Der Zukunft entgegen

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Dracos Sicht

Diesmal sind es nicht die Tränen meiner Mutter, die meine Haut benetzen, sondern meine Eigenen. Schon seit einer ungeschlagenen Ewigkeit starre ich auf meinen Unterarm und das Dunkle Mal, oder besser gesagt, dahin, wo das Mal sein sollte. Doch da ist nichts, kein Schädel, keine Schlange, einfach nichts. Nur eine feine rote Linie zieht sich von meiner Armbeuge bis zu meinem Handgelenk.

"Hey, Mr Malfoy, bleiben Sie bei uns! Malfoy!" Ich spüre, wie mich jemand kräftig an der Schulter rüttelt und meine Augen weiten sich wieder ein Stück mehr. "Kein Grund in Ohnmacht zu fallen! Hören Sie, das, was Sie sich da angetan haben, würde nicht jeder verkraften und wenn Ihre Lehrerin nicht so geistreich gehandelt hätte, hätten wir für nichts garantieren können. Da Sie so schnell behandelt werden konnten, wird auch nur eine kaum sichtbare Narbe zurückbleiben. Ich kann gar nicht zum Ausdruck bringen, wie viel Glück Sie hatten. Die ganze Sache hätte verdammt nach hinten losgehen können. Glauben Sie mir, wenn ich sage, ich weiß warum Sie das getan haben und ich muss Ihnen mitteilen, dass wir Sie nicht ohne Weiteres entlassen können. Solange Sie mit Ihren persönlichen Schatten zu kämpfen haben, sind Sie eine Gefahr für sich selbst und deshalb werden Sie heute Nachmittag auf eine geschlossene Station verlegt, von wo aus sie, ab morgen, täglich zu einer Stunde Therapie beim Geistheiler gebracht werden. Die Länge Ihres Aufenthalts hier im St Mungo's steht im Moment noch in den Sternen und ist völlig von ihrem psychischen Zustand abhängig. Ich hoffe, dass Sie meinen Mitarbeitern entgegenkommen, um die Zeit nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Eins noch Mr Malfoy, keiner hier macht Ihnen irgendwelche Vorwürfe für ihre Vergangenheit. Ihre Mutter hat mich bereits in einigen Punkten aufgeklärt und ich hoffe, dass Sie sich auf ihre Behandlung einlassen, sodass die Heiler bestmögliche Resultate erreichen können. Es ist alles ausschließlich zu Ihrem Besten." 

Mit einem letzten Nicken in Richtung des Häufchen Elends hinter mir, sammelt er einige leere Phiolen ein und verlässt, unter Knarren des Fußbodens, das Zimmer. Nun richte ich mich an meine Mum. 

"Bitte, geh nach Hause. Nimm es mir nicht übel, aber du siehst schrecklich aus. Du brauchst eindeutig Ruhe und ich bin mir sicher, dass du nur halb soviel Schlaf bekommen hast, wie eigentlich nötig wäre. Du kannst mir so nicht helfen und ich sehe, dass du deine eigenen Probleme mit dir schleppst. Hör zu, ich konnte einfach nicht mehr. All diese Dinge sollte kein 16-, geschweige denn 17-jähriger durchmachen müssen. Jede Nacht haben mich sein Gesicht und die Bilder vieler anderer Grauen in meinen schlimmsten Träumen heimgesucht. Tagsüber brannte mir dann das Getuschel meiner Mitschüler und zuletzt sogar Lehrer im Genick. Ich war so verzweifelt, dass ich sowohl langfristig gesehen, als auch für den Moment keinen anderen Ausweg gefunden habe. Das soll keine Ausrede oder Rechtfertigung für meine Tat sein, aber ich will dir einfach nur erklären, was mich dazu getrieben hat. Das Ding ist, ich weiß ganz genau, dass es dir mindestens genauso scheiße geht, wie mir und ich möchte nicht, dass du dir irgendetwas antust. Zwei Gestörte in der Familie reichen, meinst du nicht? Die Therapie werde ich nutzen und ich schwöre, dass ich mein Bestes geben werde. Dieser Schandfleck auf meinem Körper ist nicht mehr da und es ist Zeit für einen Neuanfang. Also werde ich mich zusammenraffen, aber nur unter einer Bedingung." 

Ich halte kurz in meiner kleinen Rede inne, um ihr genug Zeit zu geben, sich für meine nächsten Worte zu wappnen. 

"Ich möchte, dass auch du dir Hilfe suchst. Der Krieg ist vorbei Mama und du musstest wahrhaftig lange genug leiden. Kein Mensch weiß so gut wie ich, was du alles durchstehen musstest und genau so gut weiß ich, dass auch du ohne Hilfe nicht aus deinem dunklen Loch heraus kommst. Als schau mir bitte nicht dabei zu, wie ich mein Leben von vorne beginne, sondern wage mit mir zusammen einen Neuanfang! Wir können die alten Zeiten hinter uns lassen und eine neue Zukunft aufbauen, was hältst du davon, hm?" 

Sanft drücke ich die Hand der, stumm weinenden, Frau vor mir. Ich sehe förmlich, wie sie mit ihren Worten ringt, doch schließlich nickt sie, zieht mich in ihre Arme und flüstert mir, erst ganz leise und dann immer lauter werdend, "Ja, ja, das machen wir, ja!", ins Ohr. Nicht nur mir ist heute ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, sondern auch meiner Mutter. 

Nach einigen Minuten, gefühlten Stunden, verabschiedet sich die blonde Frau schließlich von mir und ist, nur einen Hauch von blumigem Parfüm zurücklassend, aus dem Zimmer entschwebt. Es dauert nicht lange, bis auch ich wieder in einen ruhigen Schlaf hinübergleite. So entspannt und sorglos habe ich mich schon ewig nicht mehr gefühlt.

Wum!  Die Tür zu meinem Hospitalzimmer wird aufgerissen und ich sitze schlagartig aufrecht im Bett. Doch ehe sich meine Augen an die Helligkeit der Umgebung gewöhnt haben und ich realisieren kann, was gerade um mich herum passiert, verdeckt mir eine Mähne braunen Haares die Sicht. Japsend ringe ich nach Luft und Gott sei Dank entlässt mich die, soeben erschienene, Person aus ihrem zangenartigen Griff, wodurch meine Lunge wieder genügend Platz hat, sich auszudehnen und ich keine Angst haben muss, zu ersticken. 

Nach einer kurzen Verschnaufpause, dämmert es mir, wo ich bin. Gestern wurde ich auf eine andere Station verlegt und habe, zu meiner größten Freude, ein Einzelzimmer bekommen, was mein Glück ist, denn hätte ich Mitbewohner, wären die jetzt auch wach und würden mich, für diese Ruhestörung, vermutlich in Grund und Boden fluchen, auch, wenn ich direkt nichts dafür kann.

Grüne, wunderschöne Augen schauen mich an und mir wird warm ums Herz. "Ich habe mich schon gefragt, wann du auftauchst!", murmele ich mit, gespielt beleidigtem, Unterton, kann mir jedoch ein schelmisches Grinsen nicht unterdrücken. 

"Hey", sagt Astoria und schlägt mir spielerisch auf den rechten Oberarm. "Wenn du wüsstest! Diese alte Schreckschraube 'Gonagall wollte mich erst gar nicht gehen lassen, aber ich habe sie so lange genervt, bis sie endlich eingewilligt hat. Du glaubst nicht, wie viel Überredungskunst mich das gekostet hat." Kaum hat sie zu Ende gesprochen, greife ich mit meiner Hand in ihren Nacken und ziehe sie zu mir herunter, um ihr einen langen Kuss, voller Emotionen, auf zu hauchen.

Wir unterhalten uns noch lange und Tori ist ganz begeistert von der Tatsache, dass mein Todesser Zeichen verschwunden ist, auch wenn sie die Art und Weise, wie es dazu kam, zutiefst missbilligt. Es dauert nicht lange, da liegt sie mit bei mir auf der Matratze und ich umschlinge sie fest mit meinen muskulösen Armen, aus Angst, sie könnte wieder verschwinden. 

Lange hält dieses glückliche Beisammensein jedoch nicht an, denn schon nach vier, fünf Stunden erscheint eine silbrig schimmernde Katze, mit quadratischem Muster um die Augen, in der Mitte des Raumes, und verkündet mit der Stimme unserer Direktorin, Astoria solle unverzüglich zurück nach Hogsmeade apparieren, oder sie müsse höchst persönlich hier herkommen, um sie abzuholen. Im Anschluss wünscht sie mir noch gute Besserung und einen Augenaufschlag später, verwandelt sich die Katze in silbernen Dunst und ist kurz darauf gar nicht mehr zu sehen.

"Diese gemeine, alte-" "Hey, Tori, beruhige dich! Ich habe mich echt gefreut, dass du mich besucht hast." Erneut drücke ich meiner Freundin einen Kuss auf und ihr Zorn weicht vielmehr Trauer. "Aber Schatz, es ist Samstag, ich habe dich so lange nicht gesehen! Ich dachte, ich würde dich nie wieder zu Gesicht bekommen und jetzt muss ich mich schon wieder von dir trennen!" 

"Na komm, ich habe deine Anwesenheit auch sehr genossen, aber du solltest es lieber nicht auf die Spitze treiben. Niemand sollte sich mit der 'Gonagall anlegen. Gegen die hatte sogar Snape keine Chance, weißt du noch?" Ein leises Lachen entfährt ihrer Kehle. "Und sieh es mal so, bald sind Weihnachtsferien und dann können wir Tag und Nacht gemeinsam verbringen!" "Na gut, du hast Recht. Ich liebe dich, Draco!" "Ich liebe dich auch!" 

Ein letztes Mal schmiegt sich die Brünette an meine Brust, dann löst sie sich, etwas widerwillig, von mir und geht, diesmal um einiges leiser, durch die Tür, hinaus auf den Gang. Meine Brust zieht sich schmerzlich zusammen. So lässig ich auch vor ihr getan habe, die Trennung von ihr lässt mich alles Andere als kalt. Im Gegenteil, ich vermisse sie jetzt schon!

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt