Kapitel 33

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Ich packte meinen Stift aus der Hand und schaute auf den Block vor mir. Na klasse. Das waren meine Bio Hausaufgaben, die eigentlich schon längst fertig sein sollten. Alles, was aber auf dem Blatt stand, waren die Buchstaben M, A, X in verschiedenen Größen und Formen. Meist noch in Verbindung mit einem oder mehreren Herzen. Ich musste sofort wieder an das Reitturnier gestern denken und meine Hand strich sofort wieder über die seidige Schleife, die Max mir geschenkt hatte. Das war etwas ganz besonderes für mich. Schließlich hatte er sie mit Nelly gewonnen. Man war ich stolz auf die beiden. Ich griff wieder zu meinem Stift und blätterte meinen Block um. Bio musste jetzt endlich fertig werden, schließlich hatte ich auch noch Deutsch und Englisch vor mir. Bei dem Tempo, das ich momentan an den Tag legte, war ich ja noch nicht einmal bis zum Schlafen fertig. "Klopf, klopf.", meine Mama steckte ihren Kopf durch die Tür "Bist du schon wieder fleißig beim Lernen, meine Große?" Ich schüttelte den Kopf "Nur Hausarbeiten." Mama kam zu mir und setzte sich auf den Stuhl neben meinem Schreibtisch "Hausarbeiten ist auch lernen. Das sollte am Wochenende echt verboten werden. Der Sonntag sollte eigentlich nur für die Familie sein und nicht dafür, dass ihr den ganzen Tag hinter irgendwelchen Büchern sitzen müsst." Sie runzelte ihre Stirn und griff nach dem Aufgabenblatt. "Eu, Bio. Der menschliche Körper. Das fand ich damals voll spannend.", grinste sie. "Lass uns das doch schnell zusammen machen." Ehe ich mich versah, diktierte sie mir auch schon die Antworten. Ja, so ging das wirklich viel schneller. Ich musste ihr ja auch nicht sagen, dass ich die ganzen Aufgaben schon die ganze Woche vor mir herschob. Aber das Training hatte mich ganz schön in Anspruch genommen. "So, das wäre fertig." Mama klopfte mit ihrer Hand auf den Tisch "Und was steht noch an?" "Deutsch und Englisch.", stöhnte ich. In Deutsch musste ich erst einmal ein paar Kapitel lesen und dann eine Zusammenfassung schreiben und in Englisch waren es nur ein paar Vokabeln, die ich garantiert nicht in meinen Kopf bekam. Ich hielt das Buch hoch "Ich muss hier noch ein paar Kapitel lesen ." Mama fing an zu grinsen "Das kenne ich echt gut. Zeig mal her, welche Kapitel sind es denn?" Ich schlug das Buch auf und zeigte es ihr. Schnell überflog sie die Seiten "Na dann fang mal an zu schreiben, was ich dir sage. Und du liest es dann einfach heute Abend noch nach." Ich nickte total begeistert, als Mama auch schon loslegte. "So, das hätten wir dann auch." Mama lehnte sich im Stuhl zufrieden zurück, als laut Papilis Stimme ertönte. "Herrgottnochmal, das kann doch wohl nicht wahr sein." Mama und ich sprangen auf und rannten die Treppe hinunter, wo schon wieder Papilis Stimme ertönte "Du dummes Bürschli. Du kannst doch nicht in meinen Büchern malen.", regte er sich auf und stand mit erhobenem Zeigefinger drohend vor Dani, der anfing zu schluchzen. Mama baute sich vor Papili auf und bohrte ihm mit ihrem Zeigefinger in die Brust. "Wie hast du deinen Sohn eben genannt? Was um aller Welt kann ein dreijähriger verbrochen haben, dass du ihm solche Angst machst." Mamas Stimme überschlug sich fast. Ich lief schnell zu Dani und nahm ihn auf den Arm. Dem kleinen liefen dicke Tränen über seine kleinen Speckwangen. Ich drückte ihn ganz fest an mich. "Das Bübli hat sich einfach eins von meinen Büchern geschnappt, während ich gelernt habe und hat mit den Textmarkern von mir die auch dort lagen das Buch vollgekliert. Und dann hat er mir das auch noch stolz gezeigt. Wie frech kann so ein Bürschli eigentlich sein. Man sollte ihm den Hosenboden stramm ziehen.", regte sich Papili auf, während Dani laut schluchzte "Und dann auch noch diese Heulerei. Was ist das für ein Weichei?" Papili schaute zu uns und schüttelte seinen Kopf. "Wie hast du deinen dreijährigen Sohn genannt? Weichei? Ich glaube ja wohl es geht los." Mama schnappte nach Luft "Wage es dich jemals Hand an ihn zu legen. Dann ziehe ich bei dir mal was stramm. Und wenn du auf ihn wie abgesprochen aufgepasst hättest, anstatt deinen ganzen Scheiß hier rumliegen zu lassen, wäre das auch nicht passiert. So ein blödes Buch kann man ja wohl jederzeit nachkaufen." Irgendwie verstand ich Papili gerade auch nicht. "Es geht um das Prinzip.", meckerte er schon weiter. "Ach schiebe dir dein Prinzip doch in den Arsch." Mama drehte sich zu mir und zu Dani "Geht euch mal beide anziehen. Wir drei gehen jetzt erst schön was essen und dann in den Zoo." Ich nickte schnell und bei dem Wort Zoo huschte auch sofort ein Lächeln über Danis Gesicht.  Mama drehte sich wieder zu Papili "Und du kannst ja in der Zwischenzeit mal über deine Prinzipien nachdenken. Vielleicht solltest du dir mal lieber ein Buch über respektvollen Umgang mit deinem Sohn zulegen. Delphie muss um 17 Uhr bei ihrer Freundin abgeholt werden. Und dir noch einen schönen Sonntag, du Vollidiot." Die letzten Worte hatte ich nur in der Garderobe noch mitgehört als ich Dani schon in seine Schuhe und Jacke half. Als nächstes hörte ich die Wohnzimmertür knallen und Mama tauchte neben uns auf. Sie sah immer noch ziemlich wütend aus. Ihr Gesicht war knallrot. Stöhnend ließ sie sich auf die Bank neben uns fallen und griff nach ihren Schuhen. "Ach Schnüttchen, jetzt gucke doch nicht so traurig." Scheinbar konnte sie mir meinen Gemütszustand wohl ansehen. Ich war immer traurig, wenn meine Eltern sich zofften, aber heute war ich noch trauriger "Das ist alles nur meine Schuld, weil du mit mir die Hausarbeiten gemacht und nicht auf Dani aufgepasst hast.", brach es auch schon aus mir heraus. Meine Mama riss ihre Augen auf, ehe sie ihre Hände auf meine Schultern legte und mich mit ihrem Blick fixierte "Den Blödsinn rede dir mal gar nicht ein. Dein Vater hätte einfach auf Dani aufpassen sollen und dir steht auch mal Zeit mit mir zu. Auch wenn du die Älteste bist, hast du trotzdem genau den gleichen Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit und Zeit mit uns wie die beiden Kleinen." Sie beugte sich zu mir und drückte mir einen Kuss auf meine Stirn. So ganz war mein schlechtes Gewissen noch nicht verschwunden. Aber irgendwie hatte ich die Zeit mit Mama auch genossen.  "So, und jetzt machen wir uns drei einen schönen Tag.", grinste sie mich an und schnappte sich Danis Hand "Zoo dehen?" Seine Augen leuchteten vor Freude. "Ja, mein Spatz. Wir drei gehen jetzt in den Zoo. Aber vorher gehen wir noch etwas Essen. Wo magst du denn hin, meine Große?" Ich überlegte kurz. Dani aß am liebsten Nudeln und Mama und ich Mousse au chocolat und Pizza. Das gab es alles in der Pizzeria, in die wir oft gingen. "Zum Italiener.", grinste ich. Mama fing auch an zu lachen "Gute Entscheidung. Wir haben uns eine Mousse jetzt echt verdient." Ich schaute Richtung Wohnzimmertür "Und Papili?" Eigentlich wäre es doch toll, wenn er auch mitkommen würde. Gerade in dem Moment öffnete sich die Tür und Papili schaute uns irritiert an. "Ihr seid ja noch da." Meine Mama schnaubte nur. "Ich wollte mich bei euch entschuldigen. Ich habe wohl etwas überreagiert. Aber ich will halt gut auf den Trainerlehrgang vorbereitet sein." Papili kam zu uns und schaute erst mich und meine Mama an, ehe er sich zu Dani kniete und ihm über den Kopf strich. "Entschuldigung, kleiner Mann." Dani streckte sofort seine kleinen Ärmchen nach Papili und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Papili hob ihn auf seinen Arm und stand wieder auf und drückte erst mir einen Kuss auf die Wange, ehe er Mama einen richtigen Kuss gab. "Ob ihr mich wohl auch mitnehmen würdet, wo ihr gerade hinwolltet?"  Dani quietschte sofort "Papa Zoo." Und strahlte wie ein kleiner Weihnachtsengel. "Erst noch zum Italiener.", warf ich schnell ein, denn ich hatte echt Hunger. "Na dann auf zum Essen und dann in den Zoo.", grinste Papa und schlüpfte schnell in seine Schuhe. Das würde doch noch ein richtig toller Familiensonntag, dachte ich erleichtert.

Kein Schuss, trotzdem ein Treffer  ✔Teil 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt