Kapitel 111

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Ich hatte meine Sporttasche über der Schulter und stand an Max gekuschelt auf dem Schulhof. Gleich nach der großen Pause hatten wir Sportunterricht. Das war meine absolute Lieblingsstunde, besonders seit wir bei Frau Haustein eigentlich immer Fussball spielten. Tja, war schon cool, wenn die Lehrerin früher einmal in der Nationalmannschaft gespielt hatte. Sie gehörte sozusagen noch zu den Pionierinnen des Frauenfussballs. Das war immer voll spannend, wenn sie mal etwas aus diesen guten, alten Zeiten erzählte. "Boah, habe ich schon wieder Bock auf Sport.", maulte Lucy, die jetzt immer in den Pausen bei uns war. Seit sie das von den Mädels aus ihrer Klasse erzählt hatte, gehörte sie offizielle zu unserer Clique. So etwas ging ja mal gar nicht. Seitdem musste sie sich auch nicht mehr an Max kletten. Das gefiel mir ehrlich gesagt auch viel besser. Und Tessa und Sascha verstanden sich mit ihr super. Also war doch alles supi und alle zufrieden. "Wieso hast du kein Bock? Du liebst doch Sport?" Sascha schaute Lucy verwundert an. "Ja, aber nicht dieses dämliche Rumgehüpfe. Die Kretschmar lässt uns ständig nur turnen. Das hat nichts mit Sport zu tun. Sie hat sogar auf diese gräßlichen Turnanzüge und Schläppchen bestanden. Ich komme mir da total blöd drin vor. Letztes Mal hat sie dann rumgemosert, dass es nicht reicht, wenn ich die einzelenen Übungen richtig mache. Es gehört auch eine graziöse Ausstrahlung dazu." Lucy stellte sich hin und wedelte irgendwie mit ihren bis in die Fingerspitzen gestreckten Armen herum. Tessa prustete los "Na, die hat ja einen herrlichen Knall. Da haben wir echt mehr Glück." Der Pausengong ertönte laut neben uns. Ich beugte mich noch einmal zu Max und küsste ihn ausgiebig. Das musste ja leider bis morgen früh in der Schule reichen, denn heute hatte er früher Schluss als ich und dann hatten wir heute nachmittag auch noch Training. Also fiel Nachhilfe flach. "Bis morgen. Wir schreiben.", flüsterte er mir noch ins Ohr, als ich mich von ihm löste. "Na, dann los, auf zur Sporthalle.", lachte Tessa und hakte sich bei Lucy und mir ein. Maja und Luca folgten uns händchenhaltend. "Schau mal, da kommen ja unsere Lesben.", hörte ich eines von diesen arroganten Weibern neben uns zischeln, als wir an ihnen vorbeiliefen und uns vor den Turnhalleneingang stellten. Das war doch echt unverschämt. Gerade als ich zu einer Antwort ansetzen wollte, kam mir Tessa schon zuvor "Nur kein Neid, Sweetheart. Aber du wärst mir echt zu hässlich mit deiner Clownsfratze." Ein empörtes Aufquietschen war sofort die Antwort, während alle Mädels aus unserer Klasse anfingen zu lachen und mit Tessa einschlugen. "Warum ist denn noch abgeschlossen?" Lisa stellte genau die Frage, die sich mir auch stellte. Normalerweise war doch die Turndrossel schon immer da und hatte alles aufgeschlossen, weil sie ja ihre ganzen Geräte schon vorbereitete. Dann konnten wir auch schon in unsere Umkleide. Frau Hausstein kam ja immer auf den letzten Drücker. Aber sie brauchte ja auch nichts vorbereiten, denn die Tore standen ja immer in unserer Sporthalle. Und bei den Jungs schienen die Sportlehrer wohl eine ähnliche Veranlagung wie unsere Lehrerin zu haben.  "Entschuldigt, aber ich habe eben erst erfahren, was passiert ist.", kam unsere Lehrerin  angehechelt und steckte den Schlüssel ins Schloss. "Ist ja echt blöd, was Ann-Katherin da passiert ist, aber ich habe ihr schon immer gesagt, dass diese Schwebebalken gefährlich sind." Mussten wir das jetzt verstehen? Scheinbar konnte sie unsere fragenden Blicke deuten "Ach ja, also Frau Kretschmar ist vom Schwebebalken gedonnert und fällt wohl den Rest des Schuljahres aus. Das heißt ich werde euch alle in der Zeit unterrichten. " Lucy entfloh ein freudiger Aufschrei. Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund. Frau Haustein grinste kurz in ihre Richtung "Also alles flott umziehen und dann in fünf Minuten treffen wir uns alle in der oberen Halle." Ein eifriges Gequatsche ging los, während alle durch die Tür drängten. Lucy ließ sich gerade neben Tessa auf die Bank plumpsen als auch unsere Lehrerin mit einem Netz voller Bälle auftauchte. Sie schaute zu den anderen Mädels aus der achten, die mit graziös übereinander geschlagenen Beinen auch auf einer Bank saßen  Frau Haustein ließ das Netz fallen "Ja, um Himmelswillen wie seht ihr denn aus?" Sie schüttelte ihren Kopf "Wie wollt ihr denn in den Schläppchen richtig Sport machen? Und ehrlich gesagt sehen eure Anzüge auch ziemlich albern aus. Wir sind doch hier nicht beim Ballett." Vereinzelt waren empörte Zischlaute zu hören "Abmarsch in die Kabine und zieht euch flott wenigstens richtige Schuhe an." Ihre Handbewegung und ihr Kopfschütteln machten klar, dass sie von der Verzögerung nicht wirklich erfreut war. Es dauerte nicht lang und die Püppies tauchten wieder mit anderen Schuhen auf "Na besser diese Fitnesstreter als die Schläppchen. Aber nächste Woche erwarte ich richtige Sportschuhe. Ihr könnt euch schon einmal darauf einstellen, dass den Rest des Schuljahres ein anderer Wind weht." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das Standing der Tussis bei unserer Lehrerin  nicht besonders war. Ehrlich gesagt hätte mich auch alles andere gewundert. "Und jetzt zwanzig Runden einlaufen.", kam auch schon die nächste Anweisung. Unsere Klasse einschließlich Lucy lief los. Bei den anderen hätte ich es eher empörtes Losschleichen genannt. Keine Ahnung, wie oft ich eine von diesen Tussis überholte, die sich keuchend die Seite hielt. Wir saßen schon auf der Bank und schauten dem Trauerspiel zu als die Trillerpfeife ertönte "So, jetzt teile ich Mannschaften ein, sonst kommen wir ja zu überhaupt nichts. Seid ihr eigentlich auch so lahmarschig, wenn Ausverkauf bei irgendeinem Designer ist? Nächste Woche könnt ihr euch gleich darauf einstellen, dass es keine Schonung mehr gibt." Frau Hausstein verteilte die Bälle und teilte die Mannschaften ein. Tessa und Lucy waren zusammen mit mir in einer. "So  jetzt machen wir erst einmal ein paar Passübungen.", kam auch schon die Anweisung. Während wir uns wie gewohnt in der Halle verteilten, blieb ein Teil der Hühner dumm stehen. Egal, dann begannen wir halt. Es war echt goldig zuzusehen wie die Dumpfbacken nicht einen Ball trafen. Aber das mit graziösen Handbewegungen. Dummerweise war die größte Zicke auch noch in unserer Mannschaft. Gerade drehte sie sich mal wieder weg und bückte sich, um die Falte in ihrer Socke zum was weiß ich wie vielten Mal zu richten. Mein Blick fiel zu Tessa, die Lucy angrinste und dann volle Möhre abzog. Wow, der Ball knallte ganz schön auf den Hintern von der Tusse. "Aua, die hat mich abgeschossen.", kreischte sie auch sofort los und zeigte mit ihrem zittrigen Finger auf Lucy. Frau Haustein kam grinsend zu uns "Nö, das war nur ein perfekter Schuss von Tessa." Sie klopfte ihr auf die Schulter. "Und wenn  du nicht wieder mit anderen Sachen beschäftigt gewesen wärst, dann hättest du ihn auch annehmen können. Denkt daran, das fließt alles in die Note mit ein. Und ehrlich gesagt, sieht es für dich heute ziemlich schlecht aus." Als nächstes klatschte sie in die Hände "So, Feierabend für heute." Man konnte ein mehrfaches erleichtertes Aufatmen wahrnehmen. "Also nächste Stunde habe ich meine Tage.", hörte ich es neben mir wispern. Ein dreifaches "ich auch.", folgte hinter vorgehaltener Hand.
"Ach ja, und ehe ich es vergesse. Falls jemand seine Regel bekommt. Ich akzeptiere weder Entschuldigungszettel von den Eltern noch Atteste vom Arzt. Das ganze ist ein natürlicher Prozess, der einen nicht vom Sport abhält. Haben wir uns verstanden?" Die erschütterten Gesichter waren echt unbezahlbar. Ich musste grinsen, genau wie Lucy, die uns nacheinander um den Hals fiel. "Das wird noch endgeil.", lachte sie. Das Gefühl hatte ich auch.

Kein Schuss, trotzdem ein Treffer  ✔Teil 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt