Kapitel 38

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Physikalische Formeln waren momentan irgendwie das letzte an was ich denken wollte. Ich trommelte mit meinem Stift auf meinem Block herum und starrte in das Physikbuch. Eigentlich war das echter Pipikram, aber irgendwie hatte ich heute überhaupt keine Lust darauf. Vorhin als ich aus dem Reitstall gekommen war, waren mir gerade Leo und meine Schwestern begegnet. Bei Leos Anblick hatte natürlich mein Herz erst einmal wieder einen kleinen Amoklauf hingelegt. Die drei waren auf dem Weg zum Fussballtraining. Am liebsten wäre ich ja mitgegangen, aber das wäre meinen Schwestern mit Sicherheit komisch vorgekommen. Ich musste daran denken, was mein Mädchen für riesige Fortschritte auf dem Pferd machte. Nächstes Mal würde ich sie das erste Mal ohne Longe reiten lassen. Ich fand das richtig krass, dass sie sich so in mein Hobby reinhängte und scheinbar auch Spaß daran hatte. Jedesmal wusste sie auch etwas neues, was sie ohne mich gelernt hatte. Ich vermutete mal , dass sie entweder Google bemühte oder sich ein Buch über das Reiten und die Pferdehaltung gekauft hatte. Gestern hatte sie mir dann auch den Unterschied zwischen einer Volte und einem Zirkel erklärt. Das war voll niedlich, wie sie das zur Verdeutlichung mit einem Stöckchen in den Sand von der Reithalle gemalt hatte. Irgendwie erwischte mich spontan ein schlechtes Gewissen. Leo engagierte sich so beim Reiten. Und was machte ich? Sollte ich mich dann nicht genauso für Fussball interessieren? Ich könnte ja auch etwas googlen. Obwohl, die Regeln hatte ich ja schon irgendwie mitbekommen, schließlich war ich ja schon bei genug Fussballspielen. Aber der Umgang mit dem Ball stand auf einem ganz anderen Blatt. Vielleicht sollte ich meinen Dad einfach mal so ganz dumm nach ein paar Tricks fragen und die dann ganz heimlich üben. Da würde sich Leo doch bestimmt auch drüber freuen. Ich schmiss meinen Stift auf den Schreibtisch und stand auf. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass Paps um die Zeit meist etwas mit den Drillingen spielte. Vielleicht konnte ich ihm dabei ja unbemerkt ein paar Tipps entlocken. Ich lief also flott ins Wohnzimmer runter, konnte aber niemanden entdecken. Mist, scheinbar waren sie alle ausgeflogen. Gerade als ich wieder die Treppe hochwollte, hörte ich Stimmen aus dem Garten. Vielleicht hatte ich ja doch Glück. Ich lief also auf die Terrasse, wo auch schon mein Paps stand und zuschaute wie Benny die Tore aufbaute. "Was hat dich denn hinter den Büchern vorgelockt?", grinste er mich an. "Seid ihr beide nur alleine?" Das wäre ja noch besser, besonders wenn sie Fussballspielen wollten, so wie es ausschaute. Da könnte ich mich ja völlig unauffällig einklinken. "Deine Schwestern sind zum Training, dein Bruder treibt sich wahrscheinlich beim Reiten herum und Mama ist mit Stella und Luna zum Segeln. Sie wollte sich auf keinen Fall das erste Segeltraining der beiden entgehen lassen. Ich finde es ja schon komisch, wenn man ein Boot Optimist nennt. Soll das ein Omen sein?" Ich musste lachen, weil Paps eine Grimasse schnitt. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn die beiden auch Fussballspielen würden. Aber diesmal hatte Mama wohl den Wurf gelandet und zwei ihrer Kinder interessierten sich endlich mal für ihren Lieblingssport. Es war schon witzig, wenn sie zusammen mit Jasi, Kathi und Vicki von ihren Segelerlebnissen erzählte. Sie bekam dann immer einen total verträumten Blick und glitzernde Augen. "So, aber was machst du hier?" Paps schaute mich neugierig an. "Ich dachte, ich könnte mit euch vielleicht ein bisschen Fussballspielen." Jetzt schaute er verwundert. "Du willst freiwillig mit uns den Ball treten?" Ich zuckte mit den Schulter und nickte. "Da steckt doch mehr dahinter." War klar, dass er das nicht so einfach schluckte, schließlich hatte ich mich immer standhaft geweigert. Naja und ehrlich gesagt, war mein Talent auch ziemlich limitiert. Aber vielleicht hatte mir ja bis jetzt auch nur der Ansporn gefehlte. "Kannst du mir nicht ein paar Tricks beibringen? Zum Beispiel den Ball immer wieder hoch schießen, ohne dass er runterfällt." "Das heißt Ball hochhalten, du Dumbo.", kam es von Benny, der sich zu uns gesellt hatte. "Also ich sehe hier nur deinen Bruder und nirgends einen fliegenden Elefanten mit Flatterohren. Und ich glaube auch nicht, dass du weißt wie es heißt, wenn man auf einem Pferd quer durch den Parcour reitet. Also halte mal den Ball flach." Paps schaute Benny warnend an, ehe er zu mir schaute und anfing wie ein Breitmaulfrosch zu grinsen. "Du willst wohl ein Mädel beeindrucken. Bei uns in der Schule haben die Fussballer auch immer die besten Stiche gesehen. Na, dann mal los. Benny hole mal drei Bälle und dann zeigen wir deinem Bruder wie das mit dem Ball hochhalten geht." Mein kleiner Bruder rannte los, um die Bälle zu holen, während Paps und ich ihm auf die Wiese folgten. "So, hier hast du erst einmal den Ball. Du musst darauf achten.." und schon fing er an zu erklären und gleichzeitig den Ball immer wieder in die Luft zu schießen oder hochzuhalten, wie ich ja gelernt hatte. Das sah bei ihm total easy aus, genauso wie bei meinem kleinen Bruder, der das natürlich auch gleich vorführte. Das konnte doch alles gar nicht so schwer sein. War doch nur Physik. Ich legte mir also den Ball zu recht. Ja und dann lief ich ihm auch schon durch den Garten hinterher. "Man, Papa. Max ist einfach zu dämlich dazu. Der würde ja nicht einmal einen LKW aus einem Meter Entfernung treffen.", moserte der Zwerg herum, was ihm sofort wieder eine Verwarnung einbrachte. "Lege dir den Ball doch erst einmal auf den Spann und versuche ihn zu ballancieren und ein Gefühl für ihn zu bekommen und wenn das klappt, nimmst du kleine Bewegungen rein." Paps hatte gut reden, aber Ballance war wenigstens kein Fremdwort für einen Reiter. Ich nahm also seinen Ratschlag an und nach einiger Zeit funktionierte es wirklich. Ich schaffte es immer hin den Ball zehn Zentimeter in die Luft zu erheben und wieder aufzufangen. Okay nur einmal, aber das war doch auch schon was. "Siehst du, du kannst die Reusgene doch nicht ganz verleugnen.", zwinkerte er mir aufmunternd zu. "Ich sage dir, die Mädels werden bald vor dir niederknien und du wirst dich gar nicht mehr vor ihnen retten können." Mir reichte es völlig, wenn sich mein Mädchen freute, dass ich mich auch bemühte ihrem Sport ein wenig näher zu kommen. Ich wollte nur meine Leo beeindrucken und sonst niemand. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich schon eine geschlagene Stunde mit dem Ball herumexperimentierte. Jetzt sollte ich mich aber wirklich zurück an meine Hausaufgaben machen, auch wenn es bald Ferien gab. "Ich gehe dann mal wieder." Benny fing sofort an zu jubeln "Dann können wir ja endlich richtig Fussball spielen." Er rannte sofort zu den Toren. Gerade als ich im Wohnzimmer war, kam Paps mir hinterher. "Warte mal." Ich drehte mich zu ihm um und schon warf er mir einen Ball zu "Den nimmst du mit in dein Zimmer. Dann kannst du dort hinter verschlossener Tür üben.", zwinkerte er mir zu. Das verwunderte mich echt, denn eigentlich waren Bälle im Haus der Familie Reus strikt verboten. Das lag wahrscheinlich daran, dass Mom genug davon hatte ständig irgendwelche Scherben aufzufegen, weil meine Schwestern damit durch die Gegend ballerten. Paps hatte dann das Verbot mit Verweis auf den Garten ausgesprochen. Umso mehr wunderte es mich jetzt, dass er mich sogar dazu aufforderte "Das Tricksen klappt nur, wenn man genug übt. Und wenn das Hochhalten sitzt, probieren wir noch ein paar andere Dinger. Ich weiß ja, dass du keinen Mist machst und die Bude zusammenschießt. Aber lasse dich nicht von den beiden Zicken erwischen, sonst machen die Terz." Ich musste grinsen und nickte "Geht klar." Mit dem Ball unter dem Arm verschwand ich wieder in mein Zimmer. Und ob ich üben würde. Schließlich wollte ich Leo ja mit meinem Können überraschen. So einen Ansporn hatte ich früher nie für das runde Ding. Ich strich kurz über den Ball bevor ich ihn in der hinteren Ecke meines Schranks versteckte.

Kein Schuss, trotzdem ein Treffer  ✔Teil 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt