Der Spiegel unserer Seelen

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Hermines Sicht

Oh ja, es war ein Fehler! Und was für einer! Aber was sollte ich tun? Seit gefühlten Stunden hält mich Draco im Bann seiner klaren, grauen Augen und egal wie sehr ich es versuche, ich komme nicht von ihnen los.

Naja, vielleicht will ich das auch gar nicht? Zugegeben, meine Bemühungen waren bis jetzt ziemlich schwach und ich weiß ganz genau, dass es mir gelingen würde, wegzuschauen, wenn ich meine ganze Willenskraft aufbringen würde. Aber warum sollte ich?!

Dieser Blick von Draco bringt mich fast um den Verstand! Auf eine positive Art und Weise, durchaus, aber er tut es. Und erst jetzt fällt mir auf, wie lange wir uns nicht mehr so intensiv angesehen haben. Generell hatten wir wenig Kontakt in den letzten Tagen, was mir schwer zu schaffen macht. 

Jetzt, mit Weihnachten im Rücken, merkt man erst so richtig, wie der Druck steigt. Ich meine, er war die ganze Zeit schon da, aber nicht so stark wie jetzt. Die Lehrer verlangen zur Zeit alles von uns ab und noch mehr. Es gibt kaum einen Nachmittag und Abend in der Woche, an dem nicht alle Siebtklässler im Gemeinschaftsraum oder in der Bibliothek hocken und Zauber üben, Aufsätze schreiben oder komplizierte Formeln und Zaubertrank-Zubereitungen büffeln, während ihnen die Fünftklässler, des ZAG-Jahrgangs Gesellschaft leisten.

Nicht selten kommt es vor, dass wir Siebtklässler den Fünftklässlern unter die Arme greifen und ihnen besonders schwierige Zauber oder andere Fakten erklären. So können wir unseren Wissensstand überprüfen und aufstocken und die Fünfer werden perfekt auf ihre Zauberergrade vorbereitet. Man könnte es sozusagen, als Symbiose bezeichnen. Einer hilft dem Anderen und umgekehrt.

In einer Sache kann mir jedoch keiner helfen. In meiner komplizierten Beziehung zu Draco. Natürlich hat auch er kaum noch Zeit, weshalb wir uns seit dem Gespräch mit Harry in den Kerkern nicht mehr wirklich unterhalten haben.

Gut, ich muss zugeben, richtig geredet haben wir zu diesem Zeitpunkt auch nicht. Ginny und ich haben den beiden Jungs eher bei ihrer hitzigen Diskussion zugesehen. Aber ich will mich nicht beklagen, denn er war bei mir. Er war in meiner Nähe und hat meinem Herz Wärme gespendet, ohne wirklich etwas zu tun. Doch so ist es immer in seiner Gegenwart.

Diese Wärme verschwindet seit jeher aber immer mehr und macht stattdessen einem unangenehmen Ziehen Platz, dass sich bis in meinen Magen ausbreitet, wenn ich an den blonden Slytherin denke, im Umkehrschluss aber weiß, dass ich nicht zu ihm kann.

Er fehlt mir. Ja, er fehlt mir sogar so sehr, dass ich mich teilweise nicht mal mehr richtig, beim Lernen, konzentrieren kann, was durch die, von den jüngeren Schülern, verhexten Schneebälle, die, in unregelmäßigen Abständen, an die Fenster klatschen, nicht gerade verbessert wird.

Der einzige Vorteil an dieser verfluchten Situation, ist die Tatsache, dass ich, durch den mangelnden Kontakt zu Malfoy, diese Greengrass-Kuh nicht so oft zu Gesicht bekomme. Grund dafür ist, dass sie sich immer noch vermehrt an Draco klammert und, nun ja, wenn ich ihn nicht sehe, sehe ich sie auch nicht. Ganz einfach und doch viel zu schwer. Zumindest für mein kleines Herz, das pumpt und pumpt und doch gelangt der Sauerstoff nicht über die fein gegliederte linke Herzkammer hinaus. Ich fühle mich leer, wie eine Hülle, der die Lebensessenz fehlt.

Es fühlt sich an, als wäre ich auf Entzug, oder zumindest denke ich, dass es sich so anfühlt. Malfoy ist meine Droge und sie fehlt schlicht und ergreifend. Stattdessen muss ich auch noch dabei zusehen, wie sich diese verdammte Grasdame an ihn ranschmeißt, sobald sie sieht, dass ich ihr auf dem Gang entgegen komme. An die gehässigen Blicke habe ich mich bereits gewöhnt. Ich bin alt genug. Über so etwas stehe ich drüber.

Doch der Blondschopf? Er tut nichts. Lässt es, wie immer, widerstandslos über sich ergehen. Es schmerzt, ihn mit ihr zu sehen. Aber warum tut es so verdammt weh, wenn ich doch nur noch eine leere Hülle bin?

Schmerz. Das ist so ziemlich genau das treffende Wort für mein tägliches Fristen auf dieser Erde. Und komischerweise ist es auch genau das, was aus Malfoys Augen blitzt, in die ich immer noch apathisch starre. Es ist nur ein kaum merklicher Schimmer, aber dennoch unverkennbar.

Von dem oberflächlichen und zwanglosen Rumgealber, vor ein paar Minuten, ist nichts mehr übrig. Keine Erfüllung durch seine Berührungen und keine Witze, die so schlecht sind, dass sie schon fast wieder lustig sind. Nein, jetzt gibt es nur ihn und mich und seine Augen.

Augen sind der Spiegel der Seele, sagt man. Und es ist wahr. Mit diesem einen Blickaustausch kann ich Dinge aus Draco lesen, als wäre er ein offenes Buch, nicht anders, als all die Lehrbücher, die ich täglich förmlich verschlinge.

Und komischerweise spiegeln sie nicht nur die Seele des jungen Mannes wieder. Nein, da ist noch etwas anderes. Ich. Denn diese Gefühlsregungen, die tief aus seinem Inneren sprechen, lassen sich eins zu eins auf mich übertragen.

Verlangen. Leidenschaft. Trauer. Schmerz. Leere. Unvollkommenheit.

Wenn Ron jetzt hier wäre, würde er fragen, wie es möglich ist, dass ein Mensch so viel auf einmal fühlen kann. Doch ich weiß, dass es möglich ist. Ich merke es jeden einzelnen Tag aufs Neue.

Man sollte eigentlich überquellen vor Emotionen und doch ist da ein Loch, das sich nicht stopfen lässt. Nicht mit guten Worten und auch nicht mit materiellen Dingen. Nicht, wenn einem seine zweite Hälfte fehlt.

Dumbledore würde mich verstehen. Er würde wissen, dass man dieses Loch mit nichts auf der Welt heilen kann und ich weiß es auch. Es gibt nur eins, das stärker ist, als diese Dunkelheit. Liebe.

Und Merlin, ja, ich liebe meinen Draco. Ich liebe ihn so sehr, dass nur ein Blick von ihm, meinen ganzen Körper in Flammen stehen lässt. Ein Feuer der Leidenschaft, das es schafft, die Dunkelheit und das Loch, durch seine Wärme und sein Licht, zu vertreiben. Mit einem einzigen Blick.

"Mr. Malfoy, können Sie mir bitte sagen, auf welches Ergebnis Sie in der dritten Spalte gekommen sind?", reißt uns Professor Vektors Stimme ganz plötzlich und unerwartet ins Hier und Jetzt zurück. 

Ich blinzele ein paar mal angestrengt, bevor ich mich rasch wieder drehe und emotionslos auf mein Pergament voller Zahlen starren, die in meinem Kopf umherwirbeln, aber keinen Sinn ergeben.

Noch kurz spüre ich Dracos Blick auf mir, bevor auch er sich abwendet und an die Tafel sieht. In gelassenem Tonfall stellt er seine Berechnungen vor, als wäre nie etwas gewesen, und heimst obendrein noch 10 Punkte für sein Haus ein.

Wie kann er nur so cool bleiben, während er mich so schnell aus der Fassung bringt, indem er nichts weiter tut, als mich anzustarren?!

Diese Frage mischt sich für den Rest der Stunde, der quälend langsam zu vergehen scheint, unter all die wirren Zahlen und geistert in irgendeiner Ecke meines Gehirns umher.

Dann, endlich, nach gefühlten Stunden, erlöst mich die laute Schulklingel und ich will mich gerade noch einmal an Draco wenden, um ihn zu fragen, ob er sich am Sonntag heimlich mit mir im Raum der Wünsche treffen möchte, aber als ich mich zur Seite drehe, ist sein Platz leer.

Doch, nein, nicht völlig leer. Denn auf seinem Stuhl liegt ein kleiner, sauber gefalteter Zettel, der meinen Namen trägt. Und auf einmal hellt sich meine Stimmung auf, denn es ist unverkennbar, von wem die Nachricht stammt.

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt