Kapitel 39

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Heute war endlich der letzte Schultag vor den Osterferien gewesen. Mein Schulrucksack schlummerte in Opis Auto und ich saß auf Nelly und durfte heute das erste Mal ganz alleine ohne Longe reiten. Das war ein total super Feeling. Die blöde Schule würde ich für die nächsten zwei Wochen sowas von vergessen. Naja, vielleicht doch nicht ganz, denn ich hatte schon so einiges zu lernen, damit ich dann im Endspurt noch meine Noten retten konnte. Glücklicherweise war ja auch noch kein blauer Brief eingetrudelt. Und da jetzt Ferien waren, hatte ich ja erst einmal Schonfrist. So, für heute waren das aber genug verschwendete Gedanken an diesen blöden Laden. Ich fokussierte mich wieder völlig auf Nelly, die einen kleinen Schnauber von sich gab. "So, dann reite mal einen Zirkel." Max stand in der Mitte der Reithalle und beobachtete uns ganz genau. Irgendwie konnte ich noch immer nicht glauben, dass er mich einfach auf sein Pferd gesetzt hatte. Schließlich war Nelly ein richtiges teures Turnierpferd und ich sowas von einer blutigen Anfängerin. Aber scheinbar vertraute er mir wirklich sein Wertvollstes an. Man, hatte ich am Anfang Angst irgendetwas an der Stute kaputt zu machen. Eigentlich hatte ich immer noch Angst davor. Nur von ihr abgeworfen zu werden, davor hatte ich überhaupt keine Angst. Nelly war immer so vorsichtig, fast als würde sie auf mich aufpassen. So, aber jetzt musste ich mich auf den Zirkel konzentrieren. Vor meinem inneren Auge ploppte das Bild aus dem Internet auf . Ich lief also von  A los und suchte diesen Hilfspunkt hinter dem K um dann weiter zur Hallenmitte zu reiten. Ich hielt nach dem nächsten Hilfspunkt Ausschau und versuchte dabei die Form eines Kreises einzuhalten. Verflucht, war das schwer, obwohl ich schon ein wenig das Gefühl hatte, dass Nelly die Führung übernahm und genau wusste, was zu machen war.
"Das war klasse.", lobte mich Max. "Willst du auch mal ein kurzes Stück Trab probieren?" Uih, das war schon etwas schneller und das ganz ohne Longe. Aber Max würde mich nicht fragen, wenn er es mir nicht zutrauen würde. Also nickte ich. "Nelly, Terab." Ehe ich mich versah, trabte die Stute auch schon los. Ich machte schnell das, was mir Max an der Longe beeigebracht hatte. Ich hob meinen Hintern im Rhythmus an, damit ich nicht wie ein Tennisball auf Nelly hin und herhüpfte. Leichttrab war wirklich viel leichter. "Das machst du super.", lobte mich Max wieder. Dieses Lob fühlte sich richtig gut an."So, jetzt machen wir aber Schluss. Nelly, Scheritt." Sofort hörte sie auf zu traben und ich beugte mich zu ihr runter und klopfte ihren Hals, bevor ich sie zu Max lenkte. Er hielt sie am Zaumzeug fest, während ich aus dem Sattel hüpfte. Plötzlich hörte ich ein klatschen vom Tor aus "Meene Minischnut is ja schon een richtiget Cowgirl.", lachte Opi und kam zu uns gelaufen. "So, jetzt jib aba een bisschen Sohlenjeld, damit wa nich zu spät nach Hause kommen.", forderte er mich lächelnd auf. Ich schaute auf die Uhr an der Wand der Reithalle. Mist, es war wirklich schon ziemlich spät. Und Papili und Mama wollten heute noch unbedingt mit uns Essen gehen. Ich rannte also schnell los, um mich umzuziehen...
"So, da sind wa ja noch pünktlich.", lachte Opa und trommelte dreimal kurz auf das Lenkrad. Gerade als ich mich verabschieden und aussteigen wollte, zog er auch seinen Zündschlüssel ab."Nee warte mal Kleene, ick muss noch kurz wat mit deine Mutter besprechen wegen de Ferien. Ick komme mit rinn." Also liefen wir zusammen ins Haus. Ich zog schnell meine Schuhe aus und stellte sie ins Regal, ehe ich meine Jacke auf den Bügel hängte. Papili war was das anging echt total pedantisch. Ihm reichte es nicht, dass man die Jacke einfach nur auf den Haken hing. Nein, dafür gab es schließlich Bügel. Opi hatte auf mich gewartet. Zusammen liefen wir weiter ins Wohnzimmer, wo Papili auf dem Sessel und Mama auf dem Sofa saß. Die beiden sahen total sauer aus. Mist, wir platzten wohl gerade wieder in einen Zoff. Dann wurde das heute wohl nichts mehr mit dem Essengehen. Na auch gut, so konnte ich mich wenigstens früh in mein Bett kuscheln. Hatte ja auch was für sich. Opi schien auch die angespannte Stimmung zu bemerken, denn er legte mir seine Hand in den Rücken und schob mich weiter als ich einfach stehen blieb. "Wat is denn hier los? Is eure Milch sauer jeworden? Oder warum zieht ihr solche Jesichter?" Mama sprang auf und griff einen Brief vom Tisch, ehe sie auf mich zukam und damit vor meiner Nase herumwedelte. "Frage doch mal das Fräulein Unterschriftenfälscherin mit Versetzungsgefahr." Ohoh, Mama war so richtig sauer. Ich zuckte erschrocken zusammen. Wie um alles in der Welt kam diese dämliche Schule auf die Idee diesen Brief zu den Ferien rauszuschicken? Opi strich mir beruhigend über den Rücken, trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass mir die ersten Tränen über die Wangen liefen. "Krokodilstränen helfen da auch nicht. Weißt du wie blöd ich mir vorgekommen bin als ich deinen Lehrer angerufen habe, weil ich ihn zusammenfedern wollte, warum wir die schlechten Noten nicht unterschreiben mussten und der mir sagt, dass mein Mann die doch alle unterschrieben hat.", zeterte sie sofort weiter. "Dein Vater und ich haben uns deshalb fast gestritten, weil ich ihm unterstellt habe, dass er mir das nur verheimlicht hat, damit du weiter zum Training kannst." Mist, damit hatte ich ja überhaupt nicht gerechnet. Ich wollte auf keine Fall an einem Streit Schuld sein. Einen heftigen Schluchzer konnte ich nicht mehr zurückhalten. "Jetzt is aba mal jut.", griff Opi ein und zog mich in seine Arme "Die kleene Minischnute hat halt n' bisschen Pech jehabt. Und et kann ja nich jeder die Weisheit so mit Löffeln jefressen haben wie du.", wandte er sich an meine Mama. "Das ist aber kein Grund Unterschriften zu fälschen.", begehrte sie sofort wieder auf. "Hat se ja och nich. Dit habe ick jemacht. Und außerdem habe ich die nich jefälscht, sondern nur vertretungsweise unterschrieben.", sprang Opi sofort wieder ein. Mama schaute ihn schockiert an "Wie, du steckst mit ihr auch noch unter einer Decke und sagst uns nichts von den Schulproblemen? "
"Du hast einfach meine Unterschrift gefälscht." Papili sprang auch auf und schaute Opi sauer an "Pass mal uff. Du sei mal janz stille. Wenn du zu faul warst deine Autogrammkarten zu unterpinseln, hat dich dat ja och nich jestört." Dann wandte er sich wieder an Mama "Und du sei auch ruhig, oder wer hat damals meine Unterschrift auf der Erlaubnis für das Tattoo gefälscht als du noch nicht volljährig warst." Mama verzog ihr Gesicht, ehe sie sich wieder zu mir wandte "Warum bist du denn nicht zu mir gekommen? Ich hätte doch mit dir gelernt.", fragte sie mich in ganz ruhigem Ton "Du hast doch soviel zu tun.", schniefte ich. "Die Kleene hat jetzt och imma jelernt, wenn wa unseren jemeinsamen Tach hatten.", sprang mir Opi sofort wieder zur Seite und zwinkerte mir zu. "Na, den könnt ihr erst einmal zur Strafe vergessen und das Fussballtraining fällt auch aus, bis die Noten besser sind." Nee, das konnte sie doch nicht machen. Das Fussballtraining okay, aber meine Tage mit Opi. Das ging ja überhaupt nicht. Wann sollte ich denn dann Max sehen?
"Aber Mei Sunnenschii, das Training ist doch wichtig. Sie kann doch die Mannschaft nicht im Stich lassen." Papili war wieder aufgesprungen. "Die Mannschaft sorgt aber nicht für ihre Versetzung." Mama war echt ein harter Knochen. " Aba davon, dass sie da nich hinjeht werden die Noten och nich besser. Da wäre Nachhilfe wohl effektiver.", schaltete sich Opi ein. "Das ist es." Papili zog sein Handy aus der Tasche und wählte. "Hallo Marco, kannst du mir bitte mal Max geben." Ich schaute Papili total erstaunt an, ehe ich zu Opi schaute, der mir zuzwinkerte. "Hallo Max, hier ist Roman. Ich wollte dich bitten Leo Nachhilfe zu geben. Das dürfte doch für dich kein Problem sein." Papili hörte sich die Antwort an. Mensch konnte der nicht mal auf Lautsprecher machen, damit wir auch die Antworten hörten. Ich konnte mir aber vorstellen, dass Max garantiert zusagte. Schließlich übte er ja schon die ganze Zeit mit mir und so konnten wir uns ganz offiziell sehen. Das war perfekt. Papili fing an zu grinsen. "Super, dann trefft ihr euch ab jetzt täglich zum Lernen und du bekommst 30 Euro die Stunde. Ich weiß ja, dass deine Eltern dich knapp halten." Papili wurde scheinbar kurz unterbrochen "Keine Widerrede. Ich überweise dir das Geld und damit Schluss. Morgen fangt ihr dann an. Du kommst einfach zu uns." Wieder war eine kurze Pause "Okay, dann kommt Leo halt zu dir. Ich weiß ja, dass ich mich auf dich verlassen kann und du keinen Mist baust. Ciao und Grüße an den Rest der Familie." Papili ließ sein Handy wieder in der Hosentasche verschwinden. Gerade könnte ich ihn  knuddeln. "So, also ab morgen hat unser Minischnütli Nachhilfe bei Max. Dann kann sie doch auch wieder zum Training." Papili schaute Mama mit Augen an, auf die jeder Berner Sennenhund neidisch gewesen wäre. "Nix da, mein Brummbärli. Strafe muss sein. In den Ferien kein Training und keine Opa-Minischnutentage. Ist das klar?"
"Okay.", lenkten sowohl Papili als auch Opa und ich ein. In den Ferien war sowieso kein Training, aber das wusste Mama ja nicht. Und die Opi-Minischnuten-Tage waren ja auch nicht mehr so wichtig, wenn ich Max auch so treffen konnte. Also nicht, dass ich nicht die Zeit mit Opi genoss, aber Max war schon oberwichtig. Niemals hätte ich gedacht, dass ein Brief aus der Schule so perfekte Auswirkungen haben könnte. Vielleicht sollte ich dafür sorgen, dass ich möglichst lange Nachhilfe brauchte.

Kein Schuss, trotzdem ein Treffer  ✔Teil 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt