Kapitel 46: Verzweiflung

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Frederiks Sicht:

Ich nickte. "Komm wir gehen erstmal rein." Ich nahm sie wieder bei der Hand. Nur zu gut wusste ich was jetzt in ihrem Kopf vorging. Drinnen angekommen zog sie sich die Schuhe aus und Hausschuhe an und setzte sich auf die Couch. Ich setzte mich neben sie. "Willst du drüber reden?" Sie schüttelte den Kopf. "Ok." Ich konnte das verstehen, bei mir hat es damals auch gedauert bis sich die Bilder im Kopf gelegt hatten. 

Ich beschloss ihr zu erzählen wie es mir damals ging und nahm ihre Hände wieder in meine. Vielleicht half es ihr ja. Urs hatte mir damals von seinem ersten Exitus erzählt und danach ging es mir besser, weil ich danach wusste das ihm genau die selben Gedanklen und Gefühle im Kopf herumgespukt hatten wie mir. "Es ist normal wie es Dir jetzt geht", sagte ich. Sie sah mich an. "Dass dir jetzt die Bilder im Kopf herumspuken wie es passiert ist und dass sich das im Kopf dreht. Das war bei mir damals auch so." 

Sie sah mich an. "Aber irgendwann lässt das nach, das braucht nur Zeit. Aber der erste Exitus ist schlimm." Sie nickte, Tränen in den Augen. "Mir sind damals die ganze Zeit die Bilder im Kopf herumgespukt, es war wie ein Film, der immer wieder ablief. Wie sich der Zustand verschlechterte und nichts mehr griff, wie das EKG auf Null ging und die Reanimation nicht anschlug." Ihr liefen die Tränen herunter. "Das Gespräch mit den Angehörigen, was der absolute Horror war. Das kannste 100 Mal im Studium durchnehmen und trotzdem ist man nicht vorbereitet. Für mich war es der Horror. Das ist mir ewig lange nicht aus dem Gedächtnis gegangen." Sie sagte nichts und die Tränen liefen, aber ich merkte dass sie mir zuhörte.

 "Ich hab mir damals auch Schuldgefühle gemacht und hab mir tagelang die Frage gestellt ob ich etwas hätte anders machen sollen. Ob ich einen Fehler gemacht hatte. Ich wollte Leben retten und dann passierte sowas...Mir war das vorher klar dass sowas auch dazu gehört, aber es dann das erste Mal zu erleben war eine ganz andere Hausnummer." Sie nickte, das Gesicht voller Tränen. "Und so ein Gespräch mit den Angehörigen führen zu müssen, ihnen sagen zu müssen dass ihre geliebte Person gestorben war, wir sie nicht retten konnten, ICH sie nicht retten konnte - so etwas wollte ich nie wieder erleben." Wieder nickte sie und fing an zu schluchzen. 

Ich nahm sie ganz fest in den Arm. "Ich wollte damals auch nicht weiter machen", flüsterte ich, hielt sie im Arm und streichelte sie. Sie wurde ganz doll durchgeschüttelt vom Weinen. "Es ist ok", flüsterte ich. "Lass es raus." Sie klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Ich strich ihr über den Rücken und flüsterte ihr liebe Worte zu. Scheisse, ich wusste echt wie es ihr ging und hätte ihr das gerne erspart, aber da musste jeder Arzt durch. Irgendwann war immer das erste Mal. Irgendwann ließen die Weinkrämpfe nach und ich ließ sie vorsichtig auf die Couch gleiten und bereitete eine Decke über sie. 

Ich legte mich zu ihr und nahm sie wieder in den Arm. Kurze Zeit später war sie eingeschlafen. Mein letzter Gedanke galt ihr, dann war ich auch weg. Als ich wieder erwachte war es draußen schon dunkel. Himmel, war das ein Tag gewesen. Ramona schlief immer noch. Ich stand vorsichtig auf, ging in die Küche und machte uns ein paar Scheiben Brot zum Abendbrot. Nachdem ich noch Getränke geholt hatte weckte ich sie vorsichtig. Verwirrt und verschlafen sah sie mich an. "Ich hab uns was zum Abendbrot gemacht", sagte ich. Sie setzte sich auf und gab mir ein Küsschen auf die Wange.

 "Danke Schatz", flüsterte sie. "Für alles." Als Antwort nahm ich sie in den Arm und gab ihr einen langen Kuss. "Ich weiss doch wie es dir jetzt geht", sagte ich. Sie griff nach einem Brot und knabberte daran herum. Ich nahm mir auch eins. Ihr Appetit war zwar nicht berauschend, aber ein paar Bissen hatte sie wenigstens im Magen. Ein halbes Brot schaffte sie, die andere Hälfte ließen wir erstmal stehen, vielleicht ging ja später noch was rein. Ich futterte die anderen Scheiben und machte uns einen Film an den wir dann schauten. Aber darauf konzentrieren konnte sie sich nicht. Beide schliefen wir dabei wieder ein.

 In der Nacht wurde ich durch lautes Geschrei geweckt. Ich schreckte hoch. Ramona lag neben mir, schweissgebadet, die Augen geschlossen und schrie und warf sich herum. Ich weckte sie vorsichtig auf. Sie schreckte hoch und fing an zu weinen. "Ich hab davon g-g-geträumt", schluchzte sie. Ich nahm sie wieder in den Arm und tröstete sie. Nachdem sie sich beruhigt hatte stand ich auf, nahm sie an der Hand und wir gingen rüber ins Bett. Dort hielt ich mich wach bis sie wieder eingeschlafen war. 

Als um 4 der Wecker klingelte schlief sie noch, also machte ich ihn schnell aus und ließ sie schlafen. Nachdem ich fertig geduscht und mich angezogen hatte holte ich einen zweiten Wohnungsschlüssel, den ich ihr zusammen mit einer Nachricht auf den Nachttisch legte. Ich wollte ihr schon länger einen Schlüssel geben, hatte das aber immer wieder vegessen. Ich wünschte nur ich hätte ihr den Schlüssel unter besseren Umständen gegeben. Aber für den Fall dass sie mal raus wollte brauchte sie einen. Dann frühstückte ich schnell eine Schale Müsli und machte mich auf den Weg zur Klinik.

Dort sprach mich Urs an wie es ihr ginge. "Sie hat gestern kaum ein Wort raus gekriegt und war ziemlich fertig. Sie möchte aufhören", antwortete ich. "In der Nacht hatte sie einen Alptraum davon. Ich hab ihr von meinem ersten Exitus erzählt. Mir hat damals unser Gespräch geholfen wo Du mir Mut gemacht hast und mir von Deinem ersten Exitus erzählt hast. Ich hoffe das ist bei ihr auch so." "Ich hab ihr erstmal 2 Tage frei gegeben, würde aber morgen gerne nochmal mit ihr reden. Wie hast du morgen Dienst?" "Früh." "Ok, dann bring sie bitte mit. Ich bin um 6 da, dann möchte ich mit ihr sprechen." "Ok." Ich machte mir keine Sorgen wegen des Gespräches, wenn Urs sich so gab wie jetzt, dann hatte sie nichts falsch gemacht. Er wollte ihr helfen.

Neue Stadt neues Glück? Frederik Seehauser FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt