Hermines Sicht
Munter quatschend gehe ich mit Ginny zum Frühstück. Die sonntägliche Wintersonne verströmt ihr weißes Licht über die Schulflure und je näher wir der großen Halle kommen, desto mehr steigt uns der Geruch von frischen Brötchen, Eiern mit Speck und Kaffee in die Nase. Wie auf Zuruf beginnen unsere Mägen zu knurren. Die Rothaarige und ich schauen uns nur grinsend an und legen dann einen Schritt zu. Sonntags muss man schnell sein, sonst sind die besten Sachen weg.
Als wir die Pforte erreichen, werfe ich einen kurzen Blick zum Slytherintisch hinüber. Doch Draco stochert nur apathisch in seinem Rührei herum und scheint in seiner eigenen Welt versunken zu sein. Bei genauerem Hinsehen fallen mir die dunklen Schatten unter seinen Augen und seine gräulich fahle Gesichtsfarbe auf. Je länger ich den Blonden ansehe, desto mehr Kleinigkeiten stechen mir ins Auge, die sein kränkliches Aussehen nur noch verstärken. In diesem Moment sieht er nicht viel besser, als in unserem sechsten Schuljahr aus. Doch diese dunklen Zeiten sind vorbei. Was sollte ihm dann also den Zauberstab verknotet haben?
Die Antwort auf meine Frage werde ich wohl erst nach dem Frühstück bekommen, da mich meine beste Freundin, deren Bauch langsam einem schnarchenden Bären Konkurrenz macht, zu Harry und Ron zieht, die bereits auf uns gewartet haben.
Dennoch wandert mein Blick immer wieder unruhig zu Draco. Seine Ausstrahlung schlägt mir schwer auf den Magen. Ich kann es einfach nicht ab, ihn in dieser Verfassung zu sehen und würde am liebsten sofort zu ihm rennen und ihn in den Arm nehmen. Merlin, das gäbe vielleicht einen Aufstand in der großen Halle. Nein, das kann ich, so leid und weh es mir tut, einfach nicht bringen. Zumal Ginny die Einzige ist, die von uns weiß.
Nicht einmal meine zwei besten Freunde wissen davon und das wird auch erstmal so bleiben. Gleich, wenn ich Harry zutraue, dass er seinen Schock, samt Vorurteile, nach geraumer Zeit überwinden würde, so weiß ich auch um Rons Jähzorn. Er würde es nicht verstehen und ich will das, gerade erst neu geknüpfte, Freundschaftsband zwischen uns nicht schon wieder zerreißen. Dafür war es zu mühsam, alle Maschen und Fäden aufzusammeln und sämtliche Löcher zu flicken.
Gerade als ich mir meine zweite Brötchenhälfte mit Butter bestreiche, ertönt ein lautes Kreischen und alle Blicke wandern in Richtung Decke. Dort kreisen die Posteulen über der vielköpfigen Schülerschar und halten Ausschau nach den Leuten, an die sie ihre Briefe und Päckchen zustellen müssen.
Gerade landen zwei große, graue Waldkäuze vor Harry und mir, je mit einer Rolle am Bein. Nachdem wir ihnen ihren Lohn, ein paar Knuts, und etwas Futter gegeben haben, erheben sie sich wieder in die Luft, nicht ohne Rons Kürbissaftglas, mit einem kräftigen Schwinger ihrer Flügel, umzuwerfen. Die orangene Flüssigkeit verteilt sich großflächig über die weiße Tischdecke und den Schoß von Ron, der fluchend aufsteht, sich eine Serviette vor bestimmte Regionen hält und grummelnd davonläuft, um sich umzuziehen.
Eigentlich ist mir zum Lachen zumute, doch das bleibt mir wie ein dicker Kloß in der Kehle hängen, weshalb nur ein ersticktes Röcheln meinen Lippen entweicht. Auch Harry starrt leichenblass auf seinen entrollten Tagespropheten, dessen Titelblatt von einem großen Bild völlig eingenommen wird. Mit einem Mal ändert sich die Temperatur in der Halle. Überall sind entsetzte Ausrufe oder Keucher zu hören. Allen voran die älteren Schüler schauen, mit finster zusammengekniffenen Augenbrauen auf ihre Morgenpost, wobei sie ihr Frühstück gänzlich vergessen zu haben scheinen. Nun beugt sich Ginny zu mir herüber und auch ihr entfährt ein leises Stöhnen.
Das Schwarzweiß-Bild sticht uns sofort ins Auge und lässt uns rot sehen. Abgebildet ist ein Mann, an die 50, mit langem, strähnigen, dreckig weißblonden Haar und dunklen Augenringen. Seine Handgelenke liegen in Ketten und er hält ein Schild mit seiner Gefängnis Nummer in die Kamera. Alles in allem blitzt der pure Wahnsinn aus seinen, in den Höhlen versunkenen, Augen und dieser Eindruck wird durch die verschlissene Sträflingskleidung, den Stiff Neck um seinen Hals, die Armschlinge und andere dreckig gelbliche Verbände nur noch verstärkt.
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Wie Licht und Schatten
FanfictionZwischen Leben und Tod zu schweben kann einem ganz schön an die Substanz gehen. Wie ist es wohl, ein Teilzeitgeist zu sein? Ob die Magie da noch etwas bewirken kann? Der kleine Sam reist mithilfe eines Zeitumkehrers in die Vergangenheit, um sein Le...