Eiszeit

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Dracos Sicht

"Wie kannst du es wagen, Draco?!" Da ist sie plötzlich, diese Stimme, die einen unsichtbaren Keil zwischen Hermine und mich treibt. Die Temperatur des Krankenflügels senkt sich auf ein Minimum herab und ich kann nicht anders, als am ganzen Leib zu frösteln. 

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass es der Brünetten ähnlich ergehen muss, da ein Ruck durch ihren Körper geht, der sie erschaudern lässt. Sekunden vergehen, oder sind es Minuten? Vielleicht sogar Stunden? Ich kann es nicht sagen, da sich mit Öffnen der Krankenflügeltür mein Zeitgefühl gänzlich verabschiedet hat. Jegliche Sinne sind mir abhanden gekommen und mittlerweile erfüllt nur noch ein monotones Rauschen meinen Kopf, das sich anhört, als wäre der Empfang eines dieser Muggelgeräte, in dem sich die Personen bewegen, gestört. 

Zu diesem nervtötenden Geräusch gesellen sich nun auch ganz langsame, an den kargen Wänden widerhallende, Schritte hinzu. Jeder Einzelne zuckt wie ein Messerstich durch meine Glieder und fühlt sich an, als wäre er einer meiner  Letzten auf dem Weg zum Galgen. Auch meine Sicht gleicht mittlerweile am ehesten einem verwaschenen Farbschleier aus puren, tristen Grautönen.

Kurz vor mir kommt die Person zum Stehen und obwohl sie normalerweise etwas kleiner ist, als ich, komme ich mir nun wie ein winziges Insekt vor, nach dem sie nur ihre Hand auszustrecken braucht, um mich zu zerquetschen. Die herannahende Katastrophe und somit die Überspitzung der gesamten Situation ist nur noch wenige Atemzüge von dem völligen Ausbruch entfernt. 

Unheilschwanend schließe ich die Augen, nur um sie fast sofort wieder zu öffnen, als ein, deutlich vernehmbares, Keuchen das Rauschen in meinen Ohren zerreißt. Doch statt Hermine, zu meiner Rechten, zu sehen, sehe ich eine zierliche Hand, die, einer Abrissbirne gleich, auf mein Gesicht zu schwirrt. Im nächsten Moment sehe ich Sterne und mein Kopf ruckt, von der Wucht überwältigt, nach hinten, woraufhin meine Halswirbelsäule ein böses Knacken verlauten lässt, das, zusammen mit dem Schlag, wie ein Gewehrschuss durch den Krankenflügel hallt. 

"Draco", höre ich die kleine Gryffindor keuchen, doch weiter kommt sie nicht, denn ihr Klagelaut endet in einem angsterfüllten Stöhnen. Zwanghaft darauf fixiert, die aufkommende Übelkeit ins Jenseits zu verfrachten und die Augen offen zu halten, fixiere ich die Löwin und ihr Gegenüber. Dabei verschwimmt mein Blick immer wieder und versucht sich angestrengt, zwischen scharf und unscharf einzupendeln. Zu meinem Glück gelingt Erstgenanntes dann doch relativ schnell, wodurch ich sehe, was Hermine zum Schweigen gebracht hat, oder besser gesagt, wer. 

Vor ihr steht eine Frau mit dunklen, ziemlich wirren Haaren und drückt ihren Zauberstab an eine feine, weiß hervorstechende Narbe an Hermines Kehle. Sofort kehren alle Lebensgeister in meinen gelähmten Körper zurück und drängen mich zum Handeln. Ohne mein Zutun schießt meine Hand in Richtung meines Zauberstabes, der kurz darauf ein paar Funken gen Angreiferin schickt. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal ausgerechnet gegen sie zaubern muss und am liebsten hätte ich es sowohl ihr, als auch mir erspart, aber irgendwo habe auch ich meine Grenzen. 

Somit entwaffne ich meine Kontrahentin und mache sie so gefechtsunfähig, was mir die nötige Reaktionszeit einräumt. Mit einem weiteren Schlenker meines Zauberstabes ist sie gelähmt und ich sinke auf die Knie, um mit der Löwin, die mittlerweile wie ein Häufchen Elend auf den Steinfließen hockt, auf Augenhöhe zu sein. 

Ihre bleichen Finger umklammern den schmalen Hals, der durch diese kleine Gewebeveränderung gezeichnet ist. Ursache derer war meine gestörte Tante. Unfreiwillig schießt das Bild dieser wahnsinnigen Frau, wie sie Hermine ihr Messer in die Kehle drückt, in meinen Kopf. Doch mit starker Willenskraft kann ich es zurück in seine Schublade stopfen, bevor es meinen Geist mit seiner tiefen Schwärze verpesten kann. Zu etwas musste diese Höllentherapie ja schließlich gut sein, oder nicht?

Mit meinen Nachkriegswehen bin ich jedoch nicht allein, was mir die zierliche Hexe vor mir nur allzu deutlich zeigt. In ihrer momentanen Position wirkt sie noch gebrechlicher als ohnehin schon und eine leise Stimme, in meinem Kopf, flüstert mir unentwegt zu: "Nimm sie in den Am. Tröste sie. Gib ihr die Wärme die sie braucht. Hol sie aus ihrem Alptraum." 

Und genau das mache ich. Allmählich ebbt das unkontrollierte Beben ihres Körpers ab und auch die Tränen, die ich erst gespürt habe, als mein Hemd völlig durchweicht war, versiegen mit der Zeit. 

Irgendwann halte ich nur noch ihre schlaffe Gestalt in den Armen, mit der ich mich langsam erhebe. Anschließend verlagere ich ihr Gewicht so, dass mein rechter Arm uneingeschränkt den Zauberstab dirigieren kann. Mit einem Schnippen dessen und einem stummen 'Locomotor' setzen wir uns, gefolgt von der geschockten, schwebenden Brünette in Bewegung. 

Leise schließe ich die Tür zur Krankenstation und erst da finde ich die Zeit, mich über die Tatsache zu wundern, dass Mme Pomfrey anscheinend nichts von der kleinen Krise mitbekommen hat. Merkwürdig ist es schon, aber wer weiß in welche Heilzauberentwicklung die alte Dame gerade vertieft ist. 

Leicht schnaufend, ein Hoch auf die Treppen von Hogwarts, erreiche ich den siebten Stock und stelle mir das Objekt meiner Begierde genaustens vor. Nach dem ich dreimal am Wandbehang von Barnabas dem Bekloppten vorbei gegangen bin, stoße ich die Tür auf und sehe eine genauste Visualisierung meiner Gedanken. Auf diesen Raum ist einfach immer Verlass. 

Zielstrebig steuere ich das große Sofa in der Mitte des Raums an, auf das ich die erschöpfte Hermine lege. Ihre Augen sind geschlossen und ihre Atmung geht etwas hektischer, als gewöhnlich, aber alles in allem wirkt sie noch relativ ruhig. Nachdem ich mich versichert habe, dass ihr wirklich nichts weiter fehlt, wende ich mich wieder dem menschlichen Ballon zu, der stets in dem gleichen Abstand, an einer unsichtbaren Schnur, hinter mir her schwebt. Mit der Frau im Schlepptau begebe ich mich zu einer kleinen Tür, die in einen schallgedämpften Raum führt. Dort wünsche ich mir einen Sessel, mit hoher Lehne, in den ich die Brünette hinein verfrachte.

Keine Sekunde, nachdem ich den Schockzauber von ihr gelöst habe, fährt sie schon wieder aus dem Stuhl hoch und faucht mich, furiengleich, an, als gäbe es kein Morgen. "Wie kannst du es wagen?! Du küsst dieses, dieses- du küsst diese Person? Um deine Familie scherst du dich keinen Deut! Hast du auch nur den Bruchteil einer Sekunde an unsere, nein, meine Ehre verschwendet, oder hat dir deine kleine Affäre nun schon so dermaßen den Kopf vernebelt, dass nicht einmal mehr das in deinen hübschen Blondschädel hinein passt?!" 

"Jetzt halt mal den Besen flach. Genau das könnte ich dich auch fragen, was fällt dir ein, sie so anzugehen und mich zu schlagen?! Ich habe es nicht nötig, deine Ehre in den Dreck zu ziehen. Das schaffst du, so wie es aussieht, auch ganz gut alleine." 

Auf meine Worte hin, bahnt sich eine ungeahnte Zornesröte auf die markanten Züge der Frau. Rasend vor Wut pustet sie sich eine ihrer verwirrten Haarsträhnen aus der Stirn.

Ihr Verhalten vorhin im Krankenflügel war ziemlich untypisch für sie. In Momenten, in denen diese Weibsperson die Beherrschung verliert, geht es meistens drunter und drüber. Diese Ruhe vor dem Sturm war da schon ziemlich beunruhigend. Doch anscheinend ist ihre Laune nun direkt im Sturmauge angelangt, weshalb alle Stricke reißen und die geballte, entladene Wut auf mich eindrischt. 

Kaum, dass ich mich versehe, ist ihre Hand schon wieder auf dem Weg in Richtung meines Gesichtes, aber diesmal gelingt es mir, sie kurz vor dem schmerzhaften Aufprall abzufangen. Mit mir sollte man sich lieber nicht anlegen, was meine Gegnerin offensichtlich auch endlich realisiert hat, da sie ein letztes Mal verächtlich schnaubt, sich aus meinem Griff wendet und mit einem lauten 'Das wirst du noch bereuen. Das war nicht mein letztes Wort!' stürmisch die zwei Türen, die sie vom Rest der Schule trennen, überwindet. 

Somit bin ich allein mit meinen Gedanken und einer gewissen Gryffindor, die inzwischen seelenruhig auf der weichen Couch schläft. Ja, diese Frau ist die Stärke in Person und vereint alle Werte in sich, die der standhafte Godric Gryffindor verkörperte. Da braucht es schon mehr, als eine braunhaarige Furie, um sie von den Füßen zu reißen. Das hat nicht einmal Voldemort geschafft.

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So meine Lieben, hier ist endlich das neue Kapitel! Viel Spaß beim Lesen :)

Ich wünsche euch auch noch weiterhin ganz tolle Ostern. Genießt die Zeit mit euren Liebsten und das schöne Frühlingswetter, insofern es bei euch genau so sonnig und warm ist, wie bei mir hier.

Bis zum nächsten Mal, eure Chiara <3

Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt