber ich setzte mich nur auf den freien Platz.
"Nein!", schrie der König und ich konnte mein Erschrecken gerade noch mit einem bösen Blick retten.
"Sie können sich nicht einfach hinsetzen! Ich muss Sie erst mal auffordern."
Ach fick dich doch. Oder deine Frau, mir egal. Es war schrecklich wie er seine Macht in Ausdruck setzte. Ein schreckliches Gefühl.
"Jetzt sitze ich aber schon."
"Ich möchte, dass Sie aufstehen."
Ich seufzte genervt und tat was er verlangte. Aber er forderte mich nicht auf mich hinzusetzen. Und da stand ich eine gefühlte Ewigkeit während alle mich still anschauten.
Vor allem diese Frau vor mir, die so aussah als würde sie einen Geist sehen.
"Als James meinte er hätte jemanden gefunden, die wie Eleonore aussah, habe ich nicht viel Wert darauf gelegt. Aber Sie sehen ja aus wie ein Klon. Sie sehen ihr wirklich ähnlich."
Oh, sie sprach mich an. "Wie wäre es mit: sie sieht mir ähnlich?"
Der König schaute mich vollkommen aufgebracht an. Schon klar, dass er mich nicht leiden konnte. Aber mir war auch klar, dass er viel verlieren würde, wenn er mich tötet.
"Ja natürlich.", sagte die Dame und lächelte mich ganz kurz an.
Endlich. Eine weitere Person außer Mona, die nett war.
"Wie gefällt Ihnen unser Palast?"
"Die kommt von der Straße.", ergriff Paul das Wort. "Natürlich gefällt es ihr und übertrifft all dem von dem, was sie je geträumt hat."
Spast. Zwar hatte er mit allem Recht aber wo zur Hölle holte er sich das Recht an meiner Stelle zu antworten?!
"Ja am besten gefällt mir Ihr Sohn. Er ist der netteste, und witzigste junge Mann, den ich je in meinem Leben getroffen hab.", sagte ich vollkommen sarkastisch.
Jetzt kicherte die Mutter? War mir ja auch egal.
"Bitte entschuldigen Sie sein Verhalten. Er hat seine Geliebte verloren."
"Ich vergebe Ihnen, Paul. Ich weiß ja genau wie Sie sich fühlen, ich habe ja schließlich auch meine Eltern, mein zu Hause, meinen Freund und meine Waffe verloren."
Jetzt schwiegen alle und schauten mich geschockt an.
"Sie... haben keine Eltern mehr?", fragte dann die Königin.
Wie wenig haben sie die Frau denn eingeweiht?
"Den einen kenne ich nicht, und meine Mutter ist gestorben, als ich fünfzehn war."
Ich fing an die Königin zu mögen, da sie mich mitleidig anschaute. Vielleicht könnte ich sie ja als Freundin gewinnen.
"Sie können sich jetzt setzen.", sagte der König endlich. Dann in die Runde: Guten Appetit. Okay ich hatte vier verschiedene Löffel, Messer und Gabel. Ich nahm mir einfach ein Willkürliches und aß.
Was ich aß war äußerst lecker. Viele Sachen konnte ich auch gar nicht zuordnen, aber solange es schmeckte, aß ich es.
Ich hörte die Königin vor mir kichern und als ich sie anschaute verkniff sie es sich. Auch der König und sein Hundesohn schauten mich an.
Und dann verstand ich wieso. Die Art wie ich aß, war ganz anders als wie sie es taten.
Aber das war mir egal.
Ich hatte Hunger und durfte essen, nur das zählte.
"Morgen fängt der Unterricht zu Manieren an.", sagte der König an seine Frau gerichtet.
Und der Rest verlief still. Alle aßen, keiner schaute sich an, keiner redete und nur ich wurde einmal ermahnt, dass ich meine Ellenbogen nicht auf den Tisch stützen dürfte.

Lady Ghetto Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt