Kapitel 52

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Ich starrte aus dem Fenster und trommelte mit meinem Stift auf meinem Schreibtisch. Gestern war Leo wieder nachmittags im Stall gewesen. Sie hatte sich wirklich das erste Mal getraut alleine auf Nelly zu galoppieren.  Man, war ich stolz auf sie. Vielleicht sollte ich nächste Woche mal Phil fragen, ob ich seinen Salomon haben konnte. Dann würde ich mit Leo mal ins Gelände gehen. So ein Ausritt würde ihr bestimmt Spaß machen. Am besten zu dem kleinen Teich, wo wir uns das erste Mal geküsst hatten. Also so richtig geküsst. Ja, das würde ich machen. Dann konnten wir dort eine kleine oder auch größere Pause machen und uns auf die Bank dort setzen... Ich musste wieder daran denken, wie mir gestern beim Putzen Leo einen Vortrag über die Vor- und Nachteile von Huffett gehalten hatte. Das war schon voll süß, wie sie sich bemühte alles über mein Hobby zu lernen. Ich sprang von meinem Schreibtischstuhl auf und lief zu meinem Schrank und fing an zu kramen. Mit dem Fussball in der Hand schloss ich die Schranktür. Es war echt mal wieder Zeit ein wenig damit zu üben. Zwar versuchte ich jeden Tag wenigstens einmal zu üben, aber bei meinem limitierten Talent machte ich noch nicht wirklich riesige Fortschritte. Das wurmte mich irgendwie. Ich schaffte es gerade fünf Mal den Ball hochzuhalten. Vielleicht sollte ich noch einmal Paps drauf gucken lassen. Konnte ja sein, dass ich irgendetwas falsch machte. Vielleicht gab es ja auch einen anderen imponierenden Trick, der mir leichter fiel. Egal, jetzt würde ich erst einmal noch ein wenig üben, bis es Essen gab. Ich legte mir also den Ball auf den Spann und balancierte ihn erst einmal, ehe ich mich steigerte. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht zählte ich mit. Wow, heute funktionierte das ja echt gut neun, zehn, elf
"Ay Alter, nicht dein Ernst." Erschrocken riss ich meinen Kopf hoch, was natürlich dafür sorgte, dass der Ball sich verselbstständigte. Phil hatte ihn aufgefangen und streckte ihn mir entgegen "Ich weiß jetzt echt nicht, worüber ich schockierter sein soll. Dich hier gegen das absolute Ballverbot im Hause Reus verstoßen zu sehen oder zu sehen wie du mit einem Fussball kämpfst." Er schüttelte grinsend seinen Kopf. "Also, das Ballverbot hat Paps für mich aufgehoben." Phil lachte laut los "Man, muss der verzweifelt sein, dass nur einer seiner männlichen Sprösslinge die Pille tritt." Naja, so verzweifelt kam mir Paps nicht vor. Aber ich hatte schon das Gefühl, dass ihn mein Interesse nicht gerade traurig machte. "Wenn Leo sogar mit dem Reiten für mich angefangen hat, dann muss ich doch wenigstens auch ein bisschen mich für Fussball interessieren.", rechtfertigte ich mich weiter. "Okay, ich revidiere. Du nicht Paps musst ja total verzweifelt sein, wenn du damit versuchst deine Braut zu beeindrucken." Manchmal könnte ich meinen Zwilling echt verfluchen, besonders jetzt als er sich vor lachen gar nicht mehr einbekam. "Verschluck dich nicht.", grummelte ich nur. Er winkte ab und beruhigte sich wieder "Keine Angst. Ich erzähl auch niemandem von deinem heimlichen Trainingscamp. Aber wenn du Weltmeister wirst, erwähne mich bitte in deiner Dankesrede.", wieder fing er an zu gackern. "Du bist echt so ein Idiot." Irgendwie musste ich aber auch lachen. "Essen ist fertig." Tessa steckte ihren Kopf durch die Tür. Schnell versteckte ich den Ball hinter meinem Rücken. "Kommen.", antwortete ihr Phil schnell, aber Tessa war sowieso schon weg. War ja klar, wenn es ums Essen ging. Ich versteckte also schnell wieder meinen Ball im Schrank und lief mit meinem Bruder in die Küche. Scheinbar waren wir die letzten, denn alle saßen schon am Tisch. Ich pflanzte mich also auf meinen Stuhl und schaute zu, wie Mom die Nudeln auftat. Mmm, heute gab Spaghetti Carbonara. Die liebte ich. Besonders wenn Mom sie machte. Gerade als mein Teller vor mir landete, klingelte es an der Tür. "Wer geht?"Paps schaute auffordernd in die Runde. Da keiner sich irgendwie bewegte, stand ich auf und lief zur Tür. Wehe, das war irgendso ein Treppenterrier, der mich von meiner Cabonara abhielt. Leicht mürrisch öffnete ich also die Tür und fing an zu strahlen, denn dort stand mein Mädchen und strahlte mich auch an. Ehe ich etwas sagen konnte, drückte sie sich an mir vorbei und schloss schnell die Tür. Und dann spürte ich auch schon ihre Lippen auf meinen. Zwar nur kurz, aber egal.
"Seid ihr gerade beim Essen? Bin ich soviel zu früh?" Ich nickte als Antwort und schon folgte mir Leo in die Küche. Wobei Leo für mich niemals zu früh kommen konnte, auch wenn wir uns erst in einer Stunde zur Nachhilfe verabredet hatten. "Magst du auch was?" Meine Mom begrüßte sie gar nicht, sondern bot ihr lieber Essen an. Das hatte in unserer Familie wohl einen ähnlichen Stellenwert in der Höflichkeitsskala . "Auja. Papili hat wieder so ekeliges Zeug mit irgendwelchen Körnern und Superfood gemacht." Sie schüttelte sich und zog dabei die Nase total süß krauss. Sofort landete ein voller Teller vor ihr. Plötzlich sprang Benny wie von der Tarantel gestochen auf und rannte los. Keine Minute später war er wieder mit einem Zettel in der Hand wedelnd zurück "Stimmt.", quietschte Luna los und auch Stella war auf einmal total hibbelig "Wir haben doch nächste Woche das Elternwochenende. Und das ist der Zettel dafür. Also wann, wie, wo, was." Paps nickte "Stimmt, das hatten wir ja abgesprochen beim letzten Elternabend. Zeig mal her." Er griff nach dem Zettel und fing an zu lesen. "Cool, dann haben wir ja sturmfrei.", lachte Tessa und schlug mit Maja ein. "Habt ihr.", grinste Mom "Kathi hat mich gefragt, ob Sascha auch zu uns kann. Ihr habt also noch Verstärkung. Und du schläfst doch bestimmt auch hier." Mom schaute Leo fragend an "Na klar.", krähten meine Schwestern sofort. Das wird total cool. Ein ganzes Wochenende ohne Versteckspiel mit meinem Mädchen, war das erste, was mir durch den Kopf schoss. Leo schüttelte traurig den Kopf "Papili hat gesagt, ich muss mit. Nur Dani geht zu Oma und Opa." Das durfte doch wohl nicht wahr sein. So langsam nervte mich Roman aber richtig.  "Er hat eben schon im Internet gewütet und für uns alle Moskitonetze bestellt." Paps fing an zu lachen "Der weiß aber schon, dass wir nur ans Steinhuder Meer fahren und nicht an den Amazonas." Da musste selbst Leo schmunzeln. "Aber sag mal, du hast doch nicht wirklich Bock, mit den ganzen alten Leuten und den Zwergen da dein Wochenende zu verbringen?" Meine Mom schaute Leo prüfend an. "Ich bin nicht alt.", meckerte mein Paps sofort los "Und wir sind keine Zwerge", begehrten auch die Drillinge auf. "Du nicht, aber die anderen, Schnutzelchen. Und ihr seid jedenfalls keine Riesen." Mein Paps nickte zufrieden und schob sich die nächste Gabel in den Mund. Die Drillinge brummten dagegen unzufrieden. Während Mom immer noch auf Leos Antwort wartete "Ich würde lieber hier bleiben."
"Das denke ich doch auch. Das kläre ich jetzt gleich mal." Sie sprang auf und lief in ihr Büro.  Ein paar Minuten später kam sie grinsend in die Küche und schnappte sich wieder ihre Gabel. Wie jetzt? Sie wollte uns doch nicht wohl dumm sterben lassen und lieber weiter essen. Noch ehe ich verzweifelt fragen konnte, tat es schon Tessa. Damit war sie heute definitiv meine Lieblingsschwester. "Natürlich darf Leo auch hier bleiben.", grinste Mom. "Jasi hat Roman nicht viel Auswahl gelassen." Sie zwinkerte meinem Paps zu, der zu lachen anfing. Ich schaute zu Leo, die mich auch anstrahlte. Das war total oberhammerkrass. Ich hatte ein ganzes ungestörtes Wochenende mit meiner Leo. Am liebsten würde ich gerade wie ein Irrer durch die Küche hüpfen vor Freude. Mein Blick wanderte zu meinem Zwilling, der mir gegenüber saß und mich angrinste, während er blöd mit seinen Augenbrauen wackelte. Aber selbst das nervte mich gerade nicht. Für mich zählte nur das Wochenende. Wieviel Tage waren das noch bis dahin? Oder wieviel Stunden? Egal, definitiv zu viele. Aber ich sollte die Zeit nutzen und mir schon einmal überlegen, was Leo und ich da alles machen konnten. Ja, das war doch ein Plan zum Überbrücken der unendlichen Zeit bis dahin.

Kein Schuss, trotzdem ein Treffer  ✔Teil 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt