Wenn man das Herz auf der Zunge trägt

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Hermines Sicht

Wie konnte ausgerechnet er  Malfoy das antun?! Ich weiß schon immer, dass Ron kein guter Verlierer ist, aber, dass er soweit geht, einen Unschuldigen zu verletzen, hätte ich ihm nicht zugetraut. Obwohl, kann man Malfoy von Grund auf als unschuldig bezeichnen?

Mein Herz pocht dumpf gegen meine Rippen und Enttäuschung macht sich in meinem ganzen Körper, wie eine Welle von Gift, breit. Natürlich, unser Verhältnis ist im Moment mehr als angeschlagen, aber diese Aktion hat auch nicht wirklich zu einer Verbesserung beigetragen. Im Gegenteil, ich fühle mich distanzierter von meinem Freund, denn je zuvor. Aber ist er überhaupt noch mein Freund? Die Angst, ihn zu verlieren, aber auch die Wut über seine Tat, fressen mich förmlich von innen heraus auf. Zitternd breche ich auf dem Boden zusammen. Warum macht mich das alles so fertig? Weil ich eine Seite des Rotschopfes kennengelernt habe, die ich bis heute noch nicht kannte? 'Es ist nicht nur wegen Ron!', höre ich eine leise innere Stimme sagen. Aber warum dann? 'Du weißt es Mine, du weißt es.' 

Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, hieve ich mich, marionettengleich, vom Korridorboden auf und laufe geradewegs, der Nase nach, in den ersten Stock. Vor einer hölzernen Flügeltür bleibe ich stehen, und öffne sie einen Spalt, gerade breit genug, um hindurch zu schlüpfen. Am anderen Ende des Saales, erkenne ich eine schmächtige Gestalt in einem der aneinandergereihten Betten. Flinken Schrittes laufe ich auf die Person zu und lasse mich, einen 'Muffliato' in Richtung Mme Pomfreys Büro flüsternd, auf seiner Matratze nieder.

 Er sieht so verletzlich und klein aus. Sein Kopfverband lässt die ganze Situation noch schlimmer wirken. Auch die Schürfwunden machen das Gesamtbild nicht wirklich besser. Immer noch schluchzend nehme ich die Hand des Blonden und verschränke unsere Finger miteinander. Wenn Malfoy wüsste, was ich hier tue, würde er wahrscheinlich völlig ausrasten und mich dort hin fluchen, wo der Pfeffer wächst. Ich kann förmlich seine aufgebrachte Stimme hören: 'Wie kannst du es wagen, mich anzufassen du wertloses Schlammblut?! Verschwinde von hier, bevor ich mich vergesse!' Ja, genau das würde er sagen. Doch zu meinem Glück hat er, während meiner Berührung, nicht mal mit der Wimper gezuckt. Erleichtert atme ich auf. 

Ich weiß nicht, was mich dazu treibt, aber als nächstes vernähme ich meine eigene, brüchige Stimme, die zu dem Jungen spricht. "Malfoy, ich weiß, ich sollte nicht hier sein, aber ich wollte sehen, wie es dir geht. Ron hätte das nicht tun dürfen. Er ist eindeutig zu weit gegangen und auch, wenn es mir schwerfällt, muss ich gestehen, dass ihr verdient gewonnen habt. Du bist wirklich gut geflogen." Moment mal, ganz kurz, lobe ich gerade ernsthaft Draco Malfoy? Den, so lange verhassten, Draco Malfoy, der sogar schon einmal wegen mir, mit einer gebrochenen Nase, im Krankenflügel lag? Ja tue ich und ich kann nur hoffen, dass er tief genug schläft, um dass hier nicht mitzubekommen. Ansonsten, hätte ich mehr als ein großes Problem. 

In dem Moment, als ich einfach weiterspreche, hätte ich mir auf die Zunge beißen können. "Hör zu Eisprinz-" Eisprinz, ernsthaft?! "Ich weiß, wir hatten nie ein super gutes Verhältnis zueinander." Ok, das killt echt alles! Was rede ich denn? Mit meinen Worten strapaziere ich die Wahrheit um ein Vielfaches. Es ist nicht so, dass wir uns nie mochten, wir hassten uns und bis vor kurzem hätte ich geschworen, dass das auf ewig so bleibt. Doch es ist anders gekommen, als geplant. Ich habe tatsächlich diesen Slytherin in mein Herz geschlossen und somit mein eigenes Todesurteil unterzeichnet.

"Dennoch gibt es so viel, was ich dir sagen muss. Ich weiß, ich dürfte nicht hier sein, aber Draco-" Seit wann denn bitte Draco?! "Ich-" Doch weiter komme ich nicht, denn ein leises- plopp - unterbricht mich, bevor ich einen weiteren Fehler machen kann. Das Geräusch war nur sehr leise, aber dennoch da, da bin ich mir sicher. Langsam drehe ich mich um und spähe in die Schatten hinter mir. Erst jetzt fällt mir auf, wie gespenstig der leere Krankenflügel aussieht, der nur hier und da mal von einem Flecken Mondlicht beleuchtet wird. Vorsichtig, und immer noch die Stelle fixierend, wo ich vermute, dass dort jemand steht, ziehe ich meinen Zauberstab. Mit halbwegs fester Stimme sage ich: "Wer da? Zeig dich!" Zu meiner Erleichterung, klingt meine Stimme recht taff, mutiger zumindest, als ich mich fühle. Es ist einfach zu viel passiert, als dass mich solche Situationen kalt lassen. 

Einige Sekunden geschieht nichts, doch dann, ganz langsam einen Fuß vor den anderen setzend, kommt eine verängstigte Hauselfe aus dem Schatten hervor. "Winky?! Was machst du denn hier? Du hast mich zu Tode erschreckt!", zische ich, dem zitternden Wesen entgegen und gehe auf sie zu, um mich genau vor sie zu knien. Nun steigen Tränen in ihre tennisballgroßen Augen. "Hey ist ja gut. Was machst du denn mitten in der Nacht im Krankenflügel?", spreche ich mit etwas sanfterer Stimme zu dem kleinen Wesen. "Winky wollte die Nachttöpfe putzen, aber da waren sie Miss. Winky wollte nicht stören!" Heftig schlackert die Elfe mit ihren Ohren. "Ist schon gut. Ich sollte auch langsam mal zurück in meinen Gemeinschaftsraum gehen. Ich lasse dich in Ruhe arbeiten Winky. Aber mach nicht zu lange, auch du hast dir deinen Schlaf verdient." "Sie sind zu gütig Miss. Winky dankt ihnen Miss!" "Keine Ursache, gute Nacht!" Und mit einem letzten Blick auf das kleine Geschöpf hebe ich den 'Muffliato' auf und verlasse die Krankenstation.

Die armen Elfen. Sie rackern sich Tag und Nacht ab und bekommen einfach viel zu wenig Ruhe! Wenn Ron und Harry jetzt da wären, würden sie sagen, sie wollen das doch so und ohne Arbeit seien sie nicht glücklich.

Im Laufen bleibe ich stehen, denn schon zum wer weiß wievielten Mal, an diesem Tag, vernehme ich ein Geräusch. Keine Zweifel, direkt hinter mir atmet eine Person sehr schwer und ich kann die heiße Luft in meinem Nacken spüren. Ohne mich umzudrehen, nehme ich die Beine in die Hand und renne, renne so schnell wie ich bis jetzt nur vor den Todessern weggerannt bin, bis ich das Portrait der fetten Dame erreiche. Ich schreie ihr das Passwort 'Rittermahl' entgegen und ziehe es, hinter mir, gewaltvoll zu. Der Schreck sitzt mir immer noch tief in den Knochen. Erschöpft setze ich mich in einen Sessel und schließe die Augen, um mich zu entspannen, als ich plötzlich eine dunkle Stimme vernehme.

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt