Der letzte Klagelaut

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Dracos Sicht

Jetzt ist es schon fast einen Monat her, seit meinem kleinen Zusammentreffen mit Granger in der Bibliothek. Jede Nacht quälen mich ihre Augen im Schlaf, die nicht einmal zwinkern wollen. Ich kann nicht sagen warum, aber immer mehr schleicht sich die böse Vorahnung in meinen Kopf, einem dunklen Zauber zu unterliegen. So ein Blödsinn, es gab nicht einmal den kleinsten Kontakt zu einem meiner Feinde, von Potter, Weasley und Granger mal ganz abgesehen, aber den würde ich so etwas auch nicht zutrauen. Nein, in dieser Hinsicht gibt es wirklich keinen Grund zur Sorge, da bin ich mir sicher. Aber warum, muss ich dann die ganze Zeit an dieses Mädchen denken, mit ihren braunen Locken, ihrer weichen Haut, ihren vollen Lippen und ihren Augen. Diese Augen.

Es ist nicht so, dass Astoria in meinem Leben nicht mehr präsent ist. Nein, ich verbringe genauso viel Zeit mit ihr, wie mit Blaise, wenn nicht sogar noch mehr. Doch bei jedem Treffen mit meiner Freundin spukt mir diese Gryffindor im Hinterkopf herum. Es ist wahrhaftig zum Verrücktwerden und ich könnte mir ununterbrochen, aufgrund dieser Tatsache, die Haare raufen. Was hat das denn überhaupt zu bedeuten. Ich hasse sie doch und ich liebe Astoria. Oder? Ist nicht allein schon dieTatsache, dass ich genau das hinterfrage, bedenkenswert?

"So Schüler, tretet näher, nur keine falsche Scheu. In der heutigen Stunde behandeln wir 'n wahres Prachtexemplar aus der Reihe der magischen Geschöpfe. Wer von eusch kann mir sagen, was das hier is?", murmelt Hagrid, der Wildhüter, durch seinen zotteligen Vollbart hindurch und schaut von oben auf uns herab. 

Vor dem Krieg hatte, nach der fünften Klasse, keiner mehr das Bedürfnis dieses Fach weiter zu belegen und so haben es ausnahmslos alle abgewählt. Zu meinem allergrößten Erstaunen sogar das goldene Trio. Naja, sollte mich eigentlich nicht groß wundern. Dieser Unterricht war nichts weiter als lachhaft und diesen Unfall mit dem wildgewordenen Hippogreif im dritten Schuljahr werde ich diesem Riesentrottel nie verzeihen. Nach der Schlacht war es jedoch eine willkommene Ablenkung von den grauenhaften Bildern des Kampfes in unseren Köpfen und so hat sich der größte Teil des Jahrgangs wieder für das Fach entschieden. Warum habe ich das gleich noch mal gemacht?! 

Der Halbriese deutet nun mit einer mülleimerdeckelgroßen Hand auf einen mickrigen Vogel. So ein Idiot, dieser Mann. Denkt der wirklich, wir würden uns für so ein zerzaustes Federvieh interessieren? Natürlich, ich stöhne leise auf, da gibt es jemanden, der sich ganz offensichtlich für dieses Geschöpf interessiert. Wie konnte ich das nur vergessen. Kaum hat Hagrid seine Frage fertig gestellt, schnellt auch schon Grangers geübter Arm in die Luft. Es fehlt wirklich nur noch, dass sie wie ein Flummi auf und ab hüpft, denke ich mir und kann gerade noch so einen Lacher unterdrücken. 'Reiß dich gefälligst zusammen Draco!' Doch weiter kann ich mich nicht innerlich zurechtweisen, denn schon erklingt ihre besserwisserische Stimme und rattert gefühlt den gesamten Inhalt von 'Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind', ein Buch von Newt Scamander, herunter und das, ohne Luft zu holen.

"Das ist ein Jobberknoll. Er kommt vor allem in Nordeuropa und Amerika vor und ernährt sich ausschließlich von Insekten. Wegen seiner unscheinbaren Größe, fällt er nur wenigen Zauberern und Hexen auf, die zufällig an ihm vorbeilaufen. Dazu kommt, dass er, bis kurz vor seinem Tod, keinen Laut von sich gibt. Erst wenn er im Sterben liegt, lässt er einen langgezogenen Schrei erklingen, der alle Geräusche, die er je aufgeschnappt hat, detailgetreu und in umgekehrter Reihenfolge wiedergibt. Dieses Erinnerungsvermögen verdankt er seinen Federn, die ,wegen eben dieser Besonderheit, häufig als Zutat für Wahrheitselixiere und Gedächtnistränke verwendet werden." Damit schließt sie ihre Erklärung und wartet gespannt auf Hagrids Reaktion, die nicht lange auf sich warten lässt. 

"20 Punkte für Gryffindor. Ich hätt's nisch besser ausdrücken können." Natürlich nicht, du kannst ja auch kaum drei zusammenhängende Sätze bilden. Ich verdrehe innerlich die Augen. Jetzt meldet sich Dean Thomas zu Wort: "Es sieht aber nicht so aus, als ob der Vogel noch lange stumm bleibt. Er sieht ziemlich mitgenommen aus, meinen Sie nicht?" Auch mir fallen nun die etlichen grauen Stellen in seinem blau- gesprenkelten Federkleid auf. An einer Stelle schaut sogar die nackte, rosafarbene Haut heraus, die dem Vieh das Aussehen eines gerupften Huhns verleiht. "Das is wahr. Der hat seine besten Tage schon hinter sich und is nisch mehr der Jüngste. Ihr könnt ihn aber mit Insekten füttern. Dort drüben liegen welche, in der grünen Schale da. Die sollten ihm schmecken.", wendet sich der Wildhüter nun an alle. 

Jetzt kann ich mich nicht mehr bremsen. "Was für eine Zeitverschwendung, Thomas hat Recht, das Ding lebt doch sowieso nicht mehr lange." Ich sehe, wie sich drei, allzu bekannte, Gryffindors wutentbrannt zu mir umdrehen und mich aus, zu Schlitzen verengten, Augen anfunkeln. So nach dem Motto: Wenn Blicke töten könnten. Doch Granger ist die Schnellste. "Halt den Mund Malfoy! Niemanden interessiert, was du-" Doch weiter kommt sie nicht, denn der kleine Vogel öffnet seinen Schnabel und lässt einen langen Schrei erklingen, der allen durch Mark und Bein fährt. "Oh nein!" haucht die Gryffindor. Doch ihre geflüsterten Worte gehen in einer Reihe der unterschiedlichsten Laute unter und einzig und allein an ihren Lippen, kann ich ablesen, was sie sagt. 

Zuerst höre ich die Stimmen von Granger, mir, Thomas und Hagrid, dann das Heulen des Windes, dicht gefolgt von Motorengeräuschen. Ein Zwitschern erfüllt die Luft, das von den verschiedensten Geräuschen anderer Tierwesen unterdrückt wird. Zwischendrin sind immer wieder abgerissene Wortfetzen fremder Personen zu vernehmen und ganz zum Schluss erklingt ein Geräusch, das dem Brechen einer dicken Eierschale ähnelt. Danach herrscht Funkstille und nur noch ein Schluchzen von Parvati Patil ist zu hören, die wie versteinert auf den kleinen Körper des toten Vogels hinabschaut. Ich kann nicht leugnen, dass der Schrei des Jobberknolls etwas in mir ausgelöst hat und auch kann ich mich nur widerwillig von seinem Anblick losreisen. Im Tod sieht er noch kleiner und gebrechlicher aus, als vorher. 

Nun, damit ist die Stunde wohl eher beendet, als gedacht.

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Die ganzen Angaben über den Jobberknoll habe ich von der Internetseite 'Harry Potter Wiki'. Da stehen teilweise echt interessante Sachen drin. Ich habe sie aber umgeschrieben.

Wundert euch bitte auch nicht über Hagrids Aussprache. Die Wörter sind bewusst an seinen Stil angepasst ;)

Liebe Grüße, eure Chiara ;)

Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt