Im Angesicht des Todes

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Hermines Sicht

Ich sitze, vor mich hin träumend, bei meinen Freunden. In der Zeit, in der ich weg war, sind Luna und Neville zu den Anderen gestoßen. Der Imbisswagen ist schon längst wieder verschwunden und inzwischen ist der Boden des Abteils übersät mit Verpackungen von Kürbispasteten, Schokofröschen, Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung, Lakritz Zauberstäben und vielem mehr. Doch das interessiert mich herzlich wenig. Ich muss die ganze Zeit, an die Versammlung der Vertrauensschüler und Schulsprecher denken. Schon allein der Gedanke ist suspekt. Hermine Granger und Draco Malfoy, das neue Schulsprecherpaar. Wie kam Prof. McGonagall nur auf die Idee, ausgerechnet diesen Slytherin zum Schulsprecher zu ernennen. Das ist ein verantwortungsvoller Job, den man nicht so einfach auf die leichte Schulter nehmen darf. Andererseits hat mir Malfoy vor der Versammlung und auch währenddessen, vor den Augen und Ohren aller Anderen, zu verstehen gegeben, dass er nie etwas mit Voldemort und seinen Zielen zu tun haben wollte. Habe ich ihn jahrelang grundlos verurteilt? Diese Frage lässt sich einfach nicht beantworten, egal wie sehr ich ihr auf den Grund gehe. Ich gestehe es mir ja nur ungern ein, aber ein gewisser Draco Malfoy ist mir ein riesiges Rätsel und das einzige, was ich weiß, ist, dass es nicht leicht zu knacken werden wird. Diese Tatsache bereitet mir jetzt schon Kopfschmerzen und sicherlich wird da noch viel mehr als eine kleine Migräne auf mich zukommen.

"Mine, willst du nicht langsam mal deinen Umhang anziehen? Wir müssten bald da sein.", rüttelt mich Harry aus meiner Trance wach. Er hat bis vor 10 Minuten noch seinen Kopf in Ginnys Schoß gebettet und seelenruhig geschlafen. Doch nun ist er wach und beäugt mich mit glitzernden Augen. Ich kann ihm seine Vorfreude richtig ansehen und nun überkommt mich auch schon wieder dieser Schwall von Glücksgefühlen. Ich verschiebe alle Gedanken an Malfoy in die hinterste Ecke meines Kopfes und konzentriere mich auf das, was nun vor uns liegt. 

"Hogwarts, wir kommen!", murmele ich halblaut vor mich hin, während ich meinen Umhang aus meinem Koffer ziehe. Gerade werfe ich ihn neben mich, um meinen Koffer wieder zu schließen, als ich plötzlich einen Schrei vernehme. Ich habe das Kleidungsstück vor Überschwänglichkeit direkt über einen Eulenkäfig geworfen und nun protestiert Rons Eule Pigwidgeon lautstark. Der Rothaarige stopft ihr mit einem Eulenkeks allerdings sofort den Schnabel und schon gibt sie Ruhe. Als ich das kleine Tier betrachte, muss ich an Krummbein denken. Erst durch ihn ist Ron an sein aufgewecktes, aber umso treueres Federpüschel gekommen. 

Zur Zeit ist mein rostroter Kater, gemeinsam mit meinen Eltern, in Australien. Auf der Jagd nach Horkruxen hätte ich mich schließlich kaum um ein Haustier kümmern können. Das beste Beispiel war Hedwig. Der Gedanke an diese treuen Geschöpfe und meine Eltern versetzt mir einen kleinen Freudendämpfer. Schnell schüttele ich meinen Kopf, um an etwas Schönes zu denken. Hogwarts. Nun liegt es direkt vor uns und endlich kann ich das ganze Schloss mit seinen unzähligen Zinnen und Türmen betrachten. Wir sind zu Hause. Der Hogwarts Express wird langsamer und kommt schließlich zum Stillstand. Ein Pfiff erklingt und als wir aus dem Zug steigen, werden wir in das Licht einer hüpfenden Laterne gehüllt, die weit über den Köpfen der Schüler schwebt. Hinzu gesellt sich eine tiefe, raue, aber bekannte Stimme: "Erstklässler zu mir. Erstklässler hierher!" 

Als uns der Halbriese Hagrid erkennt, strahlt er über beide Backen. Die Hälfte seines Gesichts ist von einem struppigen Bart verwuchert, aber seine Augen glänzen und geben einem sofort das Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Wenn man den Wildhüter erst einmal kennt, weiß man, dass er die Herzensgüte in Person ist. Er ist und bleibt eben unser Hagrid, ein Hagrid, ohne den Hogwarts einfach nicht Hogwarts wäre.

"Leute wollen wir mal rüber zu Hagr-" Ich breche ab. Gerade will ich die anderen fragen, ob wir eben kurz unseren gigantischen Freund begrüßen wollen. Doch als ich mich umdrehe, stockt mir der Atem. Ich sehe meine Freunde, aber die sind nicht allein. Neben ihnen steht eine Kutsche und ich kann meinen Augen kaum trauen. Vor die Kutsche sind zwei pferdeartige Wesen gespannt. Mit ihrer schwarzen, ledernen Haut, die über die sichtbar hervortretenden Knochen gespannt ist, ähneln sie Reptilien und eines der Wesen spannt soeben seine Flügel aus, die ebenfalls mit dünner Haut bespannt sind. Der Anblick jagt mir unweigerlich eine Gänsehaut über den ganzen Körper. "Thestrale", hauche ich, bevor ich langsam auf die Anderen zugehe. Auch sie starren wie gebannt auf die Wesen. 

Warum habe ich nicht daran gedacht? Natürlich, es war klar, dass wir sie sehen würden. In unserem fünften Schuljahr hat uns Hagrid in Pflege magischer Geschöpfe die 'zutiefst missverstandenen Tiere' vorgestellt. Damals wusste ich natürlich schon vor dieser Unterrichtsstunde alles über sie, ich habe schließlich so Einiges gelesen. Mann kann sie nur sehen, wenn man den Tod gesehen hat. Ohne ernsthaft darüber nachzudenken was ich da sagte, habe ich mir damals gewünscht, sie auch sehen zu können. Harry musste mich erst daran erinnern, warum ausgerechnet er sie sieht und ich habe mich sofort für meine Worte geschämt. Aber nun, da wir im Krieg so viele Menschen haben sterben sehen, war es kein Wunder, dass er, Luna und Neville nicht mehr die Einzigen unserer kleinen Gruppe sind, die die Thestrale sehen können. Immer noch völlig geschockt, reiße ich mich vom Anblick der zwei, mit den Hufen scharrenden, Pferdewesen los und steige mit den Anderen in die Kutsche. Das, von bronzenen Ebern flankierte, Tor ist eine Erlösung, denn trotz der Gewissheit, dass der unglückselige Ruf der Thestrale nur Aberglaube ist, sind mir diese Geschöpfe nicht ganz geheuer.

Eine Weile später, sitzen wir alle aufgeregt in der großen Halle von Hogwarts, in der wir auf ein paar bekannte Gesichter ehemaliger Schulkameraden treffen, die mit uns ihr letztes Schuljahr absolvieren werden. Nichts desto trotz, haben sich die Reihen der älteren Schüler eindeutig gelichtet, vor allem am Slytherintisch sind die Verluste deutlich zu verzeichnen. Nicht einmal die Hälfte sitzt an der langen grünen Tafel. Vermutlich sitzen die Meisten in Askaban ihre Strafe ab, da sie sich willentlich ins Kampfgetümmel zurück geschlichen haben, um ihren Eltern tatkräftig zur Seite zu stehen oder sie verzichten auf das letzte Schuljahr und versuchen stattdessen anderswo ihre Schuld zu begleichen und ihren guten Ruf wieder herzustellen. 

Nachdem der sprechende Hut, der soeben von Prof. McGonagall, zusammen mit einem dreibeinigen Hocker, herein gebracht wurde, sein Friedenslied beendet hat, werden viele kleine, vor Nervosität zitternde, Erstklässler auf die Häuser verteilt. Danach erhebt sich die Schulleiterin, Minerva hat Snapes Platz eingenommen, und spricht zu den Schülern. Mit würdevoller Miene, heißt sie alle herzlich willkommen und klärt uns über die Regeln auf. Die Quidditch- Auswahlspiele würden nächsten Samstag statt finden. Außerdem weißt sie uns darauf hin, dass alle Artikel aus 'Weasleys zauberhafte Zauberscherze' von Filch verboten wurden. Der alte, katzenvernarrte Squib ist also immer noch da, um seinen verbitterten Kleinkrieg gegen die Schüler fortzuführen. Kaum zu glauben. 

Auf die Worte "Haut rein", der alten Dame, entbrennt Beifall und schon ächzen die Tische unter der Last der vielen Speisen. Bevor ich meinen Teller belade, schaue ich noch einmal an die Decke über mir, die so verzaubert ist, das sie aussieht wie der Himmel draußen, unter dem hunderte leuchtende Kerzen schweben. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, wie sehr ich Hogwarts in Wirklichkeit vermisst habe.

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt