Unbekannt
"Verdammt!" Ich fluche laut und meine Stimme hallt von den hohen Steinwänden wider. Soeben habe ich mir den Kopf an einem niedrigen Felsstück gestoßen und die Stelle pocht nun dumpf und schmerzhaft. Das wird eine Beule geben, ganz sicher. Dumme Höhle! Aber das war nun mal das erste und irgendwie auch einzige Versteck, das in Frage kam. Nichts desto trotz, bin ich froh, dass ich nur in der Nacht hierher zurückkehren muss, da es hier kaum auszuhalten ist. Der Stein ist kalt und klamm und es riecht modrig, einfach nur widerlich. Hogwarts ist da tagsüber eine willkommene Abwechslung. Jeden Morgen gehe ich getarnt den Berg hinab, geradewegs durch Hogsmeade in die Schule. Ins Dorf zu apparieren wäre zwar möglich, aber ich habe Angst, der Umhang könnte verrutschen. Am Tag ist das Risiko höher, jemand könnte meine Füße oder irgendein anderes Körperteil von mir entdecken. Vor wenigen Tagen habe ich begonnen, meinen Plan in die Tat umzusetzen und gestern Abend ließen sich die ersten Erfolge verzeichnen. Draco ist zu einfach zu steuern. Ich grinse höhnisch. Bald wird sie wieder mir gehören.
Schnellen Schrittes laufe ich auf dem kleinen Trampelpfad, hinunter ins Dorf und von dort aus hoch zur Schule. Mittlerweile kenne ich den Weg im Schlaf und so dauert es zum Glück nicht lange, bis ich die große Flügeltür erreicht habe. Da kommt gerade Granger mit einer Freundin die steinerne Treppe herunter. Ich beobachte sie und plötzlich dreht sie sich um und sieht direkt in meine Richtung. Mit pochendem Herzen drücke ich mich enger an die Wand, um mich im Schatten zu verstecken. Zum Glück hat sie mich nicht gesehen. Ich atme auf. Das hätte alles zunichte machen können. Dass ich die ganze Zeit unsichtbar bin, vergesse ich dabei komplett.
Erst nach einigen Minuten fällt mir ein, dass ich vor jeglichen Blicken geschützt bin und die näher kommenden Schritte zwingen mich sowieso, aus meinem Versteck hervorzutreten. Die Tatsache, dass man mich nicht sehen kann, bedeutet nicht, dass ich keinen Körper habe.
Um nicht aufzufallen, schlüpfe ich, vor den Slytherins, die gerade aus Richtung der Kerker kommen, in die große Halle. Zu meiner Überraschung ist auch Draco Malfoy unter den schwatzenden Schülern. Unauffällig folge ich ihm an seinen Platz an der langen Tafel. Gerade füllt sich der Kelch vor ihm mit Kürbissaft. Doch Draco, der, mit dem Kinn in die Hand gestützt, am Tisch sitzt, scheint das wenig zu interessieren. Das ist meine Chance, denke ich und suche in meinem Umhang nach dem kleinen Gegenstand, den ich vorhin gewissenhaft in eine meiner Taschen fallen lassen habe. Ha, gefunden. Wenn Draco wüsste!
Dracos Sicht
Schon wieder habe ich keinen Hunger, aber wenn ich nichts esse, würden Tori und Blaise Verdacht schöpfen. Ich nehme einen Schluck von meinem morgendlichen Kürbissaft und plötzlich fallen mir wieder die Bilder der Nachtwache von gestern ein. Ich bin ihr so nah gewesen, dass ich sie ohne Probleme hätte küssen können, wohlgemerkt schon zum zweiten Mal. Moment, was?! Bin ich noch ganz bei Trost? Die Granger küssen? Vielleicht sollte ich mich doch mal im St. Mungo's einer Gehirnwäsche unterziehen, denn ganz offensichtlich, stimmt etwas nicht mit mir. Andererseits muss ich mir zu meinen größten Bedenken eingestehen, dass ich gerne wissen würde, wie sich ihre Lippen anfühlen. Ok, das reicht. Schnell trinke ich meinen Saft und stopfe mir noch schnell ein Stück Toast in den Mund. Dann murmele ich meinen zwei Freunden etwas von 'Hausaufgaben' und 'wir sehen uns später' zu und verschwinde in Richtung Bibliothek. Ein interessantes Buch würde mich hoffentlich von dieser ganzen Misere ablenken. Im Malfoy Manor hilft das bei Problemen immerhin ziemlich gut.
Außer Atem komme ich vor der Bibliothek zum Stehen und betrete die heiligen Hallen der Ruhe und des Wissens. Sofort empfängt mich der bekannte Geruch von staubigen, teilweise jahrhundertealten Büchern. Genussvoll sauge ich den vertrauten Geruch ein und schließe für einen kurzen Moment meine Augen. Nach ein paar Sekunden laufe ich zielgerichtet am Pult von Irma Pince vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und suche nach einem Buch. In der dritten Reihe, in der ich nachschaue, finde ich ein kleines, in Leder gebundenes Büchlein über Zaubertränke. Der Einband ist schon sehr lädiert und die Seiten extrem abgegriffen, aber das haben gute Bücher nun mal so an sich. Also mache ich mich, samt Buch, auf den Weg in eine gemütliche Sitzecke, am Ende der Bibliothek. Ich habe sie erst vor Kurzem entdeckt, da sie ziemlich versteckt, hinter einem besonders großen Bücherregal, liegt, aber ich habe mich sofort wohl gefühlt und lese mittlerweile nur noch hier. In Hogwarts gibt es doch immer wieder Neues zu erforschen. Doch als ich das ruhige Plätzchen erreicht habe, muss ich feststellen, dass schon jemand vor mir die gleiche Idee hatte. Als ich mich gerade umdrehen will, um mir eine andere Leseecke zu suchen, hebt die Person auf dem kleinen, zerknautschten Sofa den Kopf und schaut mir direkt ins Gesicht. Da sind sie wieder, diese Augen. Unbewusst tragen mich meine Füße ein paar Schritte auf das Mädchen zu und kurz vor ihr bleibe ich schließlich stehen.
Gefühlt vergehen Minuten, bis einer von uns beiden den Blickkontakt unterbricht und sich rührt. Die Brünette erhebt sich und legt ihr Buch zur Seite. Vorsichtig, ganz langsam, kommt sie auf mich zu und bleibt einige Zentimeter von mir entfernt, wie angewurzelt stehen. Ihren Blick kann ich aus irgendeinem Grund nicht deuten. Dennoch bin ich immer noch völlig in ihren Schokoaugen versunken, als mich plötzlich- Klatsch - eine Backpfeife aus meinen Gedanken reißt. Autsch, die hat gesessen.
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Wie Licht und Schatten
FanfictionZwischen Leben und Tod zu schweben kann einem ganz schön an die Substanz gehen. Wie ist es wohl, ein Teilzeitgeist zu sein? Ob die Magie da noch etwas bewirken kann? Der kleine Sam reist mithilfe eines Zeitumkehrers in die Vergangenheit, um sein Le...