Gefühlschaos

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Hermines Sicht

"Muffliato", murmele ich schnell, bevor unser Geschrei, das zweifelsohne gleich eintreten wird, die wütende Mme Pince auf den Plan ruft. Und schon geht es los. Nach meiner Aktion gerade eben, habe ich aber auch nichts Anderes erwartet. Im Gegenteil, es hätte mich zutiefst verwundert, wenn er sie unkommentiert gelassen hätte.

"Sag mal spinnts du?! Für was war das denn gerade du-" "Sag es!", funkele ich ihn böse an und versuche gleichzeitig, mein Handgelenk seinem zangenartigen Griff zu entziehen. Doch er lässt nicht locker. "Nein und deswegen bin ich dir auch keine Rechenschaft schuldig. Diese Zeiten sind vorbei Granger. Sei froh, nimm es hin und lerne, damit zu leben. Nein, was ich wissen will ist, warum du mich aus heiterem Himmel schlägst?!" Ich höre die unterdrückte Wut in seiner Stimme. Sein Gesicht gleicht jedoch wie eh und je einer ausdruckslosen Maske. "Ist das dein scheiß Ernst, Malfoy? Du willst wissen, warum ich das getan habe? Selbst dich hätte ich nicht für so dumm gehalten.", spucke ich ihm verächtlich vor die, auf Hochglanz polierten, Lackschuhe. Sein Mund verzieht sich zu einem dünnen Strich und in seinen Augen tobt der graue Sturm. Ich sehe förmlich, wie seine Fassade, die er zwanghaft versucht, aufrecht zu erhalten, bröckelt.

"Na gut, ich werde es dir sagen. Ganz einfach Frettchen, wie kannst du es wagen, mich einfach festzuhalten und fast, fast zu- ach, ich könnte ausrasten!" "Sag es!" In mir entfacht ein Feuer, ein Feuer der Wut. Er traut sich doch tatsächlich, meine eigenen Worte gegen mich zu verwenden! Ich lache kurz hysterisch auf. 'Du hättest mich fast geküsst!' Nein, das würde eindeutig zu weit gehen. Ich kann doch nicht einfach sagen, er wollte mich küssen.

Als hätte er meine stürmischen Gedanken gelesen, sagt er, mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen: "Wäre es denn so schlimm gewesen?" Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern, aber die unverkennbare Gefahr ist deutlich heraus zu hören. "Entschuldige mal bitte, was stimmt denn bei dir nicht?! Du kannst doch nicht einfach so durch die Schule spazieren und irgendwelche Mädchen festhalten und gegen ihren Willen küssen! Vergnügen kannst du dich mit deiner Freundin Astoria!" Der Slytherin tritt noch näher an mich heran und beugt sich zu mir herunter. Von seiner belustigten Miene, ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen breitet sich nun Ernsthaftigkeit auf seinem Gesicht aus, als er ganz nah an meinem Ohr zu sprechen ansetzt: "Bist du dir denn ganz sicher, dass dieser Kuss gezwungen gewesen wäre? Hör doch auf Granger-" Die Art, wie er meinen Namen ausspricht, jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken. "Denkst du wirklich, ich hätte nicht gesehen, wie dein Körper auf mich reagiert?" Und mit diesen Worten läuft er langsam Schritt für Schritt rückwärts, bis er am Mittelgang angekommen ist. Dort dreht er sich auf dem Absatz um und ist sofort verschwunden.

Wie angewurzelt stehe ich hier, neben meinem Lieblingssofa in der Bibliothek, und kann mich nicht einen Millimeter von der Stelle rühren. Das ist nicht wirklich gerade passiert?! Wie peinlich kann eine Situation für einen einzelnen Menschen denn nur werden? Draco Malfoy, denkt, ich würde ihn gerne küssen! Zu meinem Bedauern, muss ich mir eingestehen, dass er damit sogar ziemlich genau ins Schwarze getroffen hat. Erst jetzt wird mir das gesamte Ausmaß der Situation bewusst. Draco Malfoy weiß, dass ich ihn fast geküsst hätte! Mit weichen Knien sinke ich auf die Couch zurück und reibe mir meine Schläfen. Das ist unmöglich, bitte sag mir irgendwer, dass das hier nicht wahr ist. Ich träume oder? 'Wach auf Hermine, wach auf!' Nichts geschieht. Fest kneife ich in meinen linken Arm. Autsch! Verdammt, es ist kein Traum. Jetzt ist alles vorbei. Wenn Malfoy weiß, dass ich etwas, was auch immer, von ihm möchte, wird er sich sonst wie cool und begehrenswert vorkommen. Ich meine sein Ego ist ja jetzt schon nicht gerade das Kleinste, aber sowas gibt dem dann doch noch den Rest. Abgesehen davon werde ich zum Gespött der ganzen Schule werden. Dieser Mistkerl prahlt doch bei jeder, sich bietenden, Gelegenheit damit, dass ihm die Mädchen scharenweise zu Füßen liegen, oder? Ja und jetzt kann er damit angeben, dass ihm auch noch die Kriegsheldin Hermine Granger verfallen ist. "Mist", fluche ich leise vor mich hin, aber selbst Flüche bringen in der magischen Welt nicht immer etwas.

Später am Tag fühle ich mich nicht wirklich besser. Im Gegenteil, meine Laune hat einen rekordwürdigen Tiefpunkt erreicht. Und das ist ja noch nicht einmal alles. Ich würde mich so gern jemandem anvertrauen, aber meine Freunde würden mir vermutlich allesamt einen Vogel zeigen und mich nicht mal mehr mit dem Arsch anschauen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich etwas für diesen Schleimbolzen empfinde. Ich kann es ihnen ja nicht einmal verübeln. Ich selbst hasse mich dafür, aber was will ich machen, ich kann meine Gefühle schließlich nicht steuern.

Etwas Gutes hat der Tag immerhin. Noch keine Menschenseele ist zu mir gekommen und hat mich wegen irgendwelchen Gerüchten über Malfoy und mich zur Rede gestellt. Das ist doch schonmal was, oder?

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt