Klinische Tristheit

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Dracos Sicht

Etwas Nasses tropft auf meine Wange und ich ziehe meine Stirn kraus. Regnet es? Wie bin ich eigentlich nach draußen gelangt? Ich war doch eben noch in Verteidigung gegen die dunklen Künste und dann- Mein Arm! Kaum habe ich auch nur einen Gedanken an diese Misere verspielt, durchzuckt ein stechender Phantomschmerz, rein psychischer Ursache, meinen Körper.

Plötzlich hellwach, schlage ich meine Augen auf und blicke in das verheulte Gesicht meiner Mutter. Ihre Augen sind geschlossen, aber an ihrer Nasenspitze sammeln sich Tränen, die in kurzen Abständen auf mich niederprasseln. Erst jetzt spüre ich, dass meine Mum mit beiden Händen meine Rechte fest umschlossen hält. Mit leicht verstärktem Druck auf ihre Finger symbolisiere ich ihr, dass ich wach bin. Wie von der Tarantel gestochen, zuckt sie zusammen und schaut mich aus geröteten und verquollenen Augen an. 

Alles in allem wirkt Narzissa recht schäbig. Ihre weiße, ansonsten makellose Haut, wird von verlaufener Wimperntusche bedeckt. Ihr blondes, bereits mit unscheinbaren, grauen Strähnen durchzogenes, Haar wirkt matt und auch in ihren blauen Augen fehlt jegliches Zeichen des alten Glanzes. Schon zu Beginn des Krieges war die Frau vor mir nur ein Schatten ihrer selbst. Von dem Stolz auf ihre Abstammung und ihre Ehe war nichts mehr übrig und ohne ihre teuren Kleider hätte man sie sicher nicht für die Frau eines Milliardärs gehalten. Nach der großen Schlacht hat sich an Mutters Zustand nichts im Geringsten geändert. Im Gegenteil, die Trennung von Vater, der zu diesem Zeitpunkt in einer Zelle Askabans verwahrlost, ist ihr noch mehr an die Substanz gegangen und nun ähnelt sie vielmehr einem menschlichen Wrack. 

Erschreckenderweise besteht die Person, die mir immer Hoffnung gespendet hat, nur noch aus Haut und Knochen und die dunklen Schatten unter ihren Augen, erinnern an ihre verrückte Schwester Bellatrix Lestrange. Wie ich diese Frau hasse! Nie hat man ihr die Verwandtschaft zu meiner Mutter angesehen, doch in Narzissas jetzigem, leicht manisch wirkenden, Zustand ist das nicht mehr zu leugnen.

Ein Schluchzen verlässt ihre Kehle und sie sucht fahrig nach einem ihrer spitzenbesetzten Stofftaschentücher. Lange bleibt es jedoch nicht weiß, denn schon sammeln sich die Reste ihrer Schminke auf dem Tuch. "Drac-", will sie ansetzen, doch aus ihrem Mund kommt nur ein Krächzen, was man mit viel Fantasie, als meinen Namen identifizieren kann. Wieder öffnen sich ihre Lippen und trotz der kratzigen Note in ihrer Stimme, sind Mutters Worte nun deutlicher zu verstehen. 

"Draco Liebling, was, wieso hast du das getan? Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte schon, du würdest nicht wieder aufwachen. Tu mir das nie wieder an, hörst du?"

Etwas irritiert wende ich mich von der blonden Frau ab und betrachte meine Umgebung. Von überall, wo ich hinschaue, strahlt mir Weiß entgegen und ich werde förmlich von dieser Reinheit geblendet. Ich liege in einem sauberen, weichen Bett und in einem grauen Behältnis, auf einem kleinen Tischchen daneben, stehen allerlei Phiolen, die alle eine unterschiedlich farbige Flüssigkeit enthalten. Zwei hölzerne Türen führen in diesen Raum herein und auch wieder aus ihm hinaus. 

Aus diesen ganzen Eindrücken schließe ich, dass ich mich im St Mungo's befinde. Vorsichtig luge ich unter meine Bettdecke und sehe nichts. Mein linker Arm wird von einem, zum Rest des Zimmers passenden, Verband bedeckt. 

Fragend schaue ich meine Mum an. "Wie bin ich hier hergekommen? Und wie lange bin ich schon hier?" Immer noch kullern Tränen Narzissas Wange entlang, doch sie räuspert sich leicht und setzt zu einer Antwort an. 

"Fast fünf Tage. Die Schulleiterin hat dich auf einem Gang gefunden, nachdem du- jedenfalls, sie hat dich direkt hierher gebracht und mich informiert. Die Heiler haben ziemlich lange gebraucht, um deinen Arm wieder zu richten. Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast! Er war fast bis auf den Knochen verbrannt. Ein Wunder, dass du das überstanden hast! Nach deiner Behandlung wurde mir gesagt, dass du in ein künstliches Koma versetzt wurdest, wegen der Schmerzen. Ich bin die ganze Zeit nicht von deiner Seite gewichen. Wenn du nicht mehr aufgewacht wärst, hätte ich nicht gewusst, ob mein Leben es noch weiterhin wert ist, gelebt zu werden." 

Geschockt über diese Worte, richte ich mich ächzend auf und schaue mein Gegenüber an. Es herrscht Stille und ich brauche einen Moment, um das Gehörte zu verdauen. Selten hat sich meine Mutter mir so geöffnet und ihre letzte Andeutung bereitet mir große Sorgen. Zitternd ziehe ich sie in meine Arme und spende ihr etwas Liebe, die sie, Dank meines Vaters, der hauptsächlich damit beschäftigt war, sich diese weiße Schlange vom Hals zu halten, zu selten zu spüren bekommen hat. Nach einer gefühlten Ewigkeit lösen wir uns wieder voneinander, da soeben ein älterer Heiler meinen Raum betritt. 

"Ah, Mr Malfoy, wie ich sehe sind Sie wach. Wie geht es Ihnen?" und ohne auf meine Antwort zu warten, durchstöbert er das Gefäß mit den verschiedenen Tränken und fährt fort. "Hier, trinken Sie das. Durch Ihre Verletzung, haben Sie viel Blut verloren. Das ist ein blutbildender Trank, der wird Ihnen helfen. Den Schlaftrank haben wir heute Morgen abgesetzt. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mir jetzt gerne einmal Ihren Arm ansehen." 

Die Farbe entweicht meinem, sonst schon so blassen, Gesicht und langsam schüttele ich die Decke ab und strecke dem Mann meinen Verband entgegen. Dieser wird ziemlich schnell abgerollt und als mein Arm völlig entblößt ist, stockt mir der Atem und salzige Tränen lassen meinen Blick verschwimmen.

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt