Getrennte Wege

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Hermines Sicht

"Hermine-" Seine Stimme ist nichts weiter als ein kratziges Flüstern. Ich erschaudere. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag spricht er mich so an und ich möchte einfach nur weg. Doch hier, in der kleinen Nische, ganz am Ende der Bibliothek, sitze ich in der Falle. Weglaufen ist jetzt unmöglich. "Was willst du? Ich-" "Scht" Er kommt noch näher, viel zu nah, und legt mir einen Finger auf die Lippen. Mein Körper zittert wie die Blätter eines Ginsterbusches, aber ich kann nichts dagegen tun. Was will er denn nur von mir? Er macht doch alles kaputt! Doch weiter komme ich nicht. Starr vor Schreck, realisiere ich, was mein Gegenüber vorhat. Schnell löse ich mich aus meiner Starre und presse eine Hand auf seinen Brustkorb, um zu verhindern, dass er die letzten Zentimeter auch noch überwindet. Soweit würde es nicht kommen, auf gar keinen Fall. 

"Ron, was soll das? Ich dachte, wir hätten das geklärt! Warum musst du alles wieder schlimmer machen?!" Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wir sind uns doch einig gewesen, dass eine Freundschaft besser für uns ist, als eine Beziehung. Doch nun sieht er mich flehend, aus großen Hundeaugen, an. "Hermine, gib mir noch eine allerletzte Chance, ich bitte dich! Ja, ich bin mir dessen bewusst, was ich im Zug gesagt habe, aber das war nicht wirklich ernst gemeint. Ich habe es nur gesagt, damit ich dich nicht gänzlich verliere. Du unternimmst so schon kaum noch was mit Harry und mir und als sich vorhin unsere Hände berührten, kam es einfach über mich. Du musst doch auch was gefühlt haben, gib es zu!" 

"Ronald, hör zu! Ja es stimmt, ich mache nicht mehr so viel mit euch wie früher, aber das ist noch lange kein Grund, die Liebe zu erzwingen. Ich empfinde einfach nichts für dich, sieh das doch bitte ein. Wenn du ganz ehrlich zu dir selbst bist, weißt du doch schon längst, dass das hier ein aussichtsloser Kampf ist. Warum gibst du nicht auf Ron? Gefühle kann man nicht erzwingen. Ich bin mir sicher, du wirst irgendwann die perfekte Frau für dich finden, aber ich bin es nicht und werde es auch nie sein. Du musst loslassen, bitte! Sonst verpasst du dein Glück und daran möchte ich nicht schuld sein. Du bist mein bester Freund, aber wenn du nicht aufhörst, verlierst du mich und die Chance auf jemand besseren." 

Unterbewusst weiß ich, dass diese Worte schon einen längeren Zeitraum in meinem Hinterkopf dümpelten und erst jetzt, wo ich mich von ihnen befreie, merke ich dass mir ein Stein vom Herzen fällt. Ron lässt von mir ab, als hätte ich ihm einen elektrischen Schlag verpasst, und nickt etwas traurig. "Ich denke, dann ist es besser, wenn wir erst einmal komplett Abstand voneinander nehmen. Ich kann das sonst nicht." Nun bin ich es, die zaghaft nickt. "Ich bin mir sicher, dass auch wieder andere Zeiten kommen werden, aber vermutlich hast du Recht. Im Moment ist es erstmal besser so." Daraufhin gehen wir schweigend getrennte Wege. Irgendetwas hat sich in diesem Moment geändert. Etwas, das nie wieder so sein wird wie jetzt. Doch manchmal muss man einfach ein neues Kapitel aufschlagen, um im Leben weiter zu kommen.

Zum Abendessen setze ich unseren Beschluss in die Tat um und nehme am anderen Ende des Gryffindortisches, weit entfernt von Ron, Platz. Der Hunger ist mir so ziemlich vergangen nach diesem Tag, aber ich zwinge mich trotzdem, eine kleine Mahlzeit zu mir zu nehmen. Drei einsame Rosmarinkartoffeln liegen auf meinem Teller und selbst die muss ich mir reinquälen. 'Iss was Hermine Schätzchen, sonst fällst du uns noch vom Fleisch!', haben meine Eltern immer zu mir gesagt. Meine Augenwinkel beginnen zu brennen. Was ist denn heute bloß in mich gefahren?! Ich bin doch sonst nie so weinerlich. Aber genau jetzt wird einfach alles zu viel. Schnell sprinte ich aus der großen Halle, direkt in den Mädchenschlafsaal der Gryffindors und verkrieche mich in mein Bett. Das habe ich schon den ganzen Tag vorgehabt und jetzt kann ich mich endlich fallen und meinen Tränen freien Lauf lassen. Es dauert nicht lange, da bin ich auch schon in einen unruhigen Schlaf gefallen.

Ich laufe einen leeren Gang entlang. Meine Schritte hallen laut von den Wänden wieder und nur das spärliche Mondlicht, das durch die hohen Fenster scheint, beleuchtet den Weg vor mir. Mein Herz beginnt zu rasen. Vor mir ist gerade jemand um die Ecke gebogen. Eine finstere Gestalt, die ich nicht identifizieren kann. Alles in mir schreit, wegzurennen, aber meine Füße wollen nicht gehorchen und tragen mich stattdessen genau in die Richtung, in die der Unbekannte soeben verschwunden ist. Als ich um die Ecke biege, werde ich an die Wand gedrückt. Der feste, schraubstockartige Griff um meinen Hals schnürt mir die Luft ab und ich röchele. Das Gesicht des Mannes liegt im Schatten. Sein schwerer Atem streift meine Wange und ich muss gegen die drohende Bewusstlosigkeit ankämpfen. Angstschweiß perlt von meiner Stirn ab, als plötzlich die Kapuze meines Angreifers herunter rutscht. Ich spüre förmlich, wie sämtliches Blut aus meinem Gesicht weicht. Vor mir steht niemand Geringeres als Ron! "Ich wollte nur, dass du mir eine Chance gibst, mehr nicht. Diese Situation hast du allein dir zu verdanken. Wie stur kann man nur sein! Du wirst verlieren!", schreit er mich an und schüttelt mich 'Verlieren. Verlieren. Verlieren', hallt es in meinem Kopf nach. Ich starre zu Boden und als ich das nächste Mal aufsehe, blicke ich in zwei kalte, graue Augen, in denen ein Sturm tobt. Draco Malfoy zieht seine Hand blitzschnell von meinem Hals weg und schaut mich, ekelerregt, an. "Draco, bitte-", hauche ich. Doch er sagt nichts, sondern besieht mich immer noch aus verengten Augen. "Wag es ja nicht Schlammblut! Doch wenn ich es mir Recht überlege, habe ich da noch eine Rechnung offen mit dir." Und bevor ich etwas erwidern kann, hebt er seine , zur Faust geballte, Hand und schlägt mich mitten ins Gesicht. Mein Kopf schnellt nach hinten und knallt mit voller Wucht gegen die Steinwand. Alles wird schwarz.

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt