Bereit für einen Neuanfang

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Dracos Sicht

Ich sitze in der Bibliothek, relativ versteckt in einer kleinen Nische, wo ich ungestört lesen kann. In meiner Nähe, steht ein Mädchen mit buschigen, braunen Locken und fährt mit ihren zarten Fingern über die Buchrücken, als könnten sie unter ihrer Berührung zerfallen. Schließlich scheint sie fündig geworden zu sein, denn die Brünette zieht ein dickes Buch aus dem hohen Regal, das verdächtig nach 'Zaubertränke für Fortgeschrittene' aussieht. Diese Streberin.

Doch wie ich sie so ansehe, überkommen mich die Erinnerungen an den Ball. Einige davon sind getrübt, was vermutlich an dem reichlichen Alkohol liegt, dem ich, den ganzen Abend lang, frei zugesprochen habe, und dümpeln nun als Gedankenfetzen in meinem Hinterkopf herum. Wir haben getanzt und irgendwann war Hermine an der Reihe. Ja, Hermine, das klingt viel schöner als Granger! Jedenfalls kam irgendwann Tori und benahm sich wie die pubertierende, und vor allem eifersüchtige, Verlobte schlecht hin. Nach einigen prickelnden Getränken, die meinen Kopf so richtig durchfegten, konnte ich ihr meine volle Aufmerksamkeit schenken, bis Blaise sie mir einfach weggeschnappt hat. Mit dem habe ich auch noch ein Wörtchen zu reden. Irgendwann stand Astoria vor mir, jedenfalls dachte ich das. Doch es war die Gryffindor, die aus irgendeinem Grund genauso aussah wie meine Freundin. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich mich nicht mit dieser Hexe abgeben und habe sie einfach weggeschickt. Im Nachhinein tut mir das echt leid, auch wenn ich nicht weiß, woher der plötzliche Sinneswandel kommt. Dennoch erhebe ich mich und schlendere in Richtung des Tisches, an dem die junge Frau sitzt, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht.

"Granger", spreche ich sie von hinten an. Meine Stimme klingt kühler als beabsichtigt und mir fällt auf, wie sie sich daraufhin versteift. Da kurze Zeit später immer noch keine weitere Reaktion folgt, gehe ich um den kleinen, runden Tisch herum und setze mich der Gryffindor gegenüber. Mit einer lässigen Handbewegung schiebe ich ihren ganzen Kram zur Seite und stütze mich auf dem Tisch auf, sodass ich ihrem Gesicht etwas näher bin. Mit einer deutlich wärmeren Stimme fahre ich fort: "Hermine, hör zu. Es tut mir leid, dass ich gestern so gehässig war. Am Anfang des Schuljahres habe ich mir geschworen, dich nicht mehr zu erniedrigen und dieses Vorhaben ist gestern gescheitert. Dennoch habe ich alles, was ich dir, während unseres Tanzes, gesagt habe, ernst gemeint, hörst du?" 

Ich fasse es selbst nicht. Ich, Draco Lucius Malfoy, sitze hier an einem Tisch mit dieser wissbegierigen und teilweise auch nervigen Frau und entschuldige mich tatsächlich für mein Verhalten, das in den vergangenen Jahren Alltag war? Unglaublich. Schon glaube ich, sie würde mich ignorieren, als sie mit belegter Stimme zu sprechen ansetzt. "Ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe dich nicht, Draco!" Wie sie meinen Namen ausspricht, da bekomme ich einfach eine Gänsehaut. "Der Tanz gestern mit dir war wunderschön, das muss ich mir eingestehen, aber dann warst du so kaltherzig wie immer und ich weiß nicht einmal, wieso ich hier sitze und dir das alles erkläre. Ich habe so oder so keine Chance. Du bist verlobt. Vielleicht wäre es besser, wenn du mich jetzt allein lässt." 

Ihre unverblümte Art gefällt mir. Aber ganz kurz, hat sie gerade wirklich indirekt zugegeben, dass sie auf mich steht? Das glaube ich nicht. Kurzerhand packe ich sie etwas grob am Arm, lockere meinen Griff jedoch sofort wieder, und ziehe sie in die abgeschiedene Ecke im hintersten Teil der Bibliothek. Dort angekommen, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. "Hermine, mir hat es auch sehr gefallen, mit dir zu tanzen und jetzt lass doch einfach einmal Tori aus dem Spiel. Hör zu, ich würde mein Verhalten von gestern Abend gern wieder gut machen." Mit diesen Worten strecke ich ihr meine Hand entgegen. "Wie wäre es mit einem Neuanfang?"

Große, braune Rehaugen sehen mich entgeistert an. Ich könnte in ihnen versinken, aber ich muss mich jetzt zusammenreißen. "Draco", beginnt mein Gegenüber mit zittriger Stimme, woraufhin ich meine Hand wieder sinken lasse. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Es ist einfach zu viel passiert, vor allem wenn ich daran denke wie-" Ihre Stimme bricht ab. Gedankenverloren kratzt sich die Gryffindor über eine feine Narbe an ihrer Kehle, genau da, wo, wie ich weiß, Bellatrix' Messer in ihre Haut gebohrt wurde.

Während meiner Panikattacken plagen mich unaufhörlich die Bilder, wie meine verrückte Tante die schmächtige Frau, am Boden des Manors, foltert. Immer und immer wieder und ich konnte nichts dagegen tun, wenn ich nicht riskieren wollte unter der Hand dieser Irren zu sterben. Wie kann ich Hermine nur beibringen, wie unendlich leid mir das alles tut und wie gern ich die Zeit zurückdrehen würde, doch das kann ich nicht, selbst wenn ich wöllte. Denn von meinem Vater weiß ich, dass alle Zeitumkehrer damals bei dem Kampf in der Ministeriumsabteilung zerstört worden sind.

Als ich sehe, wie Granger nervös über ihre Narbe streicht, umschließe ich, mit meiner Hand, ihren dünnen Hals, was sie erschrocken nach Luft schnappen lässt. Mein Griff ist nicht sehr fest, im Gegenteil, fast schon zärtlich streiche ich über die Stelle, an der sie für ewig gezeichnet sein wird. "Hör mir zu. Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen, aber vielleicht kann ich es wieder gut machen. Und damit meine ich nicht nur das, was im Manor passiert ist, darüber will ich auch gar nicht reden. Ich meine einfach alles, die Beleidigungen, die Flüche. Ich will dir beweisen, dass ich mich geändert habe." "Draco, ich-" Doch weiter kommt sie nicht, denn meine Lippen verschließen die Ihren und einzig und allein ein, kaum hörbarer, Seufzer verlässt diese. Wie kann sich etwas völlig Falsches, nur so richtig anfühlen?!

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Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt