Der zündende Funke am Pulverfass

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Astorias Sicht

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, fliege ich schon fast die Stufen zur Eulerei hoch. Meine Wut hat sich bis jetzt angestaut und leider Gottes nur wenig Freiraum gefunden, sich zu entladen. Umso gereizter bin ich und in meinem jetzigen Zustand kann ich nichts anderes sagen, als dass mir alles, und wenn ich sage alles, dann meine ich auch alles, bereits über den Kopf gewachsen ist. Jede Kleinigkeit stellt meine, ohnehin schon zum Reißen gespannten, Nerven erneut auf die, Probe. 

Oben angekommen, schnaufe ich kurz durch, bevor ich meinen Zorn nicht mehr zurückhalten kann und ihn mir geradewegs aus dem Leib schreie. Der Laut hallt von den verlassenen Schlossgründen wider und bewegt einige Eulen, in den unteren Nischen, dazu, sich in Höhere zu begeben. Frustriert trete ich gegen einen kleinen Stein, der an die Wand schnellt und auch noch die letzten Vögel aufscheucht. Ohne auf die umherfliegenden Federn zu achten, wühle ich, mit zitternder Hand, in meiner Schultasche, um Pergament und Tinte zu finden. 

Fahrig gleitet mir das Fass jedoch aus der Hand und zerschellt am steingefließten Boden. "Ach scheiße!", fluche ich, doch dadurch repariert sich das kleine Gefäß auch nicht. Haltlos schluchzend sacke ich auf dem, von kleinen Knöchelchen und Eulenmist bedeckten, Gestein zusammen. In jeder anderen Situation hätte ich den Dreck nicht einmal mit meinen Schuhen berühren wollen, geschweige denn mit einer Kneifzange, doch wen juckt das schon, wenn man offen von seinem Verlobten betrogen wird?! Da ist Eulenmist doch eine Nichtigkeit, ein Sandkorn im Universum.

Vor einer Stunde habe ich, zusammen mit Draco, den Krankenflügel verlassen. Nach meiner eskalierten Schlägerei mit Granger und der darauffolgenden Tatsache, dass sie mich tatsächlich vor der Schulleiterin gedeckt hat, bestand so einiges an Redebedarf. Ich war tatsächlich bereit, der Gryffindor etwas offener entgegenzutreten und wie dankt sie es mir? Sie schnappt mir meinen Zukünftigen direkt unter der Nase weg. Natürlich habe ich gemerkt, dass es gehörig zwischen den zweien geknistert hat, aber genau das hat irgendetwas in mir zerbrochen. 

Bei dem Gedanken an meinen  Draco, der diese Muggelgeborene fest umschlungen hält und leidenschaftlich küsst, schüttele ich mich heftig, als könnte ich dieses Bruchstück in mir klappern hören. Vergeblich. Und doch spüre ich, wie dieses Bild der beiden, ineinander verschlungenen, Körper, wie Hammer und Meisel, Stück für Stück meines Herzens abbröckeln lässt. Jeder einzelne Splitter bohrt sich zusätzlich in mein, ohnehin verwundetes, Herz und zerstört alle schönen Erinnerungen und Gefühle, die mit dem Blondschopf in Verbindung stehen. 

Und trotzdem kann ich nicht loslassen. Wenn es doch so einfach wäre, aber was ist heutzutage schon einfach?! Von dieser puren Ironie, dass ausgerechnet mir so etwas widerfahren muss, getrieben, lache ich kurz bitter auf. Ich könnte diese ganze Situation völlig verstehen, wenn diese Zwangsehe von Anfang an nichts weiter als das gewesen wäre. Eine erzwungene Hochzeit, bei der Gefühle keine Rolle spielen. Es wäre eine, nun sagen wir, offene Ehe gewesen. Jeder wäre seinen Wegen nachgegangen und das Bündnis zwischen uns wäre einzig und allein auf Papier gültig gewesen. 

Aber bei uns war es anders. Wir haben uns kennen- und lieben gelernt, aber mittlerweile gibt mir mein Verlobter genügend Gründe, über diese Tatsache zu grübeln. Warum wirft er mich weg, wie Hippogreifmist? Warum ersetzt er mich durch diese Person? Nun ist es sogar schon soweit, dass er mich verhext. 

Gut, ich gebe zu, ich hätte ihn nicht schlagen dürfen, aber ist das nicht eigentlich völlig verständlich, wenn er vor meinen Augen mit einer Anderen rumknutscht?! Würde nicht fast jede Frau so reagieren? Und dazu kommt, dass er sich inzwischen nicht einmal mehr zu schade ist, mir dreist ins Gesicht zu lügen.

Vor einer halben Stunde meinte er zu mir, er müsse noch etwas mit Blaise besprechen, wegen des kommenden Quidditch-Spiels. Dass er schnurstracks zu der Brünetten zurück läuft, hätte ich ihm nicht zugetraut und ich hätte es auch nie erfahren, wenn ich nicht die Phiole vergessen hätte, die mir die Heilerin für heute Abend mitgegeben hat. Aber als ich unfreiwillige Zuschauerin dieser verschreckenden Szenerie wurde, ist einfach eine Leitung in meinem Kopf durchgebrannt. 

Da hat der werte Herr die Rechnung ohne mich gemacht. Mein Entschluss steht bereits fest und nichts und niemand wird mich davon abhalten, nicht einmal ein Malfoy. Von ihm lasse ich mir meine, mehr oder weniger aufgezwungene, und in eine bestimmte Richtung gelenkte, Zukunft nicht verderben. Wenn ihm meine Gefühle nichts weiter bedeuten, werde ich in Zukunft auch keinen Wert mehr auf die Seinen legen. Ab heute werden ganz andere Geschütze aufgefahren und damit werde ich genau jetzt beginnen.

Ohne zu zögern setze ich das Tintenfass mithilfe des 'Reparo' wieder zusammen, doch die Tinte kann ich nicht mehr retten. So bleibt mir nichts anderes übrig, als den Federkiel in die tief dunkelblaue Pfütze am Boden zu tauchen. 

Die Zunge zwischen den Lippen eingeklemmt, schreibe ich zügig, aber mit sicherer Hand meinen Brief. Zehn Minuten später setze ich energisch einen Punkt unter mein Schreiben, wobei sich die Spitze meiner Feder durch das Pergament bohrt und ein kleines, unscheinbares Loch hinterlässt. 

Nachdem ich ein letztes Mal zufrieden meinen Brief überflogen habe, dirigiere ich eine der Schuleulen herbei, die etwas zaghaft zu mir fliegt, dann jedoch in einem gewissen Sicherheitsabstand landet. Mit wenigen, geübten Handgriffen, ist die Rolle am Bein der Schleiereule befestigt und ich schicke sie auf die lange Reise. Somit fliegt meine letzte Hoffnung dem Horizont entgegen und nichts ahnend überbringt dieses kleine Tier eine Botschaft, die alles verändern wird. Eine Botschaft, die das Schicksal, gleich mehrerer Leute von heute auf morgen auf den Kopf stellen wird. Und vielleicht so auch meins.

Wie Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt