Hätte ich doch bloß nichts gesagt

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Hermines Sicht

Warum war er nicht beim Frühstück? Wo ist er überhaupt? Ich habe ihn seit gestern morgen, in der großen Halle nicht mehr gesehen? Sollte ich mir Sorgen machen? Nein, es ist Samstag und wahrscheinlich schläft er einfach nur länger oder er hatte keinen Hunger. Kann ja schließlich mal vorkommen, oder nicht?

So, wie eigentlich fast immer, sitze ich in der Bibliothek und lerne. Ich frage mich, warum mich Mme Pince noch nicht gefragt hat, ob ich hier einziehen möchte, so oft, wie ich hier bin. Obwohl, ehe die mal einen Witz macht, heiratet sie Filch. Wobei, das wäre ja dann nicht mal so abwegig. Ich schmunzele in mich hinein. Wie oft ich schon mit Harry darüber philosophiert habe, ob aus den beiden mal ein Paar wird. 

Was ist denn heute eigentlich mit mir los? Das bin doch nicht ich. Die frühere Hermine hätte sich nie von einem Jungen oder irgendwelchen anderen, und vor allem äußerst nichtigen, Dingen ablenken lassen. Seit Beginn des Schuljahres habe ich bereits gemerkt, dass meine Konzentration nachgelassen hat. Glücklicherweise leiden meine Noten nur kaum merklich darunter, aber wenn ich mein schulisches Level halten möchte, sollte ich mich wohl besser mehr anstrengen. 

Trotzdem, für heute muss ich erstmal aufhören, selbst, wenn das so gar nicht typisch für mich ist, aber wenn ich hier noch weiter sitze, bekomme ich eher eine Blockade, als dass es zu Erfolgen führt. Etwas mürrisch mache ich mich also auf den Weg zu Hagrid. Ihn habe ich ewig nicht mehr gesehen und da Harry und Ron Quidditch-Training haben, gehe ich allein. Auf dem Weg schnappe ich immer wieder Gesprächsfetzen von vorbeilaufenden Schülern auf, die mich hellhörig werden lassen. 

"Ja, sein Arm, hast du gehört?" "Völlig verdient, wenn du mich fragst..." "... komplett ausgerastet." "Liegt jetzt im St Mungo's" "Ehe der wieder rauskommt, ist Weihnachten vorbei" "... komplett verrückt...".

Merkwürdig, über wen reden die wohl? Wer ist im Mungo's und verrückt? Dass ich mal was nicht weiß. Naja, vielleicht kann der Wildhüter mir ja sagen, was auf einmal so wichtig ist, dass es im ganzen Schloss die Runde macht. Schon von weitem sehe ich den Halbriesen vor seiner Hütte sitzen und Fang, der zum Takt von Hagrids Panflöte herumtollt. Ich winke und Hagrid grüßt mich zurück. Als der Saurüde auf mich aufmerksam wird, kann er sich kaum noch bremsen. Speichelfäden hinter sich herziehend, kommt er auf mich zugesprungen und grüßt mich auf seine Weise, indem er seine Vorderpfoten auf meine Schultern legt. 

"Hey, bei Fuß Fang, du..." Doch der Rest des Satzes verliert sich im Bart des großen Mannes, der mich, als die große Dogge von mir ablässt, in eine knochenbrecherische Umarmung zieht. "Hagrid, du erdrückst mich!", kann ich gerade noch so hervorpressen und zum Glück löst er sich, mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck, von mir. "Tut mir leid Hermine, ich habe mich bloß so gefreut, dich mal wieder zu sehen. Wo sind Harry und Ron? Quidditch?" "Richtig, Jungs und Quidditch.", sage ich und verdrehe die Augen. Mein Riesenfreund lacht schallend, was seinen umfangreichen Bauch gehörig vibrieren lässt. Dann lädt er mich zu einer Tasse Tee ein und ich folge ihm, gemeinsam mit Fang, in die kleine Hütte. 

"Keks?", fragt er mich, doch ich lehne dankend ab. Hagrids Felsenkekse habe ich nur zu gut in Erinnerung. Ich setze mich und verschwinde daraufhin fast in dem riesigen Sessel. Manches ändert sich eben nie. "Ach Hermine, wie du so da sitzt, fühlt es sich an, als wäre es erst gestern gewesen, wo du mich mit den zwei Jungs das erste Mal besuchen gekommen bist. Das ist so verrückt." Wieder lächle ich, doch der Ausdruck 'verrückt' rührt an etwas in meinem Gedächtnis. Ach ja, die Gerüchte! "Sag mal Hagrid, weißt du, worüber im Schloss geredet wird? Ich habe vorhin, als ich aus der Bibliothek gekommen bin, irgendetwas aufgeschnappt, von wegen St Mungo's oder so." 

Mein Gegenüber mustert mich und, einzig und allein, an seinen schwarzen Käferaugen kann ich erkennen, dass er schmunzelt. "Sag bloß, du hast es noch nicht gehört?! Dass ich diesen Tag mal erlebe!" Doch sofort verdüstert sich seine Miene. "Malfoy wurde gestern ins Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen gebracht. Professor McGonagall hat mir gestern Abend erzählt, dass Professor Pugna ihn aus dem Unterricht verwiesen hat, warum weiß ich auch nicht, und daraufhin ist es mit ihm durchgegangen und er hat versucht, sich sein dunkles Mal weg zu brennen. Kannst du dir das vorstellen? Wie verzweifelt muss man denn sein, um sowas zu tun?" Entgeistert starre ich den bärtigen Mann an und meine Kehle schnürt sich schmerzhaft zusammen. Fiebrig taste ich mit meinen steifen Fingern nach meinem Hals und ringe nach Atem, aber es bringt nichts. Ohne Vorwarnung wird mir schwarz vor Augen und ich falle in Ohnmacht.

Etwas Struppiges kitzelt mich im Gesicht und ich öffne blinzelnd meine Augen. Einen Moment lang bin ich völlig orientierungslos und das Licht blendet mich. Dann erkenne ich Hagrid, der sich über mich beugt und mich, besorgt von oben bis unten, mustert. "Alles ok Hermine? Geht's wieder?" "Wa- was ist passiert?", stammele ich und reibe mir über meine pochende Schläfe. "Du bist ohnmächtig geworden, als ich dir von dem Malfoy-Jungen erzählt habe." 

Jetzt erinnere ich mich wieder. Panik durchflutet meinen Körper und zerrt an jedem einzelnen Nerv. Wie es ihm wohl geht? Warum hat er das gemacht? Wird er durchkommen? Das bringt doch alles nichts! "Hagrid, warum- sag- wie- kann man ihn besuchen- was?" Nur zusammenhangslose Wörter sprudeln hysterisch aus meinem Mund, aber der Wildhüter versteht mich trotzdem. "Hör zu, erstmal musst du dich beruhigen. So hilfst du weder Malfoy, noch dir oder sonst jemandem. Überhaupt, seit wann sorgst du dich so um diesen Blondschopf?" 

"Ach egal, es ist nur, er ist ja mit mir zusammen Schulsprecher und ja, weißt du..." Von oben schaut mich ein, wissend dreinschauendes, Gesicht an. Dieser Ausdruck gefällt mir ganz und gar nicht. "Hermine, du kannst mir nicht erzählen, dass du so panisch reagierst, weil er ein Schulsprecher ist. Du stehst doch nicht etwa auf diesen Typen, oder?" Nun ziert ein leicht vorwurfsvoller Blick sein, halb verwuchertes, Gesicht und vorerst traue ich mich nicht, auch nur ein Wort zu sagen, aber das hilft mir ja trotzdem nicht aus dieser Bredouille. 

"Nein, natürlich nicht, also ich meine, vielleicht ein ganz kleines bisschen, na gut, ja, ich habe mich in Malfoy verliebt, zufrieden? Nun lach schon!" Doch Hagrid lacht nicht, sondern sieht mich nur weiterhin, mit wissendem Ausdruck in den Augen, an. Schließlich ergreift er das Wort. "Ich werde nicht lachen Hermine. McGonagall hat mich bereits Anfang des Schuljahres davon unterrichtet, dass der Bengel sich geändert hat und du verbringst wahrscheinlich mehr Zeit mit ihm, als ich. Wenn ich also der Schulleiterin schon nicht geglaubt hätte, so würde ich wenigstens jetzt auf dein Einschätzungsvermögen vertrauen. So eine schlaue Hexe wie dich findet man nirgends sonst in Hogwarts und du wirst schon deine Gründe dafür haben, ausgerechnet Malfoy dein Herz zu schenken. Ich muss zwar trotzdem zugeben, dass mir Ron besser gefallen hätte, aber das tut hier nichts zur Sache." 

"Mit Ron läuft es zur Zeit eh überhaupt nicht gut. Wir streiten uns nur, aber seit kurzem nicht mal mehr das. Da ist völlige Funkstille zwischen uns. Er hat unsere Trennung nicht verkraftet und ich glaube er ahnt, dass da etwas zwischen Draco und mir läuft-" "Moment mal, 'Draco' und da läuft schon was?", unterbricht er mich unverblümt. "Scht, Hagrid, bitte. Wehe du erzählst es Harry, Ron oder sonst irgendwem. Das wäre ja ein schönes Desaster!"

 Nun wird mir ganz schön flau in der Magengegend. Was ist bloß in mich gefahren, dem Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe von meinen Gefühlen zu diesem Slytherin zu erzählen? Oh Mann, das kann ja heiter werden. "Jaja, jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Ich würde doch niemandem weitererzählen, was du mir anvertraust!" "Versprich es!", will ich ganz sicher gehen. "Versprochen, ich schwöre!" 

Naja, meine Hand würde ich für dieses Versprechen nicht ins Feuer legen. Der Halbriese hat sich schließlich schon so oft verplappert, allein wenn ich an unser erstes Schuljahr denke. Ob das gut geht?

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt