Kapitel 62

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*Pauls Sicht*

"Am besten ist es, Sie lassen die Narben an der frischen Luft. Es könnte schmerzhaft werden, wenn die Kleidung daran klebt und so meiden Sie Bakterien, Eure Majestät."
"Vielen Dank."
"Gern geschehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag."

Er verließ das Behandlungszimmer und ich schaute mir noch mal den Brief an.

Deal.

Ich war so froh, dass sie mir die Nachricht geschickt hat. Den Brief legte ich behutsam in meine Hosentasche und dann ging ich in mein Zimmer.
Vater wollte ich nicht sehen. Nach dem er mich so heftig auspeitschen ließ, traue ich ihm nicht mehr über den Weg.
Würde er mich morgen umbringen?

Vielleicht sollte ich aber Mutter Bescheid sagen, dass Abigail nicht tot ist.
Ich würde es noch tun, aber jetzt wollte ich mich ausruhen.

Die Angelegenheit mit dem Ausruhen konnte ich vergessen, da ich Eleonore im Zimmer auffand. Sie kauerte auf dem Boden und... hatte ein Taschentuch in der Hand?
Sie weinte.
Als sie mich bemerkte richtete sie sich schnell auf.
Ihre Augen und Nase war gerötet, das sah ich, obwohl sie meinen Blick mied.

"Ich hatte nur was im Auge.", sagte sie verschnupft.
"Auch was in der Nase?"
Sie schaute mich an und senkte genervt den Kopf. "Okay, ich habe geheult, zufrieden?"
"Nein, mich wundert es. Ich wusste gar nicht, dass du sowas wie ein Herz besitzt."

Ich zog, wie der Arzt befahl, mein Hemd aus und Eleonore reagierte auf meinen blutigen, demolierten Rücken mit einem "Oh mein Gott!"

"Du hast also ein Herz!", sagte ich.

"Wer war das?"

"Mein Vater. Naja, ein paar Wachen aber im Auftrag meines Vaters."

Sie ging einen Schritt zurück und sah plötzlich zehn Jahre älter aus. Mit der Hand vor dem Mund, wirkte sie total bestürzt.

"Ist es meinetwegen?"

"Ja, irgendwie schon. Dank dir haben wir ja die ganze Krise."

Jetzt vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen und ihre Schultern bebten.
"Ich bereue es so!", sagte sie. Dann schaute sie mich an, die Tränen strömten über ihre Wangen und sie schluchzte. "Abigail ist gestorben. Das Dienstmädchen Amanda ist meinetwegen gestorben. Du wurdest ausgepeitscht. Ich wünschte ich wäre nie zurück gekommen."

War das ihr ernst? Oder wieder nur einer ihrer blöden Maschen?

Aber sie sah sehr ehrlich aus.
Ich kannte sie eigentlich ziemlich gut. Und ich sah ihr immer an, wenn sie lügt, zum Beispiel wenn sie mir bezeugte mich zu lieben, aber ich wusste dass sie log.
Und jetzt meinte sie es ernst.

Ich seufzte. "Du hast es uns nicht leicht gemacht. Von dem Moment als du gegangen bist."
"Als ich gegangen bin? Schon als wir uns das erste Mal gesehen haben!"

"Jetzt übertreib bitte nicht, Drama- Queen." Dieses Drama Queen hatte ich von Abigail aufgefasst. Ich weiß gar nicht mehr, wann sie es gesagt hat, aber ich fand es ziemlich lustig. Und es betraf vollkommen auf Eleonore zu.

"Zwei Tote! Auf meine Kosten!", sagte sie. "Ich dachte, ich wäre glücklich wenn Abigail stirbt, ich war so eifersüchtig wie noch nie in meinem Leben! Ich kenne es gar nicht neidisch zu sein! Aber sie hat dein Herz erobert. Sie war so selbstbewusst, so stark, so humorvoll, aber trotzdem nett zu allen Dienstleuten." Sie hielt inne. "Ich habe sie töten lassen. Und jetzt fühle ich mich wie ein Monster."

Ich war froh, dass sie diese Erkenntnis gemacht hat. Jetzt war es nicht mehr zu Tausend Prozent unerträglich mit ihr, sie hat endlich eingesehen, dass sie einen großen Fehler gemacht hat.
Und endlich, dass es nicht immer nur um sie ging.

Abe trotzdem würde ich ihr nicht sagen, dass Abigail am Leben war. Sobald sie das dann Vater sagen würde, ist Abigail wirklich tot. Und ich wollte es nicht riskieren. Eleonore hatte ja oft Stimmungsschwankungen. Wenn sie wüsste dass Abigail lebt, wäre sie bestimmt wieder eifersüchtig.

Nur Mutter würde ich die Information geben, da sie Abigail wirklich aus dem ganzen Herzen mochte. Beziehungsweise mag.

"Paul?" Eleonore schaute auf und wischte sich die Tränen weg. "Meine Eltern werden sterben, oder?"

"Ich weiß es nicht.", antwortete ich ihr wahrheitsgemäß.

"Sie liegen im Koma!", sagte sie und fing wieder an zu weinen. "Meine Eltern!"

"Karma?", murmelte ich eher zu mir selbst, als zu ihr.

Sie legte sich auf den Bauch und heulte auf ihr Kissen. Das Weinen kam nur gedämpft, trotzdem konnte ich es kaum ertragen. Ich mag es nicht wenn Leute weinen, das zieht einen so runter.

"Kannst du mich alleine lassen?", fragte sie.

Ich seufzte. "Ja." Dann ging ich in das Ankleidezimmer von ihr, was direkt an unserem Zimmer grenzte. Ich schloss die Tür hinter mir und schaute mich um.

Was ist wenn ich ihr die Wahrheit sage?
Gut, sie zeigte im Moment Reue, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie mit der Information umgehen würde.
Aber ich tendierte eher dazu, dass sie es Vater sagen würde. Oder mich damit erpresste.

Also war es nicht die Mühe wert, sie zu fragen, ob sie wieder gehen möchte und Abigail dafür den Platz einnimmt.
Gott, es bereitete mir so Kopfschmerzen darüber nach zu denken. Mein Blick schweifte durch den Raum und an einer Kleiderpuppe hing das Kleid, welches Abigail an ihrem ersten Tag hier anhatte. Sie war so unfassbar schön und so selbstbewusst.
Aber Eleonore beauftragte ja die neue Zofe, alle Kleider die Abigail anhatte, zu beseitigen.
Mann, den Dienstleuten erwartete dann sehr viel Arbeit, da sie sehr viele neue Kleider anfertigen mussten.

Ich seufzte.
Wo war Abigail jetzt?
Ich hoffte auf der Farm von Dave. Und ich hoffte in Sicherheit.
Sie war aber bei Curtis, deswegen machte ich mir eigentlich keine Sorgen um ihr Wohlergehen, Curtis würde sich gut um sie kümmern.

Als wäre sie seine Geliebte.
War es das also?
Ich musste bis zum Lebensende mit Eleonore zusammen bleiben, Nachwuchs erzeugen, und Abigail und Curtis wohnen mit Dave auf der Farm.
Ende gut alles gut.

Ich hörte Eleonore wieder tief schluchzen.
Und irgendwie war mir dem gleichen zumute, da ich an meine trostlose Zukunft ohne Abigail nach dachte.

Am liebsten hätte ich sie hier bei mir, oder würde Wege suchen, um sie zurück zu bekommen.
Jedoch war das Risiko das man sie dann tötete zu hoch.
Und ich ersehnte mich an nichts so sehr, als dass es Abigail gut geht.
Dafür müsste ich meine Bedürfnisse aber einstecken.

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Hallo zusammen!

Vielen Dank für die letzten Kommentare alle über das mögliche Ende der Geschichte, ich konnte nur knapp antworten, weil ich nichts verraten wollte. Ein paar Sachen wurden gut vorhergesehen, aber die Haupthandlung ist komplett anders :D
Also wird es sehr unerwartet, denke ich :)

Leider muss ich zugeben, dass das Ende sehr, wirklich sehr nahe ist.
Kann es nicht genau einschätzen, aber es sind nur noch wenige Kapitel wenn es hoch kommt. (Bin jetzt schon voll sad irgendwie!)

Liebe Grüße meine Freunde ❤️

Lady Ghetto Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt