Kapitel 12

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Wir unterhielten uns nicht richtig. Wir wanderten nur von Raum zu Raum, er kommentierte sie kurz und wir grüßten gelegentlich ein paar Leute.
Es wäre fast langweilig geworden, aber es war einfach zu schön hier, um gelangweilt zu werden.
"Jetzt hast du das Wichtigste gesehen.", sagte er dann, nach dem er mir eines der Ballsäle gezeigt hat.
"Hmm-hmm." Daraufhin stellte er sich vor mir und schaute mich nur an.
"Was kann ich tun, damit du nichts meinem Vater sagst? Du weißt schon, dass ich den Seitensprung gemacht hab." Das schien selbst Mr. Arrogant peinlich zu sein.
Jeder Wunsch stand mir frei? Ich wollte raus hier, aber das könnte er sicherlich nicht ermöglichen. Ich wollte unbedingt eine Musik Anlage mit cooler Musik, oder ein Schlagzeug, oder Hosen.
Aber da kam mir eine viel bessere Idee.
"Ich hab' einen Wunsch. Ich brauche Geld."
Er schaute mich verwirrt an. "Wieso brauchst du Geld, wenn du hier alles hast, was du willst?"
"Nicht für mich."
Er rollte genervt die Augen. "Wenn das irgendeine illegale Sache von New York ist, kannst du es sofort vergessen."
"Nein, ist es nicht. Ich brauche Geld für eine Freundin, die kranke Eltern hat."
"Wie viel?"
"Keine Ahnung. Ist Geld das Problem?"
"Nein, ich will wissen wie viel ich jetzt gleich abheben muss."
Ich überlegte. Das hatte mir Mona leider nicht gesagt, aber ich würde mich erkunden. Sie hatte nur erwähnt, dass ihre Eltern krank sind und sie deswegen hier schuftet.
"Ich sag's dir ein anderes Mal, ich weiß es nämlich nicht."
"Okay. Ich zeige dir noch kurz das Außengelände und dann hört diese Rundführung hier auf."
"Ahh damit du dir dein nächstes Opfer suchen kannst, mit der du schläfst?"
"Erwähn das nicht. Sobald ich dir das Geld gegeben hab, will ich, dass du das vergisst."
"Deal."
"Kann man mit dir überhaupt dealen?"
"Ja, na klar. Ich bin fair."
Er murmelte irgendwas Unverständliches. Es würde mir etwas schaden, da Mona hier nur arbeitete um ihren Eltern Geld zu schicken. Wenn sie es hatte, hielt sie nichts mehr hier fest und wir hätten keinen Kontakt mehr. Und sie ist die einzige Person, mit der ich mich verstand. Es wäre sehr traurig, wenn sie geht.
Uns wurden dann von Wachmännern die riesigen Türen nach draußen geöffnet. Als wir die Treppen runtergingen, half Paul mir mit dem Kleid und hielt mich um meine Hüfte fest. Und das nur, weil ein paar Männer in Anzug und Schlips vorbeigingen.
"Guten Tag, Eure Majestät, guten Tag Lady Eleonore."
Wir antworteten und dann verschränkte Paul seine Hand in meine.
"Was haben Sie an diesem wunderschönen Tag vor?", fragte einer der Männer.
"Wir wollen etwas spazieren. Und die Pferde reiten."
What? Also vom letzten Teil habe ich nichts mitbekommen, aber irgendwie verlockte mich der Gedanke.
"Na dann viel Spaß."
"Danke. Den werden ich und meine Schönste natürlich haben."
Er sah dabei so authentisch aus. Wie er meine Hand nahm und sich um mich kümmerte, als würde er mich wirklich lieben.
Aber das war nur Show, und deswegen durfte ich mir nichts darunter einbilden oder mich in etwas hineinsteigern.
"Reiten?", fragte ich ihn, als die Männer reingingen.
"Ja, das musst du auch lernen."
"Sorry, aber ich vertraue dir wenig."
"Wenn du vom Pferd fällst, ist das nicht meine Schuld, Schätzchen."
Und da war er wieder. Der eingebildete Paul, der alles kann.
Der Spaziergang fiel aus und wir gingen direkt zum Stall. Die Pferde waren allesamt- was für eine Überraschung! - mega schön. Es war so erfrischend Paul mal nicht arrogant zu sehen, und wie er sich um jemanden kümmerte. Und das auch so meinte.
Als hätte er mich komplett ausgeblendet, widmete er seine ganze Aufmerksamkeit auf das Pferd. Es müsste seins sein.
"Das ist Charles, ein irischer Vollblüter. Der ist schon sehr lange hier." Paul zog seinen Blazer aus und hing ihn auf. Dann nahm er sich einen Sattel und legte das auf den Rücken des Pferdes. Nach dem er irgendwelche Seile zusammenband, setzte er sich aufs Pferd und fing an zu reiten. Mir blieb nichts Anderes übrig, als ihm dabei zuzugucken. Er drehte eine Runde und kam dann wieder.
Als er abstieg, meinte er, dass ich jetzt dran bin.
"Nein. Kannst du vergessen."
"Sonst bist du doch die Mutige, die selbstbewusst ist."
"Das bin ich auch."
"Aber du hast Angst vor einem Pferd."
"Ich trage ein Kleid, Vollidiot."
"Das ist nicht das Problem." Er kam auf mich zu, nahm meine Hand und führte mich in den Stall. Dann öffnete er einen Schrank in dem mehrere Kleidungsstücke gefaltet aufeinander gestapelt wurden.
"Hier hast du eine Reiterhose, einen Helm, ein T-Shirt und Stiefel. Ich warte draußen, bis du dich umgezogen hast."
Hose? Ich freute mich riesig. Als er rausging schloss er die Tür hinter sich zu und ich beeilte mich aus dem Kleid zu schlüpfen und diese Kleidung hier zu tragen. Die sah natürlich mega schön aus, dafür brauchte ich nicht mal einen Spiegel um das festzustellen.
Dann wurde mir aber unbehaglich. Ich konnte nicht reiten. Was wäre, wenn ich mich voll hinmaulte und Paul mich auslacht?
Anderseits konnte ich jetzt unmöglich einen Rückzieher machen.
Also trat ich aus.
Paul wartete schon und kam mit dem Pferd zu mir.
"Du musst Charles erstmal kennen lernen."
"Okay. Hey, bro, was geht?", fragte ich ironisch.
"Mit streicheln.", erwiderte Paul. "Gut. Und jetzt kannst du dich erstmal auf ihm setzen. Es wird nichts passieren, ich halte die Zügel." Er hob diese Zügel hoch.
Okay, Abby, du schaffst das.
Und dann saß ich auf ihm und die Welt sah von oben irgendwie anders aus. Ohne es anzukündigen ging Paul mit Charles los und anfangs war es ein Schock.
Aber dann war es irgendwie ein schönes Gefühl, wie das Pferd losging.
"Super machst du das Charles.", sagte Paul. Wir gingen noch lange durch den wunderschönen Garten, mit den perfekt geschnittenen Hecken, den diversen, und bunten Blumen sowie den vielen Skulpturen, aus denen Wasser kam. Wir trafen ein paar Leute, und ich bemerkte, dass wir nun sehr weit weg gekommen sind.
"Zeit zum Rückkehren!", sagte Paul nun. Ich dachte er würde jetzt einfach nur drehen und dann den ganzen Weg wieder zurückkehren.
Aber er wartete, bis ich abstieg.
"Du reitest zurück und ich soll den Weg schön zu Fuß gehen? Ich könnte das noch nicht mal."
"Nein, ich habe nur wenig Lust wieder zu Fuß zu gehen, wenn Charles hier ist. Steig ab, dann steige ich auf und du hältst dich an mir fest."
"Ich traue dir nicht."
"Tja.", sagte er mit einem Schulterzucken. "Entweder du hältst dich an mir fest oder du gehst alleine."
Zweiteres wäre niemals möglich gewesen. Wir sind durch verschiedene Wege gekommen und durch dieses Labyrinth wollte ich nicht alleine. Also nahm ich die erste Option.
Als er dann oben saß, half er mir mit nur einen Griff hoch und ich bemerkte erneut wie stark er war. Das schlimme war ja dann noch, dass ich ihn freiwillig anfassen musste.
Und zwar richtig. Eine Umarmung von hinten, sodass ich seinen muskulösen Körper umschließen musste.
Während ich mir deswegen noch voll die Gedanken machte, galoppierte er in einem schnellen Tempo schon los, sodass mir nichts Anderes übrigblieb, als mich ganz fest an ihm festzuhalten. Meine Haare wehten im Wind und obwohl ich es nicht zugegeben wollte: es war ein schönes Erlebnis.
Und allerdings, wir kamen viel schneller an, als wir für die erste Strecke gebraucht haben.
Im Stall waren jetzt auch andere Leute, also würde Paul wieder äußerst nett sein. Er sprang als erstes ab und half mir dann runter.
"Hallo Eure Majestät und Lady Eleonore!", riefen die Dienstleute.
"Hallo.", antworteten Paul und ich im Chor. Und dann passierte etwas Unerwartetes.
Paul presste seine Lippen auf meine und küsste anschließend sanft meine Unterlippe. In mir kribbelte alles, denn das war unser erster richtiger Kuss.
Verdammt, er tat es nur, weil hier die Leute waren und wir wie ein verliebtes Ehepaar wirken sollten.
Als wir uns voneinander lösten, schauten wir uns in die Augen.
Und er sah so aus, als wäre dieser Kuss das natürlichste überhaupt.
Warum konnte er das so gut? Bestimmt hat er die Dame von eben auch so verwöhnt.
"Lady Eleonore!", rief ein Dienstbote und entriss mich von meinen Gedanken. "Sie werden von Elizabeth erwartet."
Och nö. Noch mehr langweiligen und total anstrengenden Unterricht.
"Bis später meine Hübsche.", sagte Paul lächelnd und küsste schon wieder vollkommen unerwartet meine Lippen.
"Bis später", antwortete ich nur.

Lady Ghetto Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt