Kapitel 70

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"Eleonore du machst mich etwas nervös.", sagte ich als ich schon wieder merkte, dass sie mich lange Zeit anstarrte.

"Tut mir leid, ich höre auf. Gefällt dir dein neues Zimmer?"

"Wie soll es mir nicht gefallen?"
Es war sehr pompös. Sehr luxuriös. Und irgendwie auch königlich.

"Wir können Tee trinken. Oder ein Brettspiel spielen. Wie wäre es mit spazieren?"

"Eleonore... ich... würde gerne alleine sein. Ich muss mir über alles im Klaren werden, es ist sehr viel passiert."

"Ja natürlich.", sagte sie etwas enttäuscht. "Wenn du etwas brauchst, betätige die Klingel."

"Danke."

Sie war in Begriff das Zimmer zu verlassen, dass jetzt anscheinend mir gehörte, aber sie drehte sich noch mal um. "Abigail, ich will dich einfach nur näher kennen lernen."

Ich wusste nicht wieso, aber ich lächelte sie an. "Das kommt noch. Aber jetzt... brauche ich erst mal meine Ruhe."

"Bis gleich. Bitte flüchte nicht".

Ich musste etwas lachen. "Nein, versprochen."

Sie verließ dann das Zimmer und ich schaute mich in dem fremden Ort hier um.
Das war also eigentlich mein zu Hause gewesen.
Ich bin gar keine New Yokerin, worauf ich doch immer so stolz gewesen bin.
Ich war die Tochter eines Herzogs und einer Herzogin, was mich automatisch adlig machte.

Adlig.

Gott. Ich bin in der Gosse aufgewachsen. In einem Ghetto. Es passte einfach nicht in meinen Sinn, dass ich adlig sei.
Ich setzte mich auf den Boden und umschling meine Arme um meine Knie.

Meine 'Mutter' hatte mich also belogen. Ich wünschte sie wäre hier und ich könnte ihr dann hundert Fragen stellen. Ich wünschte sie würde mich jetzt in den Arm nehmen und mich trösten und das Gefühl geben, als sei ich nicht alleine.

Meine 'richtigen' Eltern lagen in ihrem Zimmer, da sie sich noch nicht komplett von dem Unfall erholt hatten. Sie brauchten immer ganz viel Ruhe.
Auch wenn sie jetzt auf den Beinen wären, konnte ich mir schwer vorstellen, dass ich mich an sie wenden würde.
Klar, sie sind meine Eltern.
Aber sie sind mir immer noch fremd. Es sind zwei fremde Menschen, die ich vor ein paar Stunden erst kennen gelernt habe.

Trotzdem, muss ich zugeben, war es ein unbeschreiblich schönes Gefühl, als ich sie umarmt hatte. Als würde ich sie doch irgendwie kennen, aber nur im Unterbewusstsein.

Mann. Ich befand mich in einem Gefühlschaos, aus dem ich, seit dem ich das erste Mal entführt wurde, nie wieder rauskam.

Eine Bombe zerplatzt nach der nächsten.
Ich werde entführt- warum zur Hölle werde ich entführt.
Ich sollte Eleonores Platz einnehmen und kam mit Paul nicht klar, obwohl wir uns eigentlich von Anfang an zu einander hingezogen gefühlt haben.
Dann kam dieser Philippe, der nichts besseres zu tun hatte als mich zu vergewaltigen. Das führte dann aber dazu, dass zwischen Paul und mir Waffenstillstand herrschte und wir uns unsere Gefühle gestanden haben.
Und natürlich nicht zu vergessen, wie überfordert ich mit meiner neuen Rolle als Prinzessin war. Die ganzen Bälle, die Leute, Elizabeth und der König.

Kaum hatte ich mich an alles gewöhnt, kam Eleonore wieder. Hat mich rausgeworfen und mich von Paul getrennt.
Und jetzt bekomme ich gesagt, dass wir eigentlich Geschwister sind.
Dass mein ganzes Leben eine reine Lüge war.
Von Anfang an. Von dem Moment als meine Mutter... als Rita, Eleonore und mich zur Welt gesetzt hat und mich heimlich behalten hatte.

Ich seufzte. Und weinte.

Ich hielt es nicht mehr aus. Wann konnte ich mich zurück lehnen und entspannen...? Wann hat dieses riesige Chaos ein Ende?

Wahrscheinlich nie.
Oder vielleicht wenn ich mein Baby bekomme.
Ich fuhr mir mit meiner Hand über den Bauch, hörte auf zu weinen und hielt inne.

Da war mein Kind drinnen. Mein Kind, dass ich jetzt schon vor jedem Unheil beschützen wollte. Keine Lügen.
Das war nämlich das schrecklichste Gefühl was es gab.
Dass man ein Leben lang angelogen worden ist.

Es klopfte an der Tür und Eleonore streckte ihren Kopf rein.

"Darf ich wieder reinkommen? Ich will dich kennenlernen."

Ich musste etwas lachen. Mann. Sie hatte mich keine zwei Minuten alleine gelassen und schon kommt sie wieder. Sie schaute an mir herab und entdeckte, dass ich meine Hand auf meinem Bauch hielt.
Ihr Mund formte sich zu einem großen O und ihre Augen hatte sie ganz weit aufgerissen.
Dann kam sie rein und schloss die Tür hinter sich.

"Bekommst du ein Baby?", fragte sie aufgeregt. Ich konnte nicht anders als zu Lächeln. "Jap."

Dann eilte sie mit schnellen Schritten zu mir und zwang mich vom Boden aufzustehen.
"Dann darfst du doch nicht auf den kalten Boden hocken!" Ich setzte mich ohne Widerstand auf das Bett und es war echt viel angenehmer.

"Von Paul?", fragte sie dann neugierig. "Oder... deinem amerikanischen Freund?"

"Von Paul, natürlich. Curtis und ich sind nur gute Freunde."

"Ja sicher.", sagte sie schnell und hielt kurz inne. "Es fühlt sich schon komisch an. Eigentlich ist Paul ja... mein Mann."

Ich schaute sie jetzt forschend an. War das ihr ernst?

"Und obwohl er ja eigentlich, ganz objektiv betrachtet mein Mann ist, verspüre ich trotzdem keine Spur Eifersucht. Ganz im Gegenteil, ich freue mich für euch."

"Was haben wir jetzt eigentlich vor?", fragte ich sie um das Thema zu wechseln.

"Wir werden gleich noch mit unseren Eltern reden, aber der grobe Plan ist, dass wir beide an die Öffentlichkeit gehen und die ganze Wahrheit erzählen."

Ich schluckte schwer. "Wird der König...?" Ich musste den Satz nicht aussprechen, Eleonore wusste genau was ich meinte.

"Vater und Mutter suchen gerade einen Ort, in dem wir uns verstecken können, sobald wir alles gesagt haben. Unsere Hoffnung ist, dass das Volk handeln wird."

"Was ist wenn das Volk nichts tut?"

"Dann müssen wir sehr wahrscheinlich das Land verlassen."

Ich seufzte. "Und ich werde Paul dann nie wieder sehen."

Unerwartet nahm Eleonore meine Hand und drückte diese. "Ich werde dafür kämpfen. Auch wenn ich sterben muss, ich werde alles dafür tun, damit du und Paul wieder vereint seid und das kommende Baby aufziehen könnt." Sie lächelte. "Und natürlich werde ich die beste Tante sein.", sagte sie etwas eingebildet.

Lady Ghetto Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt